Wo sind die Lemuren?

AUSSTELLUNG: ´FRANZ WEST - WO IST MEIN ACHTER?´ IM MUMOK.
AUSSTELLUNG: ´FRANZ WEST - WO IST MEIN ACHTER?´ IM MUMOK.(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Wenn Erben um Kunstwerke streiten, verschwinden diese oft für Jahre aus der Öffentlichkeit. Und es sorgt für Verunsicherung am Markt.

Die Lemuren sind verschwunden! Seit 2001 thronten auf der Stubenbrücke neben dem MAK Franz Wests vier große, weiße Figurenköpfe. Damals hatte der österreichische Bildhauer die Skulpturen dem Museum anlässlich seiner Personale „Gnadenlos“ als Dauerleihgabe überlassen. 2012 verstarb West, seither läuft ein Prozess um das Erbe. Hat vielleicht eine Partei die Figuren zurückgefordert?

Nachlass-Streitigkeiten in der Kunst sind ein trauriges Kapitel. Mit dem Tod berühmter Künstler beginnt oft ein jahrzehntelanger Gerichtsprozess, wie etwa auch im Fall von Oskar Schlemmer. Der deutsche Maler (1888–1943) ist berühmt für seine stereometrischen Figuren und seine Bühnenbilder aus der Bauhaus-Zeit Anfang des 20.Jahrhunderts. Nach seinem Tod 1943 hatte seine Witwe Tut sich um das Erbe gekümmert und mehreren Museen Dauerleihgaben und Schenkungen übergeben. Nach dem Tod der Witwe 1987 übernahm ihre Tochter Jaina Schlemmer zusammen mit Enkel Raman die Nachlassverwaltung. Aber es gab noch die Enkelin Janine. In den 1990er-Jahren entdeckte Janine, dass Tante und Cousin fast sämtliche Leihgaben aus deutschen Museen herausgeholt und an einem unbekannten Ort eingelagert hatten.

Damit begann eine bis heute nicht beendete Klage: Seit 2001 prozessiert Janine, um zu ihrem Mitspracherecht bei der Nutzung des Erbes zu kommen. Sie erhielt schon vor Jahren in allen Punkten recht. Aber ihre Tante kam der gerichtlich bestimmten Auskunftspflicht über den Umfang und Verbleib großer Teile des Nachlasses nie nach. Das auf zwei- bis dreitausend Werke geschätzte Erbe befand sich in Lagern in Italien und der Schweiz, eine Vollstreckung des Urteils blieb daher aus. Also wollte sich Janine ihren Anteil an den in Museen befindlichen Leihgaben sichern, was nur über Geldwerte möglich ist. So sollten im Dezember 2010 65 Werke im Auktionshaus Lempertz versteigert werden, die aus Museen in Stuttgart, Wien, Murnau stammten.


Jahrelang im Lager. Das teuerste Werk sollte damals 1,8 bis zwei Millionen Euro kosten („Komposition auf Rosa“, 1930) – aber es kam nie dazu. Der Katalog war schon gedruckt, jedoch verhinderte eine einstweilige Verfügung die Auktion. Seither liegen die Werke in einer Spedition. 2012 sollte über den Verbleib entschieden werden, ein Mediationsverfahren folgte – alles blieb erfolglos. Zwischenzeitlich verstarb die Tante und der gerne auf der Art Basel gesehene Raman verlegte seinen Wohnsitz nach Indien, was „jedes Verfahren, jede Zustellung, jede Vollstreckung bis ins Unmögliche erschwert“, wie Rechtsanwalt Peter Raue in der Zeitschrift der Stiftung Bauhaus im Jänner 2014 schrieb. Da im Zuge der Rechtsunsicherheit eine Veröffentlichung des Werkes von Einsprüchen bedroht war, war bis 2013 jede Ausstellung, jeder Abdruck von Schlemmers Werken heikel.

Seit 1. Januar 2014 sind die Urheberrechte am Schlemmer-Werk ausgelaufen, die Erben können jetzt kaum mehr verhindern, dass Bücher über den Maler geschrieben, Bilder abgedruckt, ausgestellt und versteigert werden. Aber die anhaltenden Rechtsstreitigkeiten ließen das Werk fast aus der Öffentlichkeit verschwinden. Zwar erreichte eine große Schlemmer-Retrospektive 2014 in der Staatsgalerie Stuttgart Besucherrekorde, die Verunsicherung am Kunstmarkt bleibt jedoch so lange bestehen, bis der Prozess ein Ende findet.

Droht dieses Schicksal auch dem Werk von Franz West? Berühmt ist West für seine Passstücke aus Pappmaché und Figuren wie die Lemuren beim MAK – Lemuren bezeichnen übrigens in der römischen Mythologie die Schattengeister von Verstorbenen. Kurz bevor West 65-jährig nach einer langen Krankheit verstarb, gründete er die Privatstiftung. Das sei schon lange in Planung gewesen, betont Rechtsanwalt Ernst Ploil, der die Konstruktion mitentwickelte und im Vorstand sitzt. Der Künstler überschrieb der Stiftung ein sehr großes Konvolut von Werken, damit die Stiftung sich um das Œuvre und den Ruf des Künstlers kümmert. Aber Wests Witwe klagte schon bald gegen die Stiftung mit dem Argument, ihr Mann sei damals nicht mehr geschäftsfähig gewesen. Ziel der Klage ist es, die Zuwendungen an die Stiftung für unwirksam zu erklären. Mitte 2013 begann der Prozess am Landesgericht, mehr als zehn Zeugen wurden bisher verhört, laut Ploil sei der Vorwurf der Witwe bisher nicht erhärtet worden.


Neue Werke, posthum. Andere allerdings vermuten, dass im Verlauf des Prozesses – der wohl noch ein Jahr laufen wird – die Stiftung Vergleichen zustimmen und einen beachtlichen Teil der Zuwendungen der Witwe übertragen wird. Problematisch sei vor allem die Tatsache, dass die Stiftung „post productions“ anfertigt – Werke, die erst nach Wests Tod entstehen. Laut Ploil seien die aber bereits zu Lebzeiten mit West abgesprochen worden. Noch komplizierter wird die Sache übrigens, da weder die Witwe noch die Stiftung, sondern das Archiv Franz West unter Federführung von Eva Badura-Triska (MUMOK-Kuratorin) für die Echtheitszertifikate zuständig ist.

Solch eine verfahrene Situation beschädigt den Ruf von Wests Werk und damit die Situation am Kunstmarkt zwar nicht so dramatisch, wie es bei Schlemmer der Fall ist. Aber es gibt immer wieder besorgte Rückfragen bei Käufen. Und die Lemurenköpfe? Die wurden schon im Dezember 2014 abgebaut, um restauriert zu werden – im Auftrag des Besitzers, dessen Namen das MAK nicht nennt. Ein Wiederaufstellen ist noch ungewiss, seit acht Monaten laufen Gespräche über eine Verlängerung der Leihgabe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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