Sternendisko und Plastikpolonaise: Raus aus dem Elfenbeinturm

(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com
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Acht Forscher zeigten beim Europa-Finale des Science Slam in Wien, dass sie Kompliziertes auch verständlich erklären können. Und witzig.

Spätestens, als Simon McGowan ein verblichenes Partyfoto einblendet, können sich auch jene, die in Chemie gar nicht aufgepasst haben, vorstellen, wie eine Polymerkette aussieht: wie eine Polonaise nämlich. Die Grundlage hat der Forscher – der in Hannover versucht, Biokunststoffe widerstandsfähiger zu machen – also geschafft. Als er dann noch quasi in Zeitlupe seine Kunststoffplatten auf einem Normholzblock zerschlägt, um zu veranschaulichen, was das Problem vieler Biokunststoffe ist, ist klar: McGowan ist einer der Favoriten des Abends. Dass er sich letztlich den Sieg holt, kann kaum überraschen. Doch von vorn.

Acht Forscher aus ganz Europa – von Tschechien bis Schweden – ritterten am Freitag vor rund 500 Zuschauern in der Aula der Wissenschaften in Wien um den Titel des besten Science Slammers Europas. Die Idee ist an die des Poetry Slam angelehnt, bei dem (meist junge) Dichter ihre Werke präsentieren. Und sie ist genauso simpel: eine Bühne, ein Wissenschaftler, ein Mikrofon – und maximal acht MinutenZeit. In denen die Forscher ihre Projekte verständlich, pointiert und natürlich möglichst kreativ erklären sollten.

So beschreibt die belgische Astrophysikerin Katrien Kohlenberg mit ihrem Cello in der Hand, wie Sterne vibrieren, dabei ihre Helligkeit ändern und Geräusche machen („Man kann es Sternendisko nennen“) – und man anhand dieser Vibrationen darauf schließen kann, welche Eigenschaften der Stern hat. Mit einem Packmangesicht aus Papier, Zuckerstücken und einem Glöckcken – der Zelle, dem Zucker, dem Insulin – erklärt die tschechische Biochemikerin Iveta Minařiková, wie Diabetes funktioniert und was sie dagegen tut. David García von der ETH Zürich – der zu Emotionen im Internet forscht – holt sich Lacher, als er erklärt, dass es in der Geschichte von Twitter nie so viele Erwähnungen von Nazis gab wie am Tag des Finales der Fußball-WM.

Seit der Physiker Bernhard Weingartner die Idee des Science Slam vor fünf Jahren aus Deutschland importiert hat – mit einem ersten Abend im Keller eines Wiener Kabarettlokals –, hat sich einiges getan: Der Sieger des ersten nationalen Bewerbs im Vorjahr gewann gleich das (ebenfalls erste) Europa-Finale und holte damit analog zum Songcontest das Finale nach Wien. Im Fliegenkostüm erklärte Martin Moder damals in Kopenhagen, wie er mithilfe von Fruchtfliegen Fragen der Krebsforschung beantworten will.

Auch arrivierte Forscher

„Die Leute wollen wissen, worüber geforscht wird, und sie wollen es in leicht verständlichen Häppchen serviert bekommen“, sagt Weingartner. Auch für die Forscher sei das spannend. „Sie können ihr Thema richtig kreativ präsentieren. Diese Art der Kommunikation braucht es auch zwischen Wissenschaftlern.“

Was sich seit dem ersten Slam verändert hat? „Es sind nicht nur junge Wissenschaftler, sondern auch arrivierte Forscher, die sich exponieren.“ Reinhold Scherer etwa, Assistenzprofessor an der TU Graz, der mit Karton, Ästen und dem Titelsong der Sendung mit der Maus erklärt, wie er Gehirnaktivität auf den Computer überträgt.

Die Zuschauer – sie sind die Jury – vergeben trotzdem die meisten Punkte an Deutschland. Vielleicht auch wegen eines morbiden Schmähs: Wie die Biokunststoffe sei die Polonaise nämlich ebenfalls biologisch anbaubar, so McGowan. Und Morbides kommt ja in Wien bekanntlich gut an.

AUF EINEN BLICK

Science Slam. Vor inzwischen fünf Jahren brachte der Physiker Bernhard Weingartner die Idee nach Österreich. Forscher erklären dabei in nur acht Minuten pointiert und möglichst kreativ ihr Forschungsgebiet. Das Publikum entscheidet, wer gewinnt.

Europa-Finale. Bei der European Researchers' Night am Freitag in der Aula der Wissenschaften fand das diesjährige Europa-Finale statt. Sieger: der Deutsche Simon McGowan, der erklärt hat, wie er Biokunststoffe widerstandsfähiger macht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2015)

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