Jüngstes Gericht im Konzert

Hieronymus Bosch (1450 1516).  Weltgerichtstriptychon aus der Wiener Akademie-Galerie (Detail).
Hieronymus Bosch (1450 1516). Weltgerichtstriptychon aus der Wiener Akademie-Galerie (Detail).Wiener Akademie der bildenden Künste
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Grenzen aller Art sprengte Franz Schmidt im Meisterwerk "Das Buch mit sieben Siegeln", das bald den Musikverein erzittern lässt.

Diese Saison feiert die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ein besonderes Jubiläum: Johannes Prinz, Chordirektor des Singvereins, ist seit einem Vierteljahrhundert im Amt. Wie zu Karajans Zeiten reißen sich bedeutende Dirigenten darum, mit dem Ensemble zu arbeiten. Das wird sich im Programm dieser Spielzeit niederschlagen, in dem von Beethovens Neunter bis zum Verdi-Requiem, von Mahlers Zweiter und Dritter Symphonie bis zu Mendelssohns "Elias" oder Strawinskys Psalmensymphonie ein Querschnitt durch das Repertoire der Sängergemeinschaft zu hören sein wird; unter Dirigenten wie Zubin Mehta, Mariss Jansons, Simon Rattle oder Franz Welser-Möst.

Spätromantik

Zum Auftakt gibt es unter Manfred Honecks Leitung ein Oratorium, das für diesen Chor so etwas wie das Allerheiligste darstellt: Seit der Uraufführung 1938 zählt Franz Schmidts "Buch mit sieben Siegeln" zu den Zentralwerken des Singverein-Repertoires. Vom ersten Abend an war man in Wien überzeugt, es hier mit einem der bedeutendsten Chorwerke des 20. Jahrhunderts zu tun zu haben. Jede Aufführung seither hat diesen Eindruck bekräftigt. In Zeiten des musikalischen Umbruchs ist es Schmidt, dem langjährigen Solocellisten der Wiener Philharmoniker, gelungen, noch einmal die einigenden Kräfte der klassischen Dur-Moll-Tonalität unter Beweis zu stellen. Freilich unter Ausnützung sämtlicher Möglichkeiten der spätromantischen Harmonik, die zuweilen an die Grenzen des in diesem Koordinatensystem noch Fassbaren geht. Der Text, den Schmidt gewählt hat, fordert auch extreme Ausdrucksmittel: Ein Auszug aus dem letzten Buch der Bibel, der Apokalypse, erzählt von den sieben Siegeln, den sieben Posaunen, den Plagen des Jüngsten Gerichts, aber auch von der Vision eines himmlischen Jerusalem, in dem es die Nacht nicht mehr gibt. Die Eruptionen des "Hallelujah"-Chors, kurz vor Schluss des Oratoriums, haben Generationen von Musikfreunden Wonneschauer über den Rücken gejagt. Neben einigen Chören Händels und Haydns gehört diese Passage aus dem "Buch mit sieben Siegeln" zu den erhebendsten Momenten der europäischen Chorliteratur. Die Anfechtungen der Apokalypse, von denen zuvor gesungen wird, rechnen Chorsänger zu den schwierigsten Aufgaben, die ihnen je gestellt wurden.

Expressionismus

Die "Wasserfuge" mit ihren atemberaubenden chromatischen Verschiebungen gehört zur Kür kollektiver Gesangskunst. Ein Chor, der diese Hürde bewältigt, muss sich auch vor heiklen, moderneren Partituren nicht fürchten. Auch die Orgel hat ihren großen Auftritt. Und die Solisten, die sich im Prolog zu einem erhebenden "himmlischen Gottesdienst" einfinden, erzählen nach dem Öffnen der Siegel von der Menschheit am Ende der Zeiten. Da kommen auch grell dissonierende, expressionistische Klänge ins Spiel, die immer wieder von volksliedartig schlichten, lichten Momenten abgelöst werden, in denen die Musik die visionären Bildhalluzinationen des Johannes auf Patmos in Klang verwandelt. Schmidts handwerkliches Können befähigte ihn, die Errungenschaften der Moderne mit den harmonischen Gesetzen der Tonalität in Einklang zu bringen. Er war vertraut mit den fortschrittlichsten Techniken seiner Zeit. Als Rektor der Wiener Musikakademie hat er mit den besten Studenten etwa Arnold Schönbergs avantgardistische Melodramen wie "Pierrot Lunaire" einstudiert und aufgeführt.

Manches seiner Werke scheint direkt auf die Moderne zu antworten: So reflektiert das zweite der Streichquartette (ausgerechnet in der Volksliedertonart G-Dur!) die Auflösungstendenzen der Harmonik und fängt sie, was Schönberg mit der Organisation der zwölf Töne versucht hat, mit einer aufs Äußerste angespannten Dur-Moll-Tonalität noch einmal auf. Das Schwesterstück, in A-Dur, zählt zu den gelungenen Beispielen klassizistischen Denkens und präsentiert etwa nach der Art von Prokofieffs "Symphonie classique" noch einmal ein Streichquartett im Geiste Mozarts oder Schuberts, voll lyrischer Empfindung, in perfekter Formgebung. Das Küchl-Quartett konfrontiert in seinem ersten Zyklus-Konzert (24. 10.) dieses Werk mit einem späten Haydn- und Mendelssohns D-Dur-Quartett. Damit schließt eine kleine Schmidt-Retrospektive, die mit der philharmonischen Aufführung der Zweiten Symphonie zu Saisonbeginn anhob und die die Bedeutung dieses Komponisten wieder stärker ins Bewusstsein rückt.

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Tipp

Franz Schmidt "Das Buch mit sieben Siegeln", Symphoniker, Manfred Honeck, Singverein, 20. 10.; Streichquartett A-Dur mit dem Küchl-Quartett 24. 10. www.musikverein.at

Hieronymus-Bosch-Schau im Het Noordbrabants Museum, Februar bis Mai 2016;
hetnoordbrabantsmuseum.nl

("Kultur Magazin", 16.10.2015)

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