Wien-Museum: Ein Fotopionier der Monarchie

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Die Ausstellung „Andreas Groll. Wiens erster moderner Fotograf“ zeigt anhand von 200 Exponaten den Wandel des Habsburgerreichs Mitte des 19. Jahrhunderts.

Die Größe der Wiener Staatsoper erschließt sich besonders gut auf Fotografien, in denen sich die damalige Hofoper noch im Bau befand. Der Wiener Fotograf Andreas Groll hat diese Phase 1865 dokumentiert. Noch sind die ersten beiden Stockwerke von Gerüsten umgeben, die Dachgleiche ist noch lang nicht zu erwarten. Eine Kolonne von Fiakern in der Kärntner Straße wirkt aus der Vogelperspektive von der gegenüberliegenden Seite des Rings winzig, das vermittelt einen Eindruck davon, wie imposant dieses Unternehmen ist. Wien befand sich in Aufbruchstimmung, als vor 150 Jahren die Ringstraße gebaut wurde. Die Industrie der Monarchie kam in Schwung.

Im Wien-Museum am Karlsplatz zeigt man aus dieser Ära einen besonderen Aspekt der Innovation. Die erste vom neuen Direktor Matti Bunzl initiierte, von Monika Faber (der Leiterin des Photoinstitutes Bonartes) mit profundem Wissen kuratierte Ausstellung widmet sich Andreas Groll (1812–1872). „Wiens erster moderner Fotograf“, wie der Untertitel behauptet, zeigt die damals rege Bautätigkeit in Österreich-Ungarn. Zirka 180 von 1200 erhaltenen Originalen werden präsentiert. Neben den Fotografien gibt es weitere Exponate wie etwa eine wuchtige Kamera mit imposanten Objektiven sowie transportabler Dunkelkammer.

Bescheidene Herkunft aus Erdberg

An die 150 Kilo musste Groll auf seinen Touren mitschleppen, die ihn nicht nur durch Wien führten, sondern auch nach Prag, Krakau, Salzburg, Graz, bis in die fernsten Winkel der Monarchie, oft per Eisenbahn. Menschen sind auf seinen Fotos Nebensache. Ihn interessierten Gebäude, Industrieanlagen, Lokomotiven, Rüstungen, Kunstgewerbe.

Woher kommt dieser Entrepreneur, dieser auf einem Porträt von 1853 etwas finster blickende bärtige Mann? Groll stammte aus bescheidenen Verhältnissen, er wurde in Erdberg geboren und verdingte sich ab 1835 als Diener bei einem Arzt am Kohlmarkt. Dort dürfte er erstmals eine Daguerreotypie gesehen haben. Die neue Technik der Fotografie sorgte vor allem bei Fachleuten für Aufsehen, die mit chemischen Substanzen zu tun haben – darunter auch Apotheker und Ärzte. Jedenfalls gibt es bereits aus dem Jahr 1842 eine von Groll signierte Fotografie – nur drei Jahre nach Erfindung dieser Technik durch Louis Jaques Mandé Daguerre. Bereits ab 1840 wurde auch in Wien die Fototechnik verbessert, die Pioniere sammelten sich in der Fürstenhofrunde. Von einem „Wiener Wunderapparat“ war die Rede. Groll arbeitete ab 1844 am Polytechnischen Institut als Hausknecht, eignete sich dabei technisches Wissen an – in Physik und Chemie. Er durfte sogar einen Vortrag über die Produktion von Fotos auf Glas halten. 1853 machte er sich als Fotograf selbstständig, als einer der ersten in Wien, er nahm vor allem Auftragswerke an, arbeitete für Architekten der Ringstraße, dokumentierte die Westbahn. Den Zenit seines Schaffens erreichte Groll, als er 1861 für die Staatsbahnen das Banat bereiste. Bald danach aber wurde die Konkurrenz stärker, seine Einnahmen sanken. Dieser Selfmademan, der 1872 an Typhus starb, spielte in der 1861 gegründeten Photographischen Gesellschaft keine große Rolle mehr.

Der Siegeszug der Eisenbahn

Heute kann man seine Bedeutung anders sehen. Groll war insofern ein wesentlicher Pionier, als er im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen, nicht das Atelier und Kulissen bevorzugte, sondern hinaus ging in die Welt und deren rasante Veränderungen aufzeichnete. Was wurde nicht alles gebaut! Man sieht im Wien-Museum zum Beispiel ein eingerüstetes Viadukt der Semmeringbahn (1849), den Wiener Westbahnhof (1859), die Eröffnung des Salzburger Bahnhofes (1860), den Bau der Votivkirche (1866), Hochöfen, Fabriken, Schlösser, bombastische Ringstraßenbauten und aufschlussreiche Panoramen. In diesen Bildern zeigt sich ein Zeitalter in seinem ganzen Widerspruch.

Bis 10. Jänner 2016 im Wien-Museum Karlsplatz zu sehen: „Andreas Groll. Wiens erster moderner Fotograf“ . Katalog: „Fotohof Edition“, Hrsg. Monika Faber, 272 Seiten, 29 €. Die Ausstellung ist eine Kooperation des Photoinstituts Bonartes und dem Technischen Museum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)

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