Catrin Bolt: „Zeigen, was dahintersteckt“

Wild. Catrin Bolt begann im Abseits: China, Georgien – und setzt auf Kunst im öffentlichen Raum.
Wild. Catrin Bolt begann im Abseits: China, Georgien – und setzt auf Kunst im öffentlichen Raum.(c) Christine Pichler
  • Drucken

Catrin Bolt, Mauer-Preisträgerin, über ihre Gratwanderung von der Performance-Kunst zu Projekten über den Holocaust.

Catrin Bolt ist eine Querdenkerin. Die üblichen Mechanismen und Schemata, denen der Kunstbetrieb bei der Beschreibung seiner Protagonisten folgt, entsprechen der 36-Jährigen, die in Peter Koglers Medienklasse studierte hat und in diesen Tagen den renommierten Msgr.-Otto-Mauer-Preis erhält, nicht. Bolt hat keinen glatten Lebenslauf vom Typus „lebt und arbeitet in XYZ“ samt tabellarischer Aufzählung aller Einzel- und Gruppenausstellungen. Bolts umfangreiche offizielle Vita listet vielmehr zuerst einmal Aktivitäten, Workshops, Preise, Stipendien, Projekte im öffentlichen und halböffentlichen Raum sowie in Eigeninitiative auf. Die meisten von ihnen fanden an Orten statt, die nicht zu den ersten Destinationen des Kunstzirkus zählen: Chengdu in China, dem armenischen Jerewan, einem prähistorischen Museum im slowenischen Spodnji Hotič, Israel, Ungarn, und immer wieder Georgien, dessen „Wildheit“ sie seit ihrem ersten Aufenthalt anlässlich eines Symposiums 2005 fasziniert. Von diesen Randzonen bezieht Bolt ihre Inspirationen. Und kreiert etwa Landschaftsfotos aus zerschlissenen Plastiksackerln, die sie aus der Erde gezogen hat und die offensichtlich bereits eine lange Reise durch Flüsse, durchs Meer oder durch die Luft hinter sich haben („Plastiklandschaften“, 2015). Oder sie baut aus Gasthausmobiliar sowie den Klappsesseln und Stühlen eines Workshops temporäre Skulpturen, um sie erst für den kurzen Moment einer fotografischen Aufnahme auf typischen öffentlichen Plätzen wie Kreisverkehren, Aussichtspunkten, Dorf- oder Bahnhofsvorplätzen aufzustellen und dann die Fotos davon wieder in den Kontext einzuschleusen, auf den sie nur noch als Bilder verweisen („Der Zeiger liegt grad in der Kurve“, 2010, „Guerilla-Skulpturen“, 2011).

„Guerilla-Skulpturen“. Versatzstücke des Alltags werden zu kühnen, auch skurrilen Konstrukten verarbeitet.
„Guerilla-Skulpturen“. Versatzstücke des Alltags werden zu kühnen, auch skurrilen Konstrukten verarbeitet.(c) Bildrecht Wien 2015

Satire. In ihrer ersten großen Galerieausstellung, 2005 in der Wiener Galerie Winter, präsentierte sie sich mit einem 78-teiligen Opus magnum, das in seinen Einzelaufnahmen übliches Galerie-Inventar von Bildern und Objekten bis hin zu Computern und Arbeitsplätzen festhält und damit auf hintersinnige Weise die Situation und Bedingungen des Ausstellungsbetriebs dokumentiert. „There is still something you should know“ nannte sie diese Arbeit. „Etwas, was man wissen sollte“, daran liegt Bolt viel. So spielerisch und leichtfüßig ihre Arbeiten bisweilen daherkommen – in einer zweiten Volte fordert sie ihr Publikum heraus. So kommt sie wohl im Gespräch schnell darauf zu sprechen, wie wichtig ihr in ihrer Kunst ein gemeinsames Verständnis von Humor von Anfang an war, im selben Atemzug ist aber die Rede von Kritik, Nachdenken, Hinschauen, Anstoßen.

(c) Bildrecht Wien 2015

Verstörend. Da kann auch einmal der eigene Name ­verballhornt werden. So machten während der Studienzeit Catrin Bolt und Marlene Haring, die von 1999 ­
bis 2003 zusammenarbeiteten, als Performance-Duo Halt + Boring – ganz und gar nicht langweilig – auf sich aufmerksam. Bei einer ihrer jüngsten Ausstellungen im Porgy & Bess trat sie als Cati Bold in Erscheinung. Wie wichtig Bolt die Sprache als Instrument ist, um das Denken anzustoßen, zeigt sie in einem ihrer größten und verstörendsten Projekte: „Lauftext Mahnmal“, einem auf Zeitzeugenberichten zum Novemberpogrom basierenden Projekt für den öffentlichen Raum, an dem sie seit 2012 arbeitet. Entwickelt für einen Wettbewerb, den die Stadt Saarbrücken und die dortige Kultusgemeinde ausgelobt hatten, konnte die Idee erst 2013 erstmals in Graz umgesetzt werden. Ein 750 Meter langer Schriftzug nach einem Text des Rabbiners David Herzog wand sich in schwarzen Lettern quer durch die Innenstadt. Die Weigerung des Grazer Straßenamtes, einer vom Institut für Kunst im öffentlichen Raum beantragten Renovierung des Werks über die Zeitdauer der Genehmigung hinaus zuzustimmen, sorgte erst jüngst für medialen Wirbel. Eine zweite Variante entwickelte Bolt für Wien. Zehn Textbänder wurden hier an neuralgischen Stellen der Stadt in schwarzem Kaltplastik, wie es im Straßenbau für Markierungszwecke eingesetzt wird, auf den Boden aufgebracht: in der Leopoldstadt, auf dem Westbahnhof, in der Hauptallee. „An dem erwähnten Sonntag nun zog eine große SA-Formation, die Schätzungen schwanken zwischen 1000 und 2000 Mann, kriegsplanmäßig im Prater auf . . .“ So beginnt ein mehrere hundert Meter langer Text über die Misshandlung jüdischer Mitbürger. „Es geht mir in meinen Arbeiten um die arrogante Selbstverständlichkeit der Gesellschaft“, sagt Bolt. „Es ist wie ein Potemkinsches Dorf: Da wird eine Kulisse aufgebaut. Hier will ich kratzen, zeigen, was dahintersteckt, Selbstreflexion erzeugen. Ich will keine Zeigefingerkunst machen, nur ein kreatives Denken anstoßen.“

Tipp

Catrin Bolt. Ausstellung im Jesuitenfoyer, Bäckerstraße 18, 1010 Wien, 6. 12. 2015 bis 24. 1. 2016., www.otto-mauer-fonds.at

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.