Albertina: Die Wiener Idylle trügt, natürlich

Staatsoper, 1946 – Pippal wählte genau den Winkel, aus dem man die Bombenschäden nicht sah.
Staatsoper, 1946 – Pippal wählte genau den Winkel, aus dem man die Bombenschäden nicht sah.(c) Albertina
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Der Maler Hans Robert Pippal erlebte Wirtschaftskrisen, Krieg und Wiederaufbau. Von Revolution wollte er nichts wissen. Also malte er sich sein Wien friedlich und heiter.

Eine Zeitkapsel ist im zweiten Albertina-Stock gelandet. Schlendert man durch „Monet bis Picasso“, landet man seit dieser Woche plötzlich, ohne große stilistische Brüche, bei Hans Robert Pippal, einem Wiener Maler der Nachkriegszeit. Auch hier ein bisschen Impressionismus, Expressionismus, sogar Kubismus, all die Ismen der französischen Moderne durchdekliniert. Nur eben ein paar Jahrzehnte später. Ein österreichisches Dilemma: Zwischen Schiele und dem Wiener Aktionismus waren wir einfach nicht Avantgarde.

Was die meisten Menschen nicht sonderlich stört. Die konservative Kunst der Zwischenkriegszeit beherrschte lang, beherrscht manchmal noch immer das Bild der lokalen österreichischen Kunst- und Antiquitätenmessen, die Auslagen der alteingesessenen Kunsthändler. Das ist die geliebte Moderne des Establishments, die ihr Publikum nicht beschimpft, bespuckt und/oder intellektuell strapaziert. Man muss sich das einmal vergegenwärtigen: Nur zehn Jahre ist der 1915 geborene Pippal älter gewesen als Otto Mühl. Trotzdem existieren sie nach dem Krieg parallel, Pippals rosige Pastellmädel mit Blumenhut und die mit Dreck beschmierten nackerten Performerinnen Mühls.

„Denkmal heiterer Melancholie“

Beide Maler mussten im Zweiten Weltkrieg kämpfen. Bei beiden kann man diese Erfahrungen, die wir uns heute langsam wieder versuchen sollten vorzustellen, als Erklärung heranziehen für die so konträre Kunst, die sie danach produzierten: Mühl und die Aktionisten begannen im Nachkriegschaos das erinnerte Idyll radikal zu zerstören. Pippal erfand es sich neu. Eine Form des Eskapismus, die beim Bürgertum verständlicherweise gut ankam. Auch beim in den 1970er-Jahren von Linz nach Wien zum Kunstgeschichtestudium ziehenden heutigen Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder, wie er erzählt. Bald lernte er auch Pippals Tochter Martina kennen, die heute eine der renommiertesten Professorinnen für Kunstgeschichte an der Uni Wien ist.

Diese Ausstellung ist also aus mehreren Gründen auch eine sentimentale: für Schröder, der sich an seine Studentenzeit erinnert, für Pippals Tochter – der Vater starb 1998. Für die Albertina, hätte sie Gefühle: Sie bekam eine umfassende Schenkung an Aquarellen, Pastellen, Zeichnungen und Skizzen des Malers. Und schließlich für das Publikum, denn es wird verstehen, was Pippals Freund, der Schriftsteller Milo Dor, mit dem er auch als Illustrator zusammenarbeitete, meinte, wenn er über das Werk sagte: Es sei ein „Denkmal heiterer Melancholie“.

Überall merkt man den Willen zu Friede, Leichtigkeit, Frohsinn, zu einem Wien, das es so nicht mehr gab – mit Kutschen und schicken Damen und unversehrten Prachtbauten der Monarchie. Nur manchmal, an der Werbung an Litfaßsäulen oder Zeitungskiosken, kann man die Zeit erahnen, in der Pippal so virtuos Bleistift und Pastellkreiden ansetzte: Im revolutionären Jahr 1968 etwa hielt Pippal eine zeitlos idyllische Szene am frühlingshaften Burgring fest. Nur die „Stern“-Werbung am Kiosk macht skeptisch.

Von Unruhen und Provisorien aber hatte Pippal die Nase voll; als die Weltwirtschaftskrise 1929 begann, musste er ein Handwerk lernen, Stanzenmacher. Eher durch Zufall kam er zur Malerei, nachdem er als Jugendlicher im Schönbrunner Schlosspark Maler wie Oskar Laske beim Plein-Air-Malen beobachtete – das wollte er auch! Ab 1936 begann der Autodidakt endlich als freischaffender Maler zu arbeiten, dann kam schon die Einberufung. Ein Bein verlor er am Ende des Kriegs. Schließlich konnte er doch noch auf die Wiener Kunst-Akademie gehen. Aber jetzt wollte er nicht mehr – nur drei Tage hielt er es aus, das Studentenleben erschien dem Kriegsveteranen frivol.

Also schuf er sich einfach eine längst vergangene Welt wieder, die er nur aus der Ferne hatte beobachten dürfen – die der Maler der klassischen Moderne. Wien wurde sein Paris, der Ring sein Boulevard, aus den Wiener Mädchen wurden mit seiner Pastellkreide grazile Mademoiselles wie von Degas. Die Ausstellungen der französischen Besatzer taten ihr übriges, Pippal begann die Stile so einzusetzen, wie sie zu den Sujets zu passen schienen. Der Stilpluralismus als Sprache der Demokratie, das gefiel ihm besser als die abstrakte Doktrin der Amerikaner, erinnert sich seine Tochter.

So malte er Anfang der Fünfzigerjahre religiöse Szenen wie mittelalterliche Glasfenster. Buch-Illustrationen wie Alfred Kubin. Das Theater der Josefstadt im impressionistischen Schneegestöber. Die Idylle trügt natürlich. Aber man sollte sie nicht verdrängen.

Hans Robert Pippal: Albertina, bis 28. März.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.01.2016)

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