Albertina: Anselm Kiefer und der Druck der Geschichte

Aus Alt wächst Neu, und das monumental (380 mal 255 cm) – Sonnenblumen wachsen hier aus Menschen, wie in Franz Werfels „Stern der Ungeborenen“: Anselm Kiefers „Hortus Conclusus“, 2007–2014, Holzschnitt, Acryl und Schellack auf Papier, Collage auf Leinwand. Aus einer Privatsammlung.
Aus Alt wächst Neu, und das monumental (380 mal 255 cm) – Sonnenblumen wachsen hier aus Menschen, wie in Franz Werfels „Stern der Ungeborenen“: Anselm Kiefers „Hortus Conclusus“, 2007–2014, Holzschnitt, Acryl und Schellack auf Papier, Collage auf Leinwand. Aus einer Privatsammlung.(c) Anselm Kiefer und Charles Duprat
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Der in Deutschland angefeindete deutsche Nationalmaler Anselm Kiefer wird erstmals größer in Wien gezeigt. Mit großartigen monumentalen Holzschnitten, die vom Überwältigungspotenzial nationaler Empfindungsräume erzählen.

Plötzlich so viel Bedeutung. Pathos. Wucht. Und das bar jeder Ironie. Überall Rhein und Wagner und Celan und Bachmann und Holzdruck und Brünhildes Pferd und kosmische, vielleicht ja Werfel'sche Sonnenblumen, die aus Männerleibern wachsen. Das ist wie Nitschs Orgien und Mysterien Theater ohne Orgie. Das sind wir von der Kunst hier nicht gewöhnt, Anselm Kiefer ist uns so fremd wie wir ihm – und das hat durchaus etwas mit seinem bewusst aus der deutschen Nationalgeschichte entwickelten Bilderkosmos zu tun. Interessant – es gab bisher keine einzige große (nicht einmal kleine) Kiefer-Ausstellung in Wien, es gab jahrzehntelang nicht einmal ein Kiefer-Bild in einer Dauerausstellung.

Obwohl er eine Bedeutungsgeneration mit Baselitz, Lüpertz, Immendorf bildet. Die Essls zeigten immerhin 2012 in Klosterneuburg, was sie kaufen konnten, bei Kiefer muss man eher sagen: durften. Erst mit der Batliner-Sammlung sind sechs Kiefer-Gemälde in Wien eingezogen, unter Albertina-Direktor Schröder wurde auch angekauft. Kiefer hat mit Thaddaeus Ropac schließlich einen österreichischen Galeristen.

Ein monströses Geniekonstrukt

Das war's aber auch schon mit den (geschäftlichen) Verbindungen. Kiefer ist einer der wenigen wirklichen Stars im internationalen Kunstbetrieb. Mehr noch, er arbeitet nicht nur mit Mythen, er hat sich selbst zum Mythos werden lassen: zum deutschen Melancholiker im (selbst gewählten) französischen Exil (seit Anfang der 1990er). Zum in der Heimat verkannten Trauerarbeiter. Zum Renaissance-Gesamtkünstler-Überintellektuellen, dem „vielleicht größten Metaphysiker unserer Zeit“ (Pressetext). Und am Beginn dieser Ausstellung von 35 seiner monumentalen, in zigtausend Quadratmeter großen Atelierstädten entstandenen Holzschnitten prangt wandfüllend das Foto des in sich versunkenen, einsamen Meisters, gebeugt über einen Druckstock. Von Albrecht bis Anselm – hier in der Albertina sind sie versammelt. Vor diesem nahezu monströsen Genie-Konstrukt muss man allein schon in die Knie gehen.

Interviews gibt Kiefer sowieso keine, zur Pressekonferenz erscheint er ebenso nicht, gesprochen wird öffentlich nur mit angemessenen Geistesgrößen wie Quantenphysiker Anton Zeillinger (heute, 18.30h, Albertina). Man versteht, dass dieser Mann mehr Feinde als Freunde, dafür aber auch mehr Sammler hat (oder umgekehrt). Welcher kulturaffine Machtmensch steht nicht auf bedeutungsschwere Riesenformate, die er zu Rekordpreisen ersteigern kann und durch die er sich noch ein Künstlerebenbild einhandelt, das symbolisiert, was er selbst so gern wäre: unbegrenzt Lesender, Schöpfender, Reisender. Die deutsche Kunstkritik hasst Kiefer für das alles, er ist fremdgegangen und in den Odenwald nicht wiedergekehrt, wo er anscheinend hingehört, v. a. aber meint sie, er zementiere nicht nur in aller Welt, sondern gerade in Frankreich ein übles Klischee des Deutschtums ein – des Grüblers, Düsteren, Humorbefreiten, des Geschichtsleugners.

Unsere Nachbarn waren uns eh nie ganz geheuer. Was angesichts von Kiefers deutschem Werk zu einer seltsamen Mischung aus Ablehnung und Anziehung führt. Also, es ist vor allem eine großartige Ausstellung. Beeindrucken die Materialbilder voll Sand, Blei, Stroh, Draht und Dornen und gewichtigen Inschriften durch ihre schiere Schwere und enttäuschen ein wenig durch ihre Setzkastenvorhersehbarkeit, sind die Holzschnitte vergleichsweise subtile optische wie technische Wunderwerke. Unglaublich, wie Kiefer dieses Handwerk beherrscht. Auch im Holzschnitt verzichtet er nicht auf monumentale Größe, dreieinhalb, viereinhalb Meter Breite, zwei, drei Meter Höhe sind eher die Regel. Aber die Details sind feinst. Die Einbindung der Holzmaserung etwa, die einmal Rahmen, einmal Fluss, einmal Himmelstektonik darstellt. Die auf den ersten Blick gar nicht wahrgenommene Collagetechnik, die den Illusionscharakter noch verstärkt. Der Einsatz der weißen Acrylfarbe wie eine Lasur, des Schellacks als Rinde der Bäume. Toll gemacht. Wirkt flüchtig und ewig zugleich.

Am besten ohne Menschen!

Inhaltlich ist Kiefer am besten, wenn er den Menschen, die allzu nackten Rheintöchter, den allzu nackten Maler selbst aus dem Bild verbannt und uns allein lässt in seinen hochartifiziell aus Sprache und Symbolen gezimmerten Orten der Erinnerung und der Melancholie. Es ist zwar recht klar, was man fühlt, wenn man „Melancolia“ liest und durch schwarze Baumstämme hindurch auf den Rheinstrom blickt. Aber man fühlt es immerhin! Zwischen den Bäumen schweben eigenartige geometrische Gebilde, es sind Polyeder, wie sie schon rätselhaft in Dürers Melancholie-Allegorie herumkugeln (oder so).

Alles hier will uns von der Konstruktion emotionalisierter nationaler Geschichte erzählen. Postmodern skeptisch interpretiert also (wie sonst könnten wir das heute beurteilen!): von der Gefahr der Generierung nationaler Empfindungsräume und davon, wie schnell wir ihnen ausgeliefert sein können.

Anselm Kiefer. Die Holzschnitte. Bis 19. Juni.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2016)

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