Landesmuseum NÖ: „Ende“ mit Selbstschreck

Volumen und Satire: Erwin Wurm, „Kleine Mutter“, 2015, vom Format auch tatsächlich handlich.
Volumen und Satire: Erwin Wurm, „Kleine Mutter“, 2015, vom Format auch tatsächlich handlich.Studio Erwin Wurm
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Im Landesmuseum in St. Pölten sollen künftig keine Gegenwartskunst-Ausstellungen mehr stattfinden. Direktor Carl Aigner zelebriert dieses Ära-Ende würdig – mit „Ende“ von Erwin Wurm und „Quell“ von Leopold Kogler.

In jedem Ende liegt nicht nur ein Anfang, ihm entsprudelt im besten Fall sogar ein „Quell“. Mit dieser vielleicht banalen, aber durchaus immer bedenkenswerten Weisheit spielen zumindest die Titel der zwei Ausstellungen, die das Ende von Hans Holleins Shedhalle im St. Pöltner Landesmuseum als Ort für zeitgenössische Kunstausstellungen markieren. Zwei Einzelausstellungen sind es: Erwin Wurms heißt „Ende“, die Retrospektive von Leopold Kogler „Quell“. Kuratiert wurde dieses „Grand Final“ von Carl Aigner, der hier als Direktor seit 2002 ein Programm gemacht hat, das den manchmal wohl auch schmerzhaften Spagat zwischen lokalen Interessen und internationalem Anspruch meist ziemlich elegant geschafft hat.

In den vergangenen Jahren jedoch verlor man den Überblick über die Niederösterreichischen Ausstellungsaktivitäten – Kunsthalle Krems, Zeitkunst NÖ, die zurzeit ebenfalls in der Shedhalle eine Retrospektive auf Bernhard Leitner zeigt, und das geplante neue Sammlermuseum in Krems. Wer macht was jetzt wo? Das wird heuer klarer werden, es ist ein Jahr der Zäsur, in dem Aigner sich im Museum in die Kunstwissenschaft zurückzieht, in dem die Kunsthalle Krems für ein halbes Jahr der Renovierung zusperrt, um 2017 mit neuem Direktor Florian Steininger und neuer Dependance, der Kremser Minoritenkirche, neu zu starten. In dem am 4. Juni endlich der Spatenstich zum gerade endgültig benamsten Kunstmuseum Krems gesetzt wird, das Christian Bauer Anfang 2018 eröffnen wird.

Zwei sehr verschiedene Ausstellungen

Es wird also in nächster Zeit erst einmal etwas ruhiger werden in Niederösterreich, was dazu führen könnte, meint jedenfalls Aigner, dass wieder der Urort der niederösterreichischen Beschäftigung mit Gegenwartskunst Bedeutung erlangen könnte: das Ende der 1970er-Jahre gegründete Dok(umentationszentrum für moderne Kunst), untergebracht im Stadtmuseum St. Pölten. Geleitet wird das „Dok“ übrigens von jenem außerhalb Niederösterreichs weniger bekannten Leopold Kogler, dem Aigner jetzt die Personale ausrichtet. Der 1952 in NÖ geborene Kogler ist nicht nur Künstler, Ausstellungsmacher, Vermittler, sondern auch sozusagen oberster Kunsterzieher des Bundeslandes, nämlich Fachinspektor für Bildnerische Erziehung im Landesschulrat. Eine interessante Figur, das künstlerische Werk ist jedoch durchwachsen, vor allem das malerische, die atmosphärischen Abstraktionen, die mit Landschaftsassoziationen spielen. Das Frühwerk aus den 1970ern, als Kogler nach Wien ging, um an der Angewandten bei Oberhuber und Bazon Brock zu studieren, ist experimenteller, noch dicht am Puls der Zeit – Collagen, Schriftbilder, Kunst ohne Autor etc. Die aktuellen fotografischen Arbeiten schließen technisch an diese Zeit an, ästhetisch sind sie durch die Schule der Schönheit gegangen. Es sind malerisch bearbeitete Ablichtungen von Farnen und anderen Gewächsen, was eine wirklich starke, eben schöne Wandinstallation ergibt.

Nichts allerdings zu der reduzierten, durchinszenierten Gesamtinstallation der anschließenden Ausstellung von Erwin Wurm, 1954 in der Steiermark geboren, mittlerweile ebenfalls in NÖ beheimatet. Die Ausstellung lässt diesen Kunstort nicht friedlich entschlafen, sondern wird sogar frech. Denn in Niederösterreich, dieser selbst gewählten Pröll'schen Minimonarchie, ist nichts unpolitisch, schon gar nicht die repräsentative Kunst, die der Landeshauptmann so gern subventioniert. Nicht nur das – wie viele Künstler versichern, liebt er sie tatsächlich. Das kann nur, das sollte jedenfalls zu ambivalenten Reaktionen von Künstlerseite führen. Wurm scheut den Kommentar dazu nicht: Von einem riesigen blau-gelben Strickbild lächelt eindeutig (Frisur!) das Pröll'sche Konterfei, wie eine Kinder- oder Computerzeichnung. Hier hat das Historienschinken-Format sozusagen seinen „Pullover“ abgekriegt, den Wurm den Dingen gern überstreift. Köstlich. Und das ganze sogar doppelt, einmal mit Blau über dem Horizont, als würde Prölls Kopf wie eine Sonne untergehen, einmal mit dem Gelb oben, dann geht Pröll wie die Sonne auf. Und am anderen Ende des Bildes hängt schlaff ein Pulliärmel herunter. Das ist schon große Satire.

Sonst ist das meiste bekannt, dafür zu einem fast filmischen, ein wenig labyrinthischen Parcours arrangiert: Eine ins Absurde verschmälerte Toilette macht den Anfang dieser pointierten Geschichte, die um Volumina kreist, um das Aufnehmen und Ausscheiden, um Würste, die Hände und Liebespaare formen, um Pissoirs, die sich aus dem fetten Unterleib eines Mannes eröffnen, um Fotos von One Minute Sculptures, in denen der Körper mit Orangen oder Schreibgeräten verschmilzt. Am Ende wartet dann die eigene missliche Lage – ein Kühlschrank, neben den man sich legen und den Kopf durch ein Loch in der Seite stecken soll. Bier und sonstige Drogen, die man hier laut Anleitung konsumieren soll, muss man selbst mitnehmen. Man wird sie dringend brauchen, um dieses Menschenbild, diesen Schrecken vor sich selbst, besser ertragen zu können.

Beide Ausstellungen von 23. April bis 31. Juli.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2016)

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