Bilder einer Umwälzung

Spuren. Mit der Großformatkamera als Auge sah Hörbst die Gegend seiner Kindheit.
Spuren. Mit der Großformatkamera als Auge sah Hörbst die Gegend seiner Kindheit.(c) Kurt Hörbst
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Der Fotograf Kurt Hörbst dokumentierte den Bau der S10, die schon fast bis an seine Haustür im Mühlviertel führt.

Viel Gegend. Und viel Umgebung auch noch dazu, hier im Mühlviertel. Aber allzu viel davon sieht Kurt Hörbst gar nicht, wenn er aus dem Haus schaut, in dem er auch geboren ist, in Abfoltern. Von seiner Haustür ist es wirklich nicht mehr weit bis zur tschechischen Grenze. Trotzdem hat der Fotograf in den letzten Jahren immer wieder ganz genau in die Gegend geschaut, vor allem da-rauf, wie sie sich gewandelt hat. Die Großformatkamera war sein Auge. Denn da ist auch ganz schön Großes herangewalzt, sprichwörtlich. Die S10-Schnellstraße hat sich in die Topografie gegraben, und das schon wieder sprichwörtlich, denn zum Teil verläuft sie im Tunnel. Ingenieure und unzählige Bauarbeiter haben ein Asphaltband in die Landschaft gelegt. Und noch viel mehr als das: ein Versprechen für die Zukunft. Standortsicherung nennen das die Strategiepapiere. Für manche Mühlviertler ist das schon fast zu viel der Aufmerksamkeit, in manchen sei die geografische „Randlage“ doch auch in der Mentalität recht stark verankert, zu sehr im Mittelpunkt wolle man ja gar nicht stehen, das werde manchem schon als Kind eingebläut, erzählt Hörbst. Und jetzt rückt die hügelige Landschaft noch mehr in die Mitte Europas.

(c) Kurt Hörbst

Gebaggert, gesprengt, modelliert. Der Fotograf stand staunend davor, was da passierte mit der Landschaft. Wie ein Kind, das vor seinem ersten Minibagger im Haufen Sand steht. Und dann ist es ihm „passiert“, wie er sagt: Eine ganze Reihe von faszinierenden Motiven einer
faszinierenden Ingenieursleistung. Eine Reihe von
Aufnahmen, die dokumentieren, wie 22  Kilometer Verkehrsinfrastruktur in die Landschaft, in die Topografie gebaggert, gesprengt und modelliert wurden. Bevor die Geschwindigkeit auf der Mühlviertler Schnellstraße nur noch Verkehrszeichen beschränken, hat sich Kurt Hörbst dem Projekt in seinem eigenen Tempo genähert:
„Ich habe mir die Szenerie erwandert“, sagt er. Manchmal war er drei, vier Stunden unterwegs. Bewusst habe er dabei auch das Werkzeug gewählt, das fotografische „Schnellschüsse“ ohnehin schon implizit ausschließt: die analoge Großformatkamera. Mit ihr hat Hörbst auf sich und die Platte wirken lassen, welche Spuren solche Veränderungen nach sich ziehen. „Die Fotografie passierte beim Dahinwandern. Mit der analogen Kamera verordnet man sich automatisch Langsamkeit“, sagt Hörbst. Der Blick ist gezielter und bewusster, auf das, was hier aufgewühlt wurde. Und wenn es auf den Bildern nur die Erde ist, im Mühlviertel waren es natürlich ebenso die Emotionen. Da schlugen auch die Stimmungslagen Kurven, pro und kontra S10. Kurt Hörbst sieht das so: „Man kann gegen Schnellstraßen sein oder dafür. Aber wenn man generell dafür ist, dann müssen sie auch unweit der eigenen Haustür liegen dürfen.“ Diese S10 ist viel mehr als ein Weg von A nach B, C, D. Sie ist eine Hightech-Anlage, auch das ist, was den Fotografen besonders fasziniert hat. Und sie ließ und lässt niemanden im Mühlviertel unberührt. Vor allem nicht jene, die zum Pendeln nach Linz jetzt deutlich kürzer unterwegs sind. Kurt Hörbst nimmt, wenn es geht, den Zug von Freistadt. Auch ein Weg, sich Langsamkeit zu verordnen.

(c) Kurt Hörbst

Distanz bewahren. Die S10 verkürzt Distanzen, trotzdem wollte Hörbst in seinen Bildern selbst „Distanz bewahren“. Seine Aufnahmen, vom Februar 2012 bis Dezember 2015 hat er nun in einem Fotobuch versammelt. Der Literat Bodo Hell hat den Begleittext dazu verfasst. Noch bis 10.  Juni kann man sich auf der Crowd-funding-Plattform Wemakeit.com beteiligen. Einige Bilder hängen noch bis 29.  Juli im Architekturforum Oberösterreich. Als starke Statements, wie Autos und ihre Motoren nicht nur die Fahrzeuge selbst vorantreiben, sondern noch ganz andere Entwicklungen: in der Ausstellung „Erfahrene Landschaft“, von Tobias Hagleitner kuratiert. Dafür versammelte er verschiedenste Positionen, die zeigen, wie Mensch, Auto und Gesellschaft interdependent miteinander verzahnt sind. Denn das Auto ist auch das Vehikel, das nicht nur zu Wunschbildern, die die Werbung suggeriert, führt, sondern auch zu Veränderungen, die sich tief sowohl in die Landschaft als auch in die Gesellschaft einschneiden.

Pendeln. Kurt Hörbst ist  Zugfahrer. Wegen der Langsamkeit.
Pendeln. Kurt Hörbst ist Zugfahrer. Wegen der Langsamkeit. (c) Kurt Hörbst

Autos und die dafür nötige Infrastruktur durchtrennen Beziehungen, zerfurchen gewachsene Strukturen, egal ob es Wälder oder Altstadtkerne sind. Aber sie verbinden auch Menschen und das reale Hier mit dem paradiesischen Später. Die Ausstellung nimmt die Besucher auf
akustische Roadtrips mit, lässt sie auf Landschaften schauen, die vorbeiziehen am Autofenster zur Welt, wie in einer Videoarbeit der Künstlerin Margit Greinoecker. Der Einfluss auf den Menschen, wie auch die Ausstellung vor Augen führt, ist das, was Kurt Hörbst in seinen Bildern am meisten interessiert. Auf seinen fotografischen „Erwanderungen“ ist er nicht nur Spuren der Umwälzung begegnet, sondern auch den Menschen, die die Bagger fahren, die die Pläne ausbreiten, die die Bohrer in das Erdreich treiben. „Die Bilder waren für mich eine Möglichkeit zu begreifen, was hier passiert“, sagt Kurt Hörbst. In jedem Fall, das zeigen die Fotos deutlich, war es etwas Großes.

Tipp

Fotobuch S 10. Das Buch erscheint in der FOTOHOFedition, Literat Bodo Hell schreibt den Begleittext. Auf der Crowdfunding-Plattform Wemakeit kann man sich das Fotobuch von Kurt Hörbst zum Pre-sale-Preis bereits sichern. Die Ausstellung „Erfahrene Landschaft“ im Architekturforum Oberösterreich läuft noch bis 29.  7. www.afo.at

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