Hut auf! Hut ab!

Damenkappe mit Vergangenheit: Die Ada-Federn-Kappe wurde von Modistin Adele List entworfen, die im Nationalsozialismus Karriere machte, ihre Kollektionen wurden in führenden NS-Magazinen gefeiert.
Damenkappe mit Vergangenheit: Die Ada-Federn-Kappe wurde von Modistin Adele List entworfen, die im Nationalsozialismus Karriere machte, ihre Kollektionen wurden in führenden NS-Magazinen gefeiert.Wien-Museum
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Eine hochpolitische Geschichte des bedeckten Kopfes erzählt die Schau „Chapeau“ im Wien-Museum: Von revolutionären und reaktionären Hüten, einem Europa der befreiten Häupter und dem Kopftuch als neuen Kampfplatz.

„Mein Hut, der hat drei Ecken, drei Ecken hat mein Hut, und hätt' er nicht drei Ecken, so wär' es nicht mein Hut.“ Kindern gefällt dieses Lied heute noch, es ist keck und spöttisch, gar nicht bieder wie der Ruf, den der Hut heute in Europa vornehmlich hat. Er gilt als „alter Hut“, als altvattrisches, unpraktisches, von der westlichen Zivilisationsgeschichte entsorgtes Accessoire, als Relikt des braven Bürgers. Ein Symbol zahnloser Zivilisiertheit erscheint er schon in einer Bemerkung Anton Kuhs aus den 1930er-Jahren: „Aber der Mensch pazifizierte sich. Er bekam Nasenpolypen und Bürgerehre. Er erfand den Hut.“

Aber warum hat der Hut im Lied eigentlich drei Ecken? Weil ein Dreispitz damit gemeint ist. Dieser war, als der Text im Saarland Ende des 19. Jahrhunderts in Umlauf kam, noch verbreitet. Es gibt auch eine Textvariante, die bis in die napoleonische Zeit zurückreichen soll: „Mein Hut, der hat drei Ecke, drei Ecke hat mein Hut, Napoleon soll verrecke, Mit seiner blech'ne Schnut“ . . . Jüdische Kinder sangen das Lied auch beim Purimfest, angeblich als Anspielung auf den judenfeindlichen persischen Wesir Haman und seine charakteristische Kopfbedeckung.

In der Schau „Chapeau“ im Wien-Museum kommt das Lied nicht vor, es demonstriert aber perfekt, was hier an unzähligen Stücken aus der hauseigenen Hutsammlung – einer der größten Europas – erfahrbar wird: Hüte machten jahrhundertelang Leute, Politik, Identitäten – und standen stellvertretend dafür. Kaum ein Kleidungsstück eignete sich so gut als Statement, als ständisches Erkennungszeichen, als eigenständiges Symbol – vor allem der Macht (kein Wunder, er macht größer, breiter). Wenn Wilhelm Tell sich in Schillers gleichnamigem Stück weigert, einen Hut zu grüßen, verweigert er dessen Träger den Respekt – dem Reichsvogt Hermann Gessler – und damit auch den Habsburgern, in dessen Diensten dieser steht.

Überlebende Hüte – in Redensarten

Heute ist die Kopfbedeckung im Westen fast abgeschafft (einziger Gegentrend: das importierte Kopftuch), eine der auffälligsten Änderungen im Bereich gesellschaftlicher Dresscodes. Am besten hat der Hut noch in Redewendungen überlebt, von „den Hut nehmen“ bis „Damit hab' ich nichts am Hut“ oder auch „Eins auf den Deckel bekommen“ (den umgangssprachlichen Hut). Und nun das – Hüte, Hüte, Hüte, wohin man blickt, wunderbar in Szene gesetzt in ein paar Räumen im ersten Stock des Wien-Museums, in allen erdenklichen Farben, Formen und Materialien. Dabei sind hier nur ausgewählte Wiener Hüte seit der Revolution von 1948 bis heute zu sehen, Hüte, die mit signifikanten Geschichten und Trägern verbunden sind. Die 1848er-Revolution als Startpunkt bietet sich an, in vielleicht keiner Phase österreichischer Geschichte spielten Hüte als politisches Erkennungsmerkmal (auch in Karikaturen) eine größere Rolle. Ein „politischer Hut“ par excellence war der Kalabreser, ein breitkrempiger schwarzer Filzhut, benannt nach seiner süditalienischen Herkunftsregion, wo ihn Freiheitskämpfer trugen. Die Revolutionäre in Wien übernahmen ihn, sein Widerpart war der als „Angströhre“ verspottete Zylinder, Symbol des braven Bürgers, der Reaktion.

Viel später war Wien wieder ein Zentrum politisch bedeutsamer Hutmode: Adele List schuf während des Nationalsozialismus „zum ersten Mal eine Hutmode, die deutsche Modeschöpfer für den Typ der deutschen Frau geschaffen haben“, wie die Zeitschrift „Die Mode“ 1941 schrieb: Haute Couture, made im Deutschen Reich statt im feindlichen Paris.

Jelinek über Elfriede Gerstls Hüte

Elfriede Jelinek schreibt im fabelhaften Katalog über die ihr im Wiener Stadtbild fehlenden Hüte der 2009 verstorbenen Schriftstellerin Elfriede Gerstl – auch von ihr sind Hüte zu sehen. Gerstl war leidenschaftliche Hutsammlerin und -trägerin, zu einer Zeit, als dies längst als verschroben galt. „Mit Hut ist es immer ein Auftritt, und manche trauen sich eben, manche, wie ich, trauen sich nicht“, schreibt Jelinek. Besonders gern trug Gerstl Männerhüte – eine gern als Anmaßung kritisierte Form weiblicher Selbstermächtigung, die schon Marlene Dietrich in „Der blaue Engel“ eingesetzt hat.

Mit den alten Hüten sind Zuschreibungen aller Art verschwunden – politische, ständische, religiöse. Und zwar so restlos, dass es fast verwunderlich ist, dass diese von traditionellen Zwängen befreite Modeform nicht längst wieder aufblüht. (Autorin und Bloggerin Stefanie Sargnagel ist eine Ausnahme, sie trägt seit 13 Jahren eine – in der Schau gezeigte – rote Baskenmütze als Markenzeichen.) Spannend als Zeichen und Modeerscheinung ist derzeit nur das importierte islamische Kopftuch: Es bringt die Kopfbedeckung zurück als – ja, auch politisches – Zeichen in ein Europa der frei gewordenen Köpfe. Kein Wunder, dass so viel darüber diskutiert wird. „Chapeau“ zeigt ein Kopftuch der Muslimin und Feministin Düdü Kücükgöl, die ihr Tuch als Freiheitssymbol sieht: Sie habe das Recht, ihre körperlichen Grenzen selbst zu definieren. Schön. Bis zu diesem Recht für alle Musliminnen ist es freilich noch ein weiter Weg.

Wien-Museum: „Chapeau. Eine Sozialgeschichte des bedeckten Kopfes“: Bis 30. Oktober.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2016)

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