Die neue Tate Modern gehört den Frauen

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BRITAIN-ENTERTAINMENT-ART-TATE(c) APA/AFP (DANIEL LEAL-OLIVAS)
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Die Eröffnung des Erweiterungsturms der Tate Modern ist auch eine Landmark für die Öffnung der männlichen, westzentrierten Kunstgeschichte. Man erkennt sie fast nicht wieder, so voll Künstlerinnen, voll Kunst aus Asien und Afrika.

London. So ein Statement von dem Bürgermeister einer Weltstadt in schwierigen Zeiten muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Sadiq Khan, neuer, muslimischer Bürgermeister von London, erklärte am Dienstag bei der Presse-Eröffnung des neuen Tate-Modern-Zubaus: Das Wachstum des Kultursektors stehe „im Herzen meiner Amtszeit“. Herrlich. Das würde man gern einmal von einem Spitzenpolitiker in Österreich hören, einem Land, das einzig für eine Sache weltweit berühmt ist, und das ist nicht der Nischensport Skifahren, sorry. Der letzte aufregende, teure Kulturneubau in der Hauptstadt liegt mit dem MQ allerdings schon einige Jährchen zurück. Und es scheint hier zurzeit weder populär noch opportun, in diese Richtung politisch zu denken.

In London wird dieses Wochenende jedenfalls das weltweit erfolgreichste Museum moderner und zeitgenössischer Kunst um eine spektakulär-subtil an die Ziegelästhetik angepasste Erweiterung gekrönt. Für zwei Millionen Besucher pro Jahr ist das umgebauten Kraftwerk am Themseufer einst 2000 eröffnet worden, umgebaut von den Schweizer Stararchitekten Herzog und de Meuron. Die jetzt auch die superelegante Verwandlung des benachbarten, ehemaligen Umspannwerks in einen pyramidalen, in sich verdrehten Ausstellungsturm verantworten. Im neunten Stock, versehen mit einer Aussichtsterrasse übrigens, die einen atemberaubenden London-Skyline-Rundumblick ermöglicht; natürlich bei freiem Eintritt, wie immer in der Tate (außer bei den Sonderausstellungen).

Wie kann Kunst der Gesellschaft dienen?

Hier wurde aber nicht nur die Ausstellungsfläche für die mittlerweile auf fünf Millionen verdoppelte Besucherzahl um mehr als die Hälfte vergrößert. Mit dem Turm wird auch eine Landmark der gesellschaftlichen Öffnung gesetzt, die aus österreichischer Museumssicht heraus bisher schon sehr groß war. Denn nur vier der neun Stockwerke sind überhaupt für Kunst reserviert. Der Rest ist für Restaurant, Freundesverein, Vermittlung vorgesehen. Und zwar nicht im Keller, wie sonst üblich. Sondern in bester Aussichtslage. Es gehe der Tate eben weniger darum, so Generaldirektor Nicholas Serota, „was wir für die Kunst, sondern was wir für die Gesellschaft tun können“. Dem folgend besuchen heute, einen Tag vor allen anderen, auch 3000 Schulkinder die neue Dauerausstellung, die sich über das altes Gebäude und den neuen Turm gleichermaßen erstreckt, verbunden durch eine Brücke in schwindelnder Höhe, ganz oben unter dem Dach der Turbinenhalle.

Die Schulkinder werden hier eine Kunstgeschichte lernen, wie sie noch nie jemand zuvor gesehen hat. Das muss man wirklich sagen. Denn geht man durch die neue Tate, kennt man sich anfangs fast nicht mehr aus. Wer sind all diese Künstler dieser monumentalen Installationen und Skulpturen, die in immer wieder eingestreuten Soloräumen die Aufmerksamkeit anregen? Es sind in erster Linie Künstlerinnen. Denn die neue Direktorin der Tate Modern, Frances Morris, hat geleistet, was die hier ebenfalls ausgestellte Künstlerinnengruppe Guerilla Girls immer gefordert hat: Frauen müssen nicht mehr nackt sein, um ins Museums zu kommen (als Aktbild nämlich). Sie sind einfach da. Unglaublich, wie frisch dieser Perspektivenwechsel weg von den im Westen längst austauschbar gewordenen großen (Männer-)Namen die bestens bekannte Erzählung der jüngeren Kunstgeschichte wieder erscheinen lässt.

Louise Bourgeois war natürlich Fixstarterin, aber auch ihre US-Gegenspielerin Louise Nevelson ist mit einem Soloraum vertreten, ebenso die Grande Dame der polnischen Konzeptkunst, Magdalena Abakanowicz, die nicht nur erstmals in London überhaupt, sondern auch gleich mit einer saalfüllenden Installation amöbenhafter Jutesackobjekte zu sehen ist. Die theatrale Bildhauerin Rebekka Horn, die abstrakte Malerin Bridget Riley, die britische Bildhauerin Phyllida Barlow – alle groß da. Schon allein, um das Vorurteil zu widerlegen, dass Künstlerinnen keine repräsentativen, großen Werke machen. Ha!

Auch ein paar Österreicherinnen, Valie Export, Birgit Jürgenssen, findet man in den thematisch geordneten Räumen und Sälen. Ganz am Anfang gleich eine Überraschung mit zwei Bildern, einem Stillleben mit Schaf (1938) und einem Blick aus dem Wiener Fenster, von der hierzulande zu wenig bekannten Marie-Louise von Motesiczky (1906 in Wien geboren, 1996 in London gestorben). Mit dem Wiener Aktionismus hat es Frances Morris augenscheinlich nicht so, er kommt weder in den Kapiteln „Kunst und Gesellschaft“ noch „Material“ vor.

Man kann eben nicht allem gerecht werden. Hier wird man vielem gerecht. Denkt man allein daran, dass bei Eröffnung der Tate Modern vor 16 Jahren nur 17 Prozent Künstlerinnen ausgestellt waren. Es gab damals so gut keine Fotografie, Installation, Video, fast nur Kunst aus Nordamerika und Europa. Jetzt hat man eine Frauenquote von 50 Prozent bei den Soloräumen vorzuweisen. Eine merkliche Bewegung weg vom eurozentrischen Kunstgeschichteblick, indem man Künstlern aus Afrika und Asien prominent Platz gibt. Eine Aufstellung, die den Besucher mit allen Medien immer auch zu unterhalten, zu reizen versucht. Der neuen Tate Modern ist tatsächlich nicht nur eine räumliche Erweiterung gelungen. Sie ist der Gesellschaft gefolgt.

Die Autorin war auf Einladung der Tate Modern in London.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2016)

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