Schlangen, Schokohasen, Scherben

 Echter Apfel, gezeichnete Schlange, diese Assoziation läuft trotz Medienvielfalt wie am christlichen Schnürchen: „Über die Jahre“, 1989/2015.
Echter Apfel, gezeichnete Schlange, diese Assoziation läuft trotz Medienvielfalt wie am christlichen Schnürchen: „Über die Jahre“, 1989/2015.(c) Bildrecht Wien, 2016
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Ingeborg Strobl nimmt ihr ganzes Werk und arrangiert es neu, zu einer großen Installation der Assoziationen. Was heraussticht, sind ihre Keramiken der 1970er-Jahre.

Dass Ingeborg Strobl es den Besuchern des Linzer Lentos leicht mache, kann man nicht behaupten. Zwar lockt ein recht erdiges Riesenplakat auf dem Museum ins Innere, es zeigt sonnenvernarbte Paradeiser, deren Duft man fast zu riechen meint. Sehr bio. Damit, so Strobl, könne wohl jeder etwas anfangen. Nach diesem Anfang bleibt man in der Ausstellung im großen Oberlichtensaal des Lentos jedoch ziemlich allein.

Allein mit seinen Augen, seinen Erfahrungen, seinen Assoziationsmöglichkeiten, seinem guten Willen und ziemlich vielen Vitrinen. Diese wirken modern und altmodisch zugleich, könnten sogar als historisches Zitat der ebenfalls der Vitrine sehr zugeneigten Künstlerinnenvereinigung Wiener Frauenkunst aus den 1930er-Jahren gelesen werden. Wie auch immer, man hat hier alle Freiheiten, wie die 1949 in Schladming geborene Künstlerin es in einem kurzen Video der Ausstellung voranschickt: „Jeder kann sich über meine Arbeit denken, was er will. Jede Interpretation ist richtig.“ Danke.

Alltagsschrott neu arrangiert

Auf also, ganz ohne Beschriftungen, ohne kuratorische Leitfäden, vielleicht ja sogar Wandtexte: Strobl hat für diese große Schau ihr gesamtes Werk als Material benutzt, so wie sie sonst gefundenes Material benutzt: Schlagzeilen, Schokohasen, alte Drucke, Zeitungsfotos, Pflanzenblätter, Kerne, filmische Augenblicke, einfach alles. Unseren ganzen Alltagsschrott, den sie neu arrangiert, vernetzt, auflädt. Tiere spielen dabei eine wichtige Rolle, Schlangen, Hasen, eine Vitrine ist dem Rindsvieh allein gewidmet, u. a. mit dem von Strobl entworfenen Schriftzug „Kuhhaut“ aus Fellbuchstaben und einer Plastikspielzeugkuh, der sie mit goldenen Kartonflügerln einen mythischen Touch, eine Fluchtmöglichkeit aus dem Kommerz geschenkt hat.

Hat man sich erst einmal eingesehen, hat vieles hier Ironie (die Vitrine, die an Strobls Zeit bei der feministischen Gruppe Die Damen in den 1990ern erinnert, mit ihren Fellschuhen aus einem Gruppenfoto als Fetisch). Manches ist retrospektiv-dokumentarisch, etwa die Vitrine über Strobls Arbeit bei der U-Bahn-Station Novaragasse, wo sie mit Pflanzen Holzschnitten aus dem 19. Jahrhundert den alten Namen der Gasse (Garteng.) mit dem neuen zusammenbringt, der an die historische Expedition der Novara erinnert.

Manches ist einfach plakativ wie die Vitrine mit dem Button gegen Blau-Schwarz, den Strobl mit Johanna Kandl damals für die Donnerstagsdemos entworfen hat. Vieles ist einfach poetisch. Immer wieder aber bleibt man bei wundervollen, schrägen keramischen Objekten hängen: einer mit Blümchen befüllte Vase aus einem Keramikkalbsfuß etwa, den nur eine untergeschobene winzige Nuss vor dem Umkippen stützt. Keramischen Brustwarzenknöpfen zum Annähen. Einem Trinkgefäß aus einem Schweinekiefer mit goldenen Zähnen. Einem Haufen weißer Scherben, bei dem das zierliche Blümchenmuster auf den sonst doch „leeren“ Bruchstellen sichtbar wird. Das Schöne im Verborgenen. Das „absichtslos Poetische“. Großartig.

In diesen Arbeiten aus Strobls Zeit an der Royal Academy London Anfang der 1970er ist schon der ganze spätere Weg entlang „gesellschaftlicher Befindlichkeiten“, wie sie es ausdrückt, angelegt – der allerdings sofort nach dem Keramikstudium vom Objekt, vom Produzieren wegführte, hin zum Finden und Recyclieren. Ein politischer, logischer Akt. Sehr korrekt. Künstlerisch aber darf man angesichts der feinen alten Scherben schon ein bisschen sentimental werden.

Lentos, bis 18.9., Di–So: 10–18 h, Do: 10–21 h.

(Print-Ausgabe, 20.08.2016)

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