Birgit Schwarz: „Hitlers Endziel war das NS-Genie“

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Birgit Schwarz, Expertin für Kunst im Nationalsozialismus, gastiert beim Philosophicum Lech. Ein Gespräch über Hitlers Schönheitsideale und Kunstpolitik.

„Die Presse“: Das Philosophicum Lech dreht sich heuer um den „Zauber der Schönheit“. Sie sind Expertin für Kunst im Nationalsozialismus. Wie definierte Hitler „Schönheit“?

Birgit Schwarz: Er konnte das Schöne nicht definieren. Das Schöne war für ihn das Produkt des Genies. Und das Genie steht außerhalb seiner Macht.

Aber indirekt bestimmte er dadurch das Schöneja dennoch – bestimmte er doch, wer als Genie zu gelten hatte und wer nicht.

Schwarz: Das entspricht der Genielehre: Ein Genie wird immer nur von einem anderen Genie erkannt, und Hitler hielt sich für ein Genie. Nach Kant können nur Künstler Genies sein, wie er selbst ja einer war. Künstlerisches Schöpfertum ist danach die Grundvoraussetzung, um auch auf anderen Gebieten ein Genie zu werden. Hitlers kulturelles Endziel war das nationalsozialistische Genie. Es dauerte aber recht lange, bis 1937, dass Hitler richtig in die Kunstpolitik eingriff. Erst wollte er die Bedingungen schaffen, um „Genies“, deutsche, arische „Genies“ entstehen zu lassen. 1937 schienen für ihn „negative“, „kulturbolschewistische“ Elemente weitgehend aus dem Kulturleben eliminiert, jetzt konnte er das Wagnis eingehen und die „deutsche, wahre, arische Kunst“ präsentieren – die Große Deutsche Kunstausstellung in München. Die Vorauswahl wurde Hitlers kulturelles Waterloo. Er bekam einen Tobsuchtsanfall, weil die Ausstellung nicht dem entsprach, was er sich vorgestellt hatte, weil das nationalsozialistische „Genie“ noch so weit entfernt schien.

Das muss durch die Ausstellung „Entartete Kunst“ doch klar gewesen sein.

Schwarz: Die kam erst später, war eine Reaktion auf dieses „Desaster“. Hitler hatte sie nicht geplant gehabt, er hatte ursprünglich nicht gewollt, dass die Avantgardekunst derart viel Aufmerksamkeit bekommt. Goebbels scheint ihn dahingehend aber beeinflusst zu haben, in nur wenigen Tagen wurde die Ausstellung dann konzipiert, die viel größeren Besucherzulauf hatte als die Große Deutsche Kunstausstellung.

Spätestens jetzt muss das Schönheitsideal doch klar definiert worden sein?

Schwarz: Nein, es gab Künstler, wie Bildhauer Rudolf Belling, die in beiden Ausstellungen vertreten waren. Mit dem Führermuseum und seiner Museumspolitik wollte Hitler dann aber einen Vorbildkanon schaffen.

Können Sie ein paar Beispiele nennen für diesen Kanon, für Hitlers Geschmack?

Schwarz: Kunst aus dem 19. Jahrhundert war hier wesentlich, Anselm Feuerbach, Hans Makart, die Münchner Genremaler. Er hatte eine große Spitzweg- und Waldmüller-Sammlung. Natürlich auch alle alten Meister, die von der Kunstgeschichte als Genies gefeiert wurden. Ich habe seine Privatsammlung nach verschiedenen Fotoalben und Originalaufnahmen der Innenräume seiner Residenzen rekonstruiert...

Welche Bilder hingen denn bei ihm im Schlafzimmer – Vermeers „Malkunst“?

Schwarz: Nein, die gehörte nicht zu seiner Privatsammlung. Das ist ein häufiges Missverständnis: Kunst, die Hitler ankaufen oder aus jüdischen Sammlungen beschlagnahmen ließ, wird automatisch seiner Privatsammlung oder dem Führermuseum zugerechnet. Das scheint am Kunstmarkt heute fast wie eine Art Gütesiegel verwendet zu werden. Vieles davon aber sollte auf andere Museen verteilt werden, nach Hitlers Willen hätte ja jede Stadt eine Gemäldegalerie bekommen. In Hitlers Schlafzimmer hingen jedenfalls Porträts seiner Mutter und seiner Nichte Geli. An sich gab es in der Privatsammlung aber mehr Landschaftsmalerei und Ruinenromantik. Ein Cranach war übrigens auch dabei, obwohl eine Aussage Hitlers überliefert ist, dass Cranachs Akte nicht seinem idealen Frauenbild entsprächen. Man kann Hitlers Geschmack also nicht ästhetisch fassen, nicht auf einen Stil reduzieren.

Und doch meint man das nationalsozialistische Schönheitsideal genau zu kennen – heroisierte Idealkörper.

Schwarz: Das war eher der neoklassizistische Zeitgeschmack. Wenn man sich nämlich die zeitgleiche populäre Kunst in anderen Regimen ansieht, etwa in der damaligen Sowjetunion, sieht das alles verdammt ähnlich aus.

Der Titel Ihres Vortrags in Lech lautet „Das Schöne als Wille und Vorstellung: bildende Kunst im Dritten Reich“. Sie beziehen sich dabei auf Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Wie hängt das zusammen?

Schwarz: Der Wille, Schönes zu produzieren, ist im Nationalsozialismus vorhanden, der Wille war für die Nazis überhaupt alles. Aber das Genie, Schöpfer des Schönen, zu produzieren, das schafft der Wille nicht. Deshalb bleibt es bei der Vorstellung. Hitler hat sich ja als Schüler Arthur Schopenhauers bezeichnet, Schopenhauer war der von ihm meistzitierte Philosoph. Die letzten Tage im Führerbunker zeigen deutlich, was Hitler mit der Kunst tatsächlich wollte – sie diente ihm dazu, sich selbst als Genie darzustellen. Schopenhauer sagte, das Genie kann die Welt, die vom Willen regiert wird, allein in der Betrachtung von Kunst überwinden. Und Hitler ließ sich in den letzten Tagen ein Modell seiner Planungen für Linz in den Bunker kommen. Fotos zeigen ihn, wie er versunken davor sitzt – da inszeniert er sich als das Genie, das die Welt in der Vorstellung überwindet. Diese Genie-Inszenierung nach Schopenhauer hat man bisher noch nicht so analysiert. Wie auch nicht Hitlers Identifikation mit Friedrich dem Großen, dessen Porträt er in alle Quartiere mitnahm. Auch im Bunker hing es über seinem Schreibtisch. Er redete sogar mit ihm, hat ihn total imitiert – Eva Braun sagte, als sie ihm einmal Brösel von der Uniform wischte, sogar sinngemäß zu ihm: „Du musst den alten Fritz ja nicht in allem nachmachen.“

AUF EINEN BLICK

Das 13. Philosophicum Lech beschäftigt sich bis 20. September mit dem Thema „Der Zauber des Schönen – Reiz, Begehren, Zerstörung“ (Infos: www.philosophicum.com). Unter den Vortragenden und Diskutanten sind neben Birgit Schwarz u. a. Michael Köhlmeier, Elke Krystufek, Konrad Paul Liessman, Michael Fleischhacker und Andreas Rudas.

Birgit Schwarz (*1956) ist freischaffende Kunsthistorikerin und Ausstellungskuratorin. Nach ihrer Promotion im Fach Kunstgeschichte an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz 1984 absolvierte sie ein Volontariat an der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe 1985/1986, von 1987 bis 1989 folgten Forschungsaufenthalt in Rom. Seit 1990 ist sie als freischaffende Kunsthistorikerin und Kuratorin in Freiburg, Trier und Wien tätig. Schwarz verfasste zahlreiche Publikationen zur Malerei und Glasmalerei des 20. Jahrhunderts, zum „Führermuseum Linz“ und zum Selbstverständnis Hitlers als Künstler, Mäzen und Sammler. [Birgit Schwarz]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2009)

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