Raus aus der Schmuddelecke: Shunga-Revival!

„Belauschtes Liebespaar“, von Utagawa Kunisada, um 1830/40.
„Belauschtes Liebespaar“, von Utagawa Kunisada, um 1830/40.(c) Leopold Privatsammlung, Wien/Foto MAK, Georg Mayer
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Diethard Leopold, Sohn von Sammler Rudolf, zeigt mit dem MAK ab Mittwoch die erste große Ausstellung japanischer Erotikbilder, Shunga, im deutschsprachigen Raum.

Im neuen Schiele-Film „Tod und Mädchen“ scheint alles ganz klar: Egon Schiele hatte selbstverständlich farbige Shunga-Blätter gleich neben dem Bett liegen, die er zwecks Inspiration studierte. Shunga ist sozusagen das ostasiatische Kamasutra, es sind erotische, auch pornografische, also explizit den Geschlechtsakt zeigende Farbholzschnittserien. „Frühlingsbilder“ lautet die Übersetzung, man kann sich den Zusammenhang denken. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts fanden sie dank der neuen Drucktechnik rasende Verbreitung in Japan. Mit Öffnung des Landes gen Westen kamen sie Ende des 18. Jahrhunderts auch nach Europa, wo man die hier ungewöhnlich direkte, unverstellte Abbildung von Geschlechtsakt und Genitalien bewunderte. „Darf ich dir meine japanische Holzschnittsammlung zeigen?“, soll etwa in Frankreich zur damaligen Zeit das gemeint haben, was später die Lockung der Plattensammlung gewesen ist.

Ob das das Geheimnis von Gustav Klimts Erfolg bei der Wiener Damenwelt war? Jedenfalls ist belegt, dass er zumindest das Faksimile eines relativ alten, also noch schwarz-weißen Shunga-Albums besaß. Schieles Shunga-Bettlektüre dagegen ist (noch) rein filmische Fiktion, obwohl man natürlich annehmen müsse, dass alle diese Gattung kannten, sagt Diethard Leopold. Er hat sich intensiv mit Schiele beschäftigt. Und mit Shunga. Der Japan-Kenner hat unter anderem die Sammlung japanischer Holzschnitte seines verstorbenen Vaters Rudolf geerbt. Denn neben der bedeutendsten privaten Wien-um-1900-Sammlung konnte Rudolf Leopold auch die vermutlich einzige Shunga-Sammlung in Österreich aufbauen. Wohl aus derselben Faszination heraus, die auch die von ihm so verehrten Wiener Maler empfanden.

In Kooperation mit dem Museum für angewandte Kunst und mit dem dortigen Asiatika-Spezialisten Johannes Wieninger ist jetzt erstmals eine repräsentative Auswahl nicht nur aus der mittlerweile auch von Sohn Diethard weitergeführten Leopold'schen Shunga-Sammlung zu sehen. Es sei auch die erste derart große Shunga-Ausstellung im deutschsprachigen Raum überhaupt, meint Wieninger.

Die Bilder der immer sehr kunstvoll von prächtigen Gewändern umrahmten und begleiteten Geschlechtsakte und Annäherungsversuche sind nämlich gerade erst auf dem Weg heraus aus der Schmuddelecke, in der sie auch in Japan gelandet sind. Man muss sich vorstellen: Erst 2013/14 fand die erste große Shunga-Ausstellung in London statt, im British Museum, die dann, 2015, nach Tokio weiterging – als erste Shunga-Ausstellung überhaupt im Land ihrer Entstehung.

Gleichberechtigte Darstellung. Auch dort war es nämlich nicht so, dass Shunga-Bilder offen auf den Tee-Tischchen lagen. Sie landeten wie Pornografie in Europa ebenfalls in den Schubladen, wurden unter der Hand gehandelt. Dass Shunga in Japan zur sexuellen Aufklärung dienten oder zur Hochzeit geschenkt wurden, sei eher eine europäische Vorstellung, die Regel sei das nicht gewesen, so die Kuratoren – vor allem diente Shunga dem Vergnügen. Das aber zumindest theoretisch immerhin beiden Geschlechtern.

Denn einer der größten Unterschiede zu europäischer Pornografie und einer der Hauptgründe, warum Shunga jetzt, in unserer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, eine Art Entdeckung feiern kann, ist die gleichberechtigte Darstellung von Frauen und Männern beim Geschlechtsakt. Bleiben wir im europäischen Vergleich bei Klimt oder Schiele, konzentrierten sich die beiden vorwiegend auf die nackte Frau und ihr Geschlecht, das sie vielleicht ja auch durch Shunga-Vorbilder angeregt in großer Deutlichkeit einem männlichen Betrachterblick darboten. Den tatsächlichen Geschlechtsakt stellten sie allerdings fast nie dar. Ganz im Gegenteil bei Shunga, wo es vorwiegend um den Akt geht, um Männer mit Frauen (ihrer aufwendigen Aufmachung nach vor allem mit Damen der abgezäunten Vergnügungsviertel). Oder um Männer mit Männern. Oder um Frauen mit Frauen. Oder um Tiere mit Tieren. Da war man nicht so streng.

Sodomie und Sadomaso dagegen wurden auffällig ausgespart (bis auf Szenen in Traumdarstellungen) – „mit bizarrem Sex können wir nicht aufwarten“, sagt Diethard Leopold. Trotzdem wird am Eingang zur Ausstellung im Keller des MAK (sonst das Design Labor) extra gewarnt, dass die „explizit erotischen Darstellungen das moralische Empfinden von Personen unter 16 Jahren verletzen könnten“.

Das ausgesprochene Anliegen der Ausstellung aber ist die kunsthistorische Einordnung der Gattung. Anders als der Großteil der expliziten Pornografie in Europa waren Shunga eine der Haupteinnahmequellen der angesehensten Meister der Holzschnittkunst (Ukiyo-e), des geläufigen Katsushika Hokusai (1760−1849) zum Beispiel, wichtige Namen sind aber auch Suzuki Harunobu (1725–1770) oder Kitagawa Utamaro (1753−1806). Die Alben von Letzterem sind heute fast nicht mehr auf dem Kunstmarkt erhältlich. Im MAK ist jetzt seine Serie „Erwachen der Begierde“ (1799) vollständig zu sehen, sie stammt aus der Leopold-Sammlung.

Nur ein Shunga in MAK–Sammlung. Das MAK selbst besitzt nur eine einzige, dafür wunderschöne Shunga-Bildrolle, immerhin das älteste Exponat in der Ausstellung aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, von einem unbekannten Maler. Hier, in der Zeit noch vor der massenhaften Verbreitung durch den Holzdruck, beginnt die chronologische Aufarbeitung. Weiter geht es mit comicartigen, frühen Schwarz-Weiß-Drucken, es folgen Einzelblätter und mehrere Serien, die meist aus zwölf den Monaten entsprechenden Blättern bestehen, plus einem dreizehnten Deckblatt.

Ende des 19. Jahrhunderts verlor das Medium durch Aufkommen der Fotografie an Bedeutung. Folgerichtig schließt die Schau mit Fotos von Nobuyoshi Araki (geb. 1940), aus dessen Werk man betont die Darstellung von Paaren ausgesucht hat – um ihn auch inhaltlich als Shunga-Erben zu präsentieren. Was man diskutieren kann, denkt man an all die frauenkonzentrierten Bondagebilder, für die Araki berühmt ist. Hier ist er doch wieder, der rein männliche Künstler- und Betrachterblick aufs weibliche Lustobjekt! Auch der für Shunga so typische Humor steht nicht im Vordergrund, denkt man etwa an das Shunga-Blatt, bei dem ein kleines Mädchen durchs Schlüsselloch schaut und ruft: „Ich sag's der Mama.“ „Ich sag's dem Papa“ wäre wohl auch für genderbewusste Shunga-Verhältnisse zu viel gewesen.

12. Oktober bis 29. Jänner, Di 10−22 Uhr, Mi−So 10−18 Uhr.

(Print-Ausgabe, 09.10.2016)

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