Architekturzentrum: So bauen die Millennials

Natürlich gestellt, so DIY-gemeinschaftlich baut das Kollektiv Assemble meist nur theoretisch.
Natürlich gestellt, so DIY-gemeinschaftlich baut das Kollektiv Assemble meist nur theoretisch. (c) Assemble
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Angelika Fitz startet ihr Programm als neue Direktorin des Architekturzentrums Wien mit dem jungen englischen Kollektiv Assemble. Must-see.

Angelika Fitz scheint einen guten Riecher zu haben. Die neue Direktorin des Architekturzentrums Wien landet mit ihrer ersten Ausstellung einen programmatischen Coup. Seit einigen Jahren bereits, erzählte sie am Mittwoch bei der Pressekonferenz, verfolge sie ein seltsames kleines Grüppchen junger englischer Architekten, Literaturwissenschaftler, Kunsthistoriker, Designer und Soziologen. Alle erst Ende zwanzig, verbunden nur durch zwei Jahrgänge in Cambridge. Wo sie vor sieben Jahren bei einer Geburtstagsfeier spontan beschlossen, doch einmal etwas gemeinsam zu machen. Zum Beispiel eine verlassene Tankstelle in der Londoner Clerkenwell Road mit goldenen Vorhängen zu verhängen und in ein temporäres Kino zu verwandeln, samt Bestuhlung und Uniformen. What a fun! Assemble nannte sich die 15- bis 18-köpfige Gruppe daraufhin. 2015 bekam sie den coolsten Kunstpreis der Welt, den Turner-Preis.

Skandal, schrie die englische Kunstszene damals, Architekten! Kann das „Kunst“ sein? Verdammt, dachte sich Angela Fitz, die mit dem plötzlichen Ruhm der jungen Truppe schon ihre Eröffnungsausstellung dahinschwinden sah. Tatsächlich kann sich die Gruppe die Aufträge mittlerweile aussuchen. Tatsächlich kann Fitz jetzt dennoch die erste Überblicksausstellung von Assemble überhaupt im Museumsquartier zeigen.

Schicke Scheunen zum Sharen

Wirkt irgendwie exotisch hier. Aber Assemble ist kein englischer Spleen, sondern die Zukunft, sozusagen die Raum gewordene Generation Y, für die der Bau oder schon der Besitz eines Einfamilienhauses oder gar der Bezug eines Kobels in einem sterilen Newsroom Schauer des Ekels von den großen Kopfhörern bis hinunter in die weißen Sneakers jagt. Die Millennials wollen alles sharen und möglichst öffentlich alles liken, also sich darstellen. Die passenden architektonischen Displays für diesen Lifestyle müssen dementsprechend flexibel, gemeinschaftlich, günstig, aber bitte auch sozial und ökologisch nachhaltig sein. Und hohen ästhetischen Ansprüchen genügen. Denn chic muss die Scheune der Work-Life-Party-Farm schon sein. Eine „wertige Fassade“ haben, wie Fitz das ausdrückt, wenn man im AZW vor dem raumhohen pastellfarbenen Wandfragment steht, einem Relikt der Fassade, die Assemble ihrem Coworking-Projekt „Yardhouse“ vorgeblendet haben, wo sie günstige Künstlerstudios angeboten haben, was in London immer fehlt. Jeder durfte dann bunte selbst gebrannte Ziegel, (fast) wie er will, auf der Fassade verteilen, was aus der Entfernung wie ein nicht zu entschlüsselndes Pixelbild aussieht, das naturgemäß zu einem Instagram-Selfie-Hit wurde. Zurzeit ist das „Yardhouse“ abgebaut, um im Herbst an anderem Standort in London neu zu eröffnen.

Die Möglichkeit des schnellen Auf- und Abbaus, das unverbindlich Provisorische, ist ein Charakterzug, der immer wieder betont wird, der auch den Protest gegen eine immer schwerfälligere, immer reguliertere, immer hochpreisigere, investorenabhängige Bauindustrie enthält. Was auch bei dem Projekt spürbar werden soll, das Assemble-Mitglieder mit Studierenden der TU Wien erarbeitet haben, wo sie auf Betreiben von Fitz eine zweisemestrige Gastprofessur innehatten. Warum haben sie sich nicht gleich das Heumarkt-Projekt vorgenommen? Welche Lösung wäre Assemble dazu wohl eingefallen? Jetzt steht im MQ-Hof eben das „Brickerl“, ein als „öffentliche Werkstatt“ angelegter Pavillon aus rohen Wienerberger-Ziegeln, die nicht durch Mörtel verbunden wurden, sondern durch Bänder – damit der sonst unsichtbare, weil verputzte Rohstoff, aus dem (fast) ganz Wien gebaut ist, schnell wieder auseinandergenommen und wiederverwendet werden kann. Nett. Ein Pavillon mehr im MQ, man wird ab der Eröffnung am 21. Juni sehen, was sich im Ziegeltürmchen diesen Sommer genau abspielen wird.

Spielplatz gegen gebrochene Seelen

Lustiger wäre auch eine Version des „Baltic Street Adventure Playground“ gewesen, den Assemble in einem schwierigen Viertel Glasgows ermöglicht haben. Gemeinsam mit Eltern und Anrainern wurde hier aus No-Cost-Materialien ein Abenteuerspielplatz aufgebaut, den die Kinder weiterbauen können, ganz nach dem Motto „Lieber ein gebrochener Knochen als eine gebrochene Seele“. Andere Länder, andere Bauordnungen, andere Architektur, anderer Spirit eben. Beneidenswert manchmal, sieht man etwa die Fotos vom „Oto“-Konzertraum, den Assemble 2013 mit 60 Freiwilligen aus dem Boden gestampft haben – wortwörtlich: Man nahm einfach den Bauschutt, der auf einem Gelände irgendwo im Osten Londons herumlag, füllte ihn in weiße Plastikreissäcke aus dem Asia-Markt und setzte einen hölzernen Dachstuhl darauf. Perfekte Akustik, angeblich.

Den Turner-Preis bekamen Assemble aber für ein bis heute bestehendes Sozialprojekt: Der „Granby Workshop“ hauchte einem Liverpooler Arbeiterviertel Hipster-Do-it-yourself-Lebensgeist ein, man räucherte plötzlich Keramiktürgriffe über dem Gartengrill (Patina!) und schliff Bauschuttkonglomerat zu englischen Kaminsimsen (Terrazzo!). Die Werkstätten gibt es bis heute, sie haben sich verselbstständigt. Assemble sind längst weitergezogen. Jetzt sogar kurz nach Wien. Um wieder etwas zu starten, ein neues AZW in diesem Fall.

ZU DEN PERSONEN

Angelika Fitz, 1967 in Hohenems geboren, Kulturtheoretikerin und Kuratorin, leitet seit 2017 das Architekturzentrum Wien im MQ. Die Ausstellung „Assemble. Wie wir bauen“ ist die erste von ihr programmierte, sie kuratierte sie gemeinsam mit Katharina Ritter. Bis 11. 9., täglich geöffnet: 10–19h.

Assemble (engl. zusammenbauen, versammeln) ist ein Kollektiv aus 18 jungen englischen Architekten, Künstlern, Theoretikern. Gegründet wurde es 2010. 2015 bekam es den Turner-Preis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2017)

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