"Memory Diamonds": Gepresstes Andenken

Verewigt. Die Asche von verstorbenen Menschen, gepresst zu einem Diamanten.
Verewigt. Die Asche von verstorbenen Menschen, gepresst zu einem Diamanten.(c) Reiner Riedler
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Das Vienna Photobook Festival stapelt dieses Wochenende die Fotobücher. Ein neues legt auch Fotograf Reiner Riedler ganz oben auf.

Er ist hörig – seinem Bauch. Der flüstert ein, der Fotograf folgt. Reiner Riedler weiß ja, mit Gefühlen braucht man gar nicht anfangen zu diskutieren. Früher noch ist Riedler ganz anderen Stimmen gefolgt. Da hat er sich schicken lassen, von Medien wie „Stern“, „Spiegel“, „Le Monde“ oder „New York Times“, als Pressefotograf nach Albanien, in die Ukraine. Überhaupt sehr oft nach Osteuropa, wie er gerade feststellt. Heute fotografiert Riedler auch noch immer im Auftrag anderer. Aber am liebsten, gesteht er, schickt er sich selbst auf die Reise. In die Tiefe seiner Projekte. Auch weil er, Künstler halt, nicht anders kann – immer diese Bauchstimme!

Der Kopf hat natürlich auch einiges zu tun. Die Augen vor allem – weil eben: Fotograf. Doch Interessen, sagt Riedler, die könnten nie so stark sein wie diese Gefühle, die ihn ziehen. Und wieder mal ist er dem Ruf gefolgt: Vier Jahre hat er recherchiert, gesammelt, gestaltet und ja – schließlich auch Fotos gemacht. Damit sich jetzt sein neuestes Fotobuch „Memory Diamonds“ stapeln darf, dort, wo sich dieses Wochenende – am 10. und 11. Juni noch Hunderte andere Fotobücher häufen und türmen: beim Vienna Photobook Festival in der Brotfabrik Wien.

Das Fotobuch: Manche haben es schon als eine Art „Kunstraum“, den man aufschlägt, wenn man ihn betreten will, betrachtet. Gleichsam als „White Cube“, nur zweidimensional verflacht. Ein ziemlich aktuelles Genre, wie auch Reiner Riedler meint: Schließlich verträgt die Bilderflut, die vor allem digital ein wenig ausufert, wieder etwas Struktur, eine kuratierte Auswahl, gern mit Anfang und Ende – die zwei Buchdeckel – mit einer Geschichte dazwischen, erzählt mit dem elaborierten Zeichensatz gestalteter Bilder. Noch dazu: Fotobücher eignen sich ganz gut, um Kapitel abzuschließen. Auch im Kopf des Fotografen.

Ewig. „Memory Diamonds“, Fotobuch von Reiner Riedler, im Reflektor-Label.
Ewig. „Memory Diamonds“, Fotobuch von Reiner Riedler, im Reflektor-Label. (c) Reiner Riedler

Gerade auch mit dem Abschließen hat sich Riedler für sein Buch „Memory Diamonds“ beschäftigt. Mit dem Epilog des Lebens nämlich. Dem Kapitel danach. Denn auf einer Messe ist Riedler einer Firma begegnet, die anbietet, Verstorbene funkelnd zu verewigen: Aus ihrer Asche pressen sie Erinnerungsdiamanten. Schon begann Riedlers Bauch zu flüstern. Er trat in Kontakt, zuerst zur Firma, dann zu den Hinterbliebenen, baute Vertrauen auf, trauerte mit, weinte mit. Und fotografierte – die Diamanten, die Hinterbliebenen. Es wurde ein Fotobuch, das ganz anders ist als seine früheren, denn die meisten Fotos stammen aus den Familienalben und Privatarchiven der Verstorbenen. Fünf Lebensgeschichten hat Riedler so zusammengetragen, jede endet mit einem Diamanten. „Als Fotograf habe ich mich allmählich zurückgenommen, weil ich wusste: Das ist nicht meine Geschichte, sondern die Geschichten der Menschen.“

Der Diamant, als Form der Erinnerung, und die Fotografie, beide hätten auch Gemeinsamkeiten. „Durch das Foto befördert man den Moment gleichsam in die Vergangenheit“, sagt Riedler. Und der Diamant, das ist die geballte, verdichtete Vergangenheit eines ganzen Lebens. Schließlich rutscht einem beim Thema Fotografieren ja auch gern das Wort „verewigen“ von der Zunge.

Label, nicht Verlag. Auch bei Verlagen sind Riedlers Fotobücher schon erschienen. Das hat auch seine Vorteile. „Nicht zuletzt hat man als Fotograf dann etwas wie ein künstlerisches Zuhause. Eine Gemeinschaft von Künstlern.“ Doch andererseits ist da wieder dieser Drang – hallo, Bauch! – nach Selbstbestimmung. Auch deshalb gründete Riedler gemeinsam mit anderen Fotografen ein Label, es soll auch so etwas wie ein Zuhause sein, sagt Riedler. Eine Gemeinschaft künstlerisch orientierter Fotografen, die ähnliche Zugänge teilen. Reflektor heißt das Label und „Memory Diamonds“ ist das erste selbstproduzierte Fotobuch, das es trägt.

Die Buchkunst selbst – handwerklich feine Bindungen, ausgesuchte Papiere, unkonventionelle Formate – all das scheint in haptisch unterversorgten Zeiten gerade so aktuell zu sein wie das Fotobuch selbst. Doch das Buchobjekt selbst sollte sich nicht allzu experimentell um die eigentliche Aufgabe herumschnörkeln, findet Riedler. Denn das Buch hat auch einem Zweck zu dienen. Ähnlich wie die räumliche Ausstellungsarchitektur, das Verhältnis von Form zum Inhalt ist da wie dort dasselbe: Die Fotokunst stehe im Vordergrund, die Kunst der Architektur, egal ob Beton, Glas oder bedrucktes Papier, sei nur der Rahmen.

Selbstbestimmte Momente. Mit 14 wusste Riedler schon, dass Fotografie ihn durch das Leben begleiten soll. „Ich wollte immer Geschichten erzählen mit meinen Bildern. Vielleicht konnte ich das, als ich jünger war, einfach noch nicht artikulieren.“ Ein bisschen Lebenserfahrung brauche man schon, um Antwort zu geben auf die Frage, was einem Fotografie bedeutet. Auch das Auf-den-Bauch-Hören muss man sich erst einmal trauen. Doch es sind diese Momente, auf die es den Fotografen hintreibt, diese Momente, die so kurz sind wie die Verschlusszeit der Kamera, doch lang genug sind sie, um „reinzukippen“.

Das gibt einem so ein starkes Gefühl, zu wissen, dass da jetzt genau mein Bild ist“, sagt Riedler. Dass das Bild nur einem selbst gehört, bevor man es übergibt. An die Betrachter. Ob sie nun im Fotobuch blättern oder in einer Ausstellung stehen. Doch als Fotojournalist hätten ihm diese Momente nie ganz selbst gehört, gibt Riedler zu. Auch die Millisekunden, in denen das Licht auf die Sensoren fällt, waren nicht ganz selbstbestimmt. „Wenn ich Reportagefotos mache, fahre ich hin und nehme Bilder mit nach Hause.“ Wenn er künstlerisch-konzeptiv arbeitet, fährt er schon mit Bildern im Kopf hin. Und nimmt sie nachher auf dem Chip wieder mit nach Hause. Die Rastlosigkeit ist auch so ein Begleiter durch die ­fotografische Arbeit. „Ich spüre noch immer die Suche nach einem Sehnsuchtsort oder einem Sehnsuchts­zustand in mir. Ich empfinde das als Kraft, die mich antreibt.“ Und sie kommt, natürlich, aus dem Bauch heraus.

(c) Beigestellt

Vienna Photobook Festival

Zum fünften Mal bekommt das Fotobuch besonders viel Aufmerksamkeit in Form eines Festivals: Die Anzenberger Gallery und die Galerie Ostlicht veranstalten gemeinsam das fünfte Vienna Photobook Festival, am 10. und 11. Juni. Diesmal ist die Expedithalle in der Brotfabrik der architektonische Überbau. Dort stapeln sich nicht nur neueste und auch ältere Fotobücher, von Verlagen oder selbst produziert, dort häufen sich auch die international hochkarätigen Vorträge: Schließlich will das Festival nicht nur Buchmesse sein, sondern vor allem auch Plattform, auf der sich Verleger, Antiquariate, Independent Publishers, Fotografen und Studierende vernetzen. Als Gäste werden erwartet u. a.: die Magnum Legende Bruce Davidson, die Fotografen Nikolay Bakharev, Krass Clement, Rene Groebli sowie der australische Fotobuchexperte Doug Spowart. www.viennaphotobookfestival.com

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