Wie melancholisch ist Kubin?

Radek Knapp gibt dem Knaben auf Kubins Blatt „Schwächling“ (1901/02) eine Stimme: „Ich kann kaum noch sprechen, weil mein Kleid so schwer ist, dass es mir die ganze Kraft nimmt. Ich interessiere mich nur für den nächsten Schritt. Und dann für den nächsten. Und so weiter, bis ich sterbe.“
Radek Knapp gibt dem Knaben auf Kubins Blatt „Schwächling“ (1901/02) eine Stimme: „Ich kann kaum noch sprechen, weil mein Kleid so schwer ist, dass es mir die ganze Kraft nimmt. Ich interessiere mich nur für den nächsten Schritt. Und dann für den nächsten. Und so weiter, bis ich sterbe.“(c) Leopold-Museum
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Das Leopold-Museum zeigt 41 Grafiken Alfred Kubins – und dazu eine begleitende Geschichte des polnisch-österreichischen Schriftstellers Radek Knapp.

Die Idee hat Charme, keine Frage: Das Leopold-Museum öffnete seine umfassenden Kubin-Bestände einem Schriftsteller, ließ ihn eine Ausstellung zusammenstellen – und zu den ausgewählten Blättern eine Geschichte erzählen: Zeit seines Grafikerlebens hat Alfred Kubin immer wieder Bücher illustriert, nun sollte der Spieß einmal umgedreht werden. Seine Bilder sollen diesmal die Literatur inspirieren, die Geschichte dem Bild dienen, nicht umgekehrt.

Gewonnen wurde für das Unterfangen Radek Knapp, und das ist zumindest eine eigenwillige Wahl. Der 1964 in Warschau geborene, in Wien aufgewachsene Knapp geht in Romanen wie „Der Gipfeldieb“ zwar gern von der Verzweiflung aus, aber er löst sie verlässlich in Gelächter auf, einem befreienden zumal, keinem erstickenden. Und Happy Ends mag er auch. Dagegen ist Alfred Kubin ein Künstler des Albs, der uns immer wieder in Erinnerung ruft, dass wir nirgendwo geborgen sind, am allerwenigsten im Schlaf, und dass es keine Rettung gibt. Wie das zusammengehen sollte? Schwer, das wusste auch Knapp, aber er wischte bei einer Pressekonferenz Bedenken beiseite: Er habe in Auseinandersetzung mit einem großen Geist seinen Horizont erweitern, sich weiterentwickeln müssen: „Ich habe nicht gedacht, dass das so schnell gehen kann.“

Die jugendfreie Version

Welche Blätter hat Radek Knapp nun ausgesucht? Vor allem die melancholischen. Die nachdenklichen. Den „Verrufenen Ort“ etwa, mit dem die Ausstellung anhebt. Isidor lebt dort, von dem die Geschichte handelt: „Er ist noch unsichtbar, hat aber einen Entschluss gefasst, der ihn sichtbar machen wird.“ Isidor will in die Stadt – und begegnet dort allen möglichen Gestalten, darunter den „Pflasterpflügern“, die einst Bauern waren und nicht mehr aufhören können zu pflügen, auch wenn auf der Straße nichts wächst. Oder dem „Schwächling“, zu dem der Autor schwermütige Zeilen über einen Knaben gefunden hat, dem das Kleid so schwer wird, dass er nur noch an den nächsten Schritt denken könne, und den nächsten und so weiter, bis zu seinem Tod. Das sind traumverlorene, zum Teil herzzerreißende Passagen, vom sonst so fabulierfreudigen Schriftsteller sehr schlicht erzählt. Es ist ein schöner Ton.

Doch Kubin ist natürlich nicht nur melancholisch, er ist auch und vor allem brutal, seine Bilder sprechen von sexuellen Ängsten und verstecktem Begehren, vom Grauen und davon, dass der böse Traum nicht vorbei sein wird, wenn wir erwachen. Und da weicht Radek Knapp aus. Wenn er ein heftiges Blatt wählt, „Die Masturbation“ etwa, lässt er die Figur ein diskretes „Demnächst heirate ich mich selbst“ flüstern und hinter dem Vorhang verschwinden. Im Leopold-Museum begegnen wir sozusagen der jugendfreien Version Kubins.

Am Ende, beim Verlöschen, beim Tod, da treffen sich die Künstler wieder. Zum Aquarell „Die drei Särge“ fällt Knapp ein: „Und jetzt zähl bis drei!“ „Und dann?“ „Dann ist es vorbei.“ Und das ist ein Ende, fast so schön wie der Anfang.

„Radek Knapp trifft Alfred Kubin“: bis 4. September im Leopold-Museum, Wien. Das Buch zur Ausstellung ist bei Deuticke erschienen (41 Abbildungen, 17,50 Euro).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2017)

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