Adriana Czernin: Die Schatten der Sterne

Adriana Czernin
Adriana Czernin(c) Clemens Fabry
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Adriana Czernin hat diese Weihnachtsausgabe der (Print-)"Presse" mit einem systematischen Sternenmuster durchzogen, das seine Ursprünge in einem islamischen Ornament hat.

Bekannt wurde Adriana Czernin eigentlich mit etwas ganz anderem: zarten Buntstiftzeichnungen von Frauenkörpern, die in florale Netze, später in geometrische Muster verwoben sind. Man weiß nie so recht – suchen sie Schutz hier, ist die Natur, das Ornament, die Kultur ein symbiotischer Fluchtort oder werden sie davon überwuchert, gefangen gehalten. Seit zwei Jahren ist diese Phase jedoch abgeschlossen, ein schwerer Schritt für Czernin, sie musste sich plötzlich selbst ihren (Arbeits-)Mustern entwinden. Worauf sie ihre Technik und Themen radikal änderte, sie wandte sich dem Aquarell zu – und Schatten, Knoten und Seilen.

Im November fragte „Die Presse“ zaghaft bei der 1969 in Sofia geborenen, seit 1990 in Wien lebenden Künstlerin an. Eine neue Weihnachtsausgabe galt es zu gestalten, zum vierten Mal bereits, für viele Künstler ein heikles Thema, jedenfalls eine Herausforderung. Umso mehr freute uns die rasche Zusage Czernins, die im vergangenen Monat fast zu einer neuen Mitarbeiterin wurde. Sie kniete sich in das Projekt hinein, kostete sich und die Grafikkollegen wohl einige Nerven. Aber sie wollte „dem Schnellen, automatisch Oberflächlichen einer Tageszeitung etwas entgegensetzen“. Erst begann sie, die Zeitung mit einem auf den ersten Blick banalen weihnachtlichen Ornament, dem Stern, zu unterwandern, sie zu analysieren – durch das Übergreifen der Muster auf die tatsächlichen Doppelseiten der Zeitung „enttarnte“ sie die Struktur, die sonst durch die Faltung verborgen bleibt.

Symbol kultureller Gemeinsamkeit

Im Gegensatz zu dieser Enthüllung spiegelte sie dafür mit dem Stern eine Form vor, die es ursprünglich so gar nicht gab – sie stammt aus einem Buch über islamische Netzornamente, wurde per Computer herausgelöst, achtmal variiert und wild übereinander gelegt. „In Wirklichkeit sind die Sterne Zickzacklinien, die sich in unterschiedlichem Rhythmus unendlich wiederholen“, erklärt Czernin. „Man sieht diese Ornamente aber auch in Bodenmosaiken italienischer Kirchen des fünften, sechsten Jahrhunderts. Der Islam hat seine heute ihm zugeschriebenen Ornamente ja nicht erfunden, sondern sie in den verschiedenen Ländern übernommen und weiterentwickelt.“ So kann Czernins Ornamentwahl durchaus als Symbol der kulturellen Gemeinsamkeit von Abend- und Morgenland gedeutet werden.

Wobei die Ornamente im Islam immer wilder, fantastischer, bunter wurden. Sieht man sie nebeneinander, erlebt man, so Czernin, fast eine Art „Rausch“, von der Funktion vielleicht ähnlich dem Weihrauch in anderen Religionen. „Es ist eigentlich unglaublich, dass so etwas gerade durch das geometrische Ornament, der strengsten, logischsten Ausdrucksform, in der alle Emotionen ausgespart sind, ausgelöst werden kann“, wundert sich Czernin. Genau dieses Strenge, Präzise wollte sie auch in ihrer „Presse“-Gestaltung betonen – und entschied sich erstmals in ihrem Werk für eine Arbeit am Computer. Der bei ihr zwar auch sonst zum Einsatz kommt, jedoch nur im Vorfeld: „Der Computer ist mein Skizzenblock, hier denke ich. Und es entsteht eine unglaubliche grafische Klarheit – das war mir gerade in diesem Zusammenhang wichtig, weil Zeitungsgrafik, Verzeihung, oft etwas Billiges hat. Eine computergenerierte Grafik, nur eine Farbe, nur eine Linie, schien mir als Gegenkraft dazu geeignet.“

Mehr Tragik als Harmonie

Erst in einer zweiten Stufe des Projekts kamen die Schatten der Sterne dazu. Inzwischen war die Adventzeit über Wien hereingebrochen – und Czernin sah plötzlich überall nur noch blaue Sterne. „Auf einmal wurde mir klar, wie viel in der Öffentlichkeit getan wird, um Weihnachtsstimmung zu erzeugen. Dass das gerade mit blauen Sternen geschieht, hat mich doch ein bisschen getroffen!“ Czernin irritiert der „Druck auf den Einzelnen, eine heile Welt, eine heile Familie zu haben“. Obwohl die Realität „viel mehr Tragik als Harmonie“ in sich trägt. „Das ist die absolute Schattenseite von Weihnachten, die ich vergessen habe, als ich im November zu planen begonnen habe. Auf einmal kamen mir meine blauen Sterne wie ein Teil dieses Betrugs vor. Also gab ich ihnen Schatten. Und die Silhouetten rufen schon ganz andere Assoziationen hervor als die einzeln erkennbaren Sterne.“

Was assoziiert sie selbst eigentlich mit Weihnachten – gab es das überhaupt im kommunistischen Bulgarien? „In unserer Gegend hat eigentlich jeder Weihnachten gefeiert. Es war nur eben ein ganz normaler Arbeitstag und am nächsten Tag ging man in die Schule“, erzählt Czernin. „Meine Großmutter war sehr gläubig, meine Familie sehr oppositionell gestimmt.“

Czernin besuchte ein Kunstgymnasium, „das ist vergleichbar mit einem Skisportgymnasium in Österreich, in dem man für irgendwelche Olympiaden vorbereitet wird“. Ihre Disziplin musste damals eben sozialistischer Realismus heißen. Sie fühlte sich im totalitären Regime sehr beengt und bedrückt, erinnert sie sich, sie wollte immer in den Westen flüchten. Die Wende kam ihr zuvor, mit 20 Jahren ging sie nach Wien, wo sie an der Angewandten aufgenommen wurde, in der Klasse von Mario Terzic. In wenigen Jahren verinnerlichte sie die Moderne. Heute lebt Adriana Czernin in Wien und der Steiermark und zählt zu den erfolgreichsten Künstlerinnen des Landes.

ZUR PERSON

Adriana Czernin
wurde 1969 in Sofia geboren, 1990 zog sie nach Wien. Ihre großformatigen Zeichnungen waren zuletzt u.a. in der Gruppenausstellung „Die Macht des Ornaments“ im Unteren Belvedere zu sehen. Vertreten wird sie von der Wiener Galerie Martin Janda. [Clemens Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2009)

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