Staatsoper: Vorhang der Träume

Zwei streng geordnete Menschen-Massen begegnen sich: Baldessaris Eiserner Vorhang „Graduation“.
Zwei streng geordnete Menschen-Massen begegnen sich: Baldessaris Eiserner Vorhang „Graduation“.(c) Baldessari
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20 Saisonen ist der Eisenmenger-Vorhang schon durch zeitgenössische Kunst verdeckt. Und das ist gut so.

Jedes Mal ist es ein Erlebnis, wenn sich der Eiserne Vorhang in der Wiener Staatsoper hebt oder senkt: eine massive, aber lautlose Performance für die Besucher, die früh kommen und spät gehen. Mittlerweile ist es Tradition, dass man dafür mit einem jede Saison wechselnden Bild auf dem Vorhang belohnt wird. 1998 hat das „Museum in Progress“ dieses Projekt gestartet, wie auf der Bühne achtet man auch hier bei der Künstlerauswahl auf Weltruhm – von Maria Lassnig bis Jeff Koons, von David Hockney bis zu Jungstar Tauba Auberbach konnten die beiden Jetset-Kuratoren-Kapazunder Daniel Birnbaum und Hans-Ulrich Obrist aus dem Vollen schöpfen.

Schließlich bildet die Staatsoper den größten (176 qm) und prunkvollsten Rahmen der Welt. Zum Jubiläum des 20. Vorhangs lud man jetzt John Baldessari (*1931) ein, eine kalifornische Konzeptkunst-Ikone, berühmt etwa durch seine „Cremation“-Aktion, bei der er 1970 alle Ölbilder, die er bisher gemalt hatte, verbrannte – nie mehr malen, lautete die Devise. Von nun an folgte er dem Weg des Marcel Duchamps, dem Konzept, der Idee. Mittlerweile hat Baldessari auch darin einen Signature-Stil, man erkennt seine Werke sofort, vor allem die überarbeiteten Fotografien: Knallbunte Farbscheiben verdecken in ihnen Gesichter, ganze Körper oder Bildgegenstände werden durch monochrome Farbflächen ersetzt. Durch diese Reduktion zu Schemen bzw. durch die Entindividualisierung verwandelt Baldessari diese Fotos feierlicher Anlässe, von Büro-Situationen etc. in Piktogramme unserer Gesellschaft. Rituale, Rollenklischees werden grellbunt sichtbar.

Senkt sich also diesmal der Eiserne Vorhang, sitzt man plötzlich dem ganzen stehenden Studienjahrgang einer US-Universität gegenüber, bei der Graduierten-Feier, alle mit Doktorhüten ausgestattet, unser aller amerikanischer Traum. Das Foto ist historisch, von wann genau, weiß man nicht. Fünf der Männer und Frauen hat Baldessari jedenfalls durch Farbflächen verdeckt. Oder die Konformität betont. Einerseits geht es hier darum, dass eine streng geordnete Menschenmasse einer anderen gegenübersteht bzw. sitzt. Nach welchen Kriterien wird geordnet? (Nach Größe? Geschlecht? Kartenpreis? Wie war das in vergangenen Zeiten?)

Andererseits spiegelt das Spiel mit dem enthüllenden Verdecken die Geschichte des Eisernen-Vorhang-Projekts wider. Denn, was nach 20 Jahren vielleicht nicht mehr alle wissen, geschweige denn einmal gesehen haben: Unter den Bildern der Zeitgenossen verbirgt sich Österreichs braune Vergangenheit: der originale Vorhang, der 1955 bei Rudolf Eisenmenger beauftragt wurde, einem Künstler, der schon seit 1933 NSDAP-Mitglied und von Hitler hochgeschätzt war.

Vielleicht wäre wieder einmal eine Saison der realen Enthüllung einzuschieben, in der man sich des Originals wieder bewusst werden kann. Aber nur eine. Alle 20 Jahre.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2017)

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