Caravaggio: Tollster der tolldreisten Malgiganten

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Als Mörder und Knabenschänder ging der Altmeister aller Altmeister, Caravaggio, in die Kunstgeschichte ein. Zu seinem 400. Todestag 2010 soll nun wieder seine Malkunst in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken.

Das Ende ist das reinste Melodram. An der Küste nahe Rom hat ein Segelschiff angelegt. Es bringt Kostbares: den Maler Caravaggio und einige seiner Werke. Weil er seinen Partner beim Tennis totgeschlagen hat, musste der Künstler aus Rom in den Süden fliehen. Nun will er beim Papst Begnadigung erlangen. Er hat gute Chancen.

Schließlich ist er ein berühmter Mann. Doch nachdem Caravaggio das Boot verlassen hat, fährt dieses mit den Bildern davon, die sein einziges Kapital sind. Diebstahl oder Versehen? Der Maler steht mit leeren Händen da. Er irrt durch die wüste Hafengegend, steckt sich mit Malaria an. Das Fieber rafft ihn hinweg – mit nur 39 Jahren.

Es ist kein Autor eines Kolportageromans, der diese Geschichte erzählt, sondern Wolfgang Prohaska, seit Jahrzehnten im Kunsthistorischen Museum (KHM) Experte für italienische Malerei und speziell für Caravaggio. Nun ist Prohaska in Pension. Mit seiner Nachfolgerin Gudrun Swoboda hat er im KHM die Caravaggio-Sammlung neu gestaltet bzw. gehängt, die Werke des Malers und seiner Nachahmer bzw. Nachfolger. Es gibt sehr viele.


Der „Caravaggismo“ durchzog Europa. Allerdings hat das KHM auch drei der kostbarsten Bilder vom Meister selbst: David und Goliath, wobei sich Caravaggio im abgeschlagenen Haupt des Goliath porträtiert hat; die Rosenkranz-Madonna und die Dornenkrönung. Bei allen Gemälden ist die Provenienz über jeden Zweifel erhaben, was nicht selbstverständlich ist.

Prohaska zitiert einen britischen Kunstexperten: „Der Markt verlangt nach Caravaggio und wenn der Markt nach Caravaggio verlangt...“ Es gibt also nicht nur Nachfolger, es gibt auch zahlreiche Kopisten – wobei Kopien früher weniger anrüchig waren als heute. Bei Erbteilungen etwa bekam der eine das Original, der andere die Kopie. Die Caravaggio-Forscher haben somit jede Menge zu tun, die Spreu vom Weizen zu trennen. Originale kommen kaum mehr auf den Markt.

Die Homosexualität Caravaggios hält Prohaska für „ein Märchen“. Eher hatte er einen Hang zu Prostituierten. Er bildete viel einfaches Volk in seinen Werken ab. Das war seine Stärke. Die Geschichten aus der Bibel gewannen dadurch Aktualität, Authentizität. Die reuige Magdalena, die weinende Magd beim Tod Mariens, der Zöllner, spätere Apostel und Evangelist Matthäus – Menschen wie du und ich. Und: edle Munition gegen den Protestantismus.

Was ist mit den nackten Knaben inklusive auffallender Geschlechtsteile? Nacktheit war bei mythologischen Motiven nichts Besonderes. In manchen Buben sieht man die Züge des Malers, etwa im Lautenspieler, im Jüngling, den eine Eidechse gebissen hat oder im kleinen Bacchus. Alkohol war im Übrigen nicht das Problem Caravaggios, ist Prohaska überzeugt. Der Bursche aus gutem Haus, der früh seine Eltern verlor, die Kontakte zum Hochadel pflegten – wie Sybille Ebert-Schifferer, Direktorin der Bibliotheca Hertziana in Rom, in ihrem neuesten Prachtband berichtet – wurde schnell wütend, wenn es um seine Ehre ging.

Und manchmal auch einfach so: Ein Kellner serviert Caravaggio Artischocken. Der fragt, ob sie mit Öl oder Butter zubereitet sind. Der Kellner murrt: „Warum kosten Sie nicht einfach?“ Caravaggio haut ihm den Teller samt Artischocken ins Gesicht. Die Gerichtsakten zu den Händeln des Malers sind alle aufgehoben worden. Es wäre aber ungerecht, den Künstler nur nach seinen Prozessen zu beurteilen, warnt Sebastian Schütze. Der Caravaggio-Experte ist seit Herbst Professor für Kunstgeschichte an der Universität Wien. Beim Taschen-Verlag hat der gebürtige Düsseldorfer, der zuletzt in Kanada lehrte und viele Jahre in Rom an der Hertziana wirkte, ein schwergewichtiges Buch über Caravaggio und den Caravaggismo herausgebracht.

Er wünscht sich, dass das Werk wieder in den Vordergrund rückt statt der privaten Geschichten. Nach der Ausbildung bei einem angesehenen Meister – die Mutter verkaufte Grundstücke, um das nötige Gold zu beschaffen – übersiedelte Caravaggio von Mailand nach Rom. „Das war damals der künstlerische Mittelpunkt der Welt wie Paris im 19. Jahrhundert oder New York nach dem II. Weltkrieg“, erzählt Schütze. Die Konkurrenz war enorm.

Ebert-Schifferer weiß allerdings zu berichten, dass der vorerst mittellose Jüngling es verstand, eine Fama aufzubauen, Freunde als Werber einzusetzen. Er begann mit kleinformatigen Genrebildern und lernte Kardinal Francesco del Monte kennen. Der nahm Caravaggio in seinen Haushalt auf, nachdem er seine „Wahrsagerin“ und die „Falschspieler“ gesehen hatte.


Was war das Besondere an Caravaggios Kunst? Er zeichnete nicht, hatte keine Schüler – und er war vermutlich nicht besonders religiös. Gelegentlich wurden seine Bilder von den kirchlichen Autoritäten als zu wild abgelehnt.

Wieso es ihm möglich war, derart expressive Figuren und Gesichter ohne Vorbereitung auf die Leinwand zu bringen, darüber gibt es verschiedene Vermutungen, etwa dass er optische Hilfsmittel, z. B. Spiegel oder eine Camera Obscura, benutzte. In der Tat sehen einige seiner Bilder mit den markant aus schwarzem Hintergrund hervortretenden Figuren wie von Scheinwerfern beleuchtet aus: Sie gleichen Fotos.Andere Forscher meinen, dass Caravaggio einfach ein fotografisches Gedächtnis hatte. Er lud sich Modelle ins Atelier, arrangierte sie, skizzierte direkt mit Bleiweiß auf die Leinwand und arbeitete dann das Gemälde aus. Die Echtheit wird heute mit Röntgenaufnahmen festgestellt. Trotzdem muss man ein geschultes Auge haben.

Wenn die Provenienz eindeutig ist und alle Gurus sich zu einer Zuschreibung bereit gefunden haben, ist ein Caravaggio, je nachdem, wie viele Leute auf dem Bild sind, ab 100 Mio. Euro wert. Manchmal sind unter berühmten Bildern andere, z. B. befindet sich unter dem auf Holz gemalten David im KHM ein manieristisches Gemälde von Venus und Amor. Unter dem Martyrium des Matthäus wurden ebenfalls zwei Kompositionen entdeckt, die aber von Caravaggio selbst stammen sollen.


Einen Schrecken erlitten die KHM-Kustoden bei der „Dornenkrönung“. Schließlich wurden vor Jahren schon ein paar Rembrandts des Hauses „abgeschrieben“, d. h. sie sollen nicht vom Meister selbst stammen. Auch bei der „Dornenkrönung“ gab es Zweifel. Durch erneute Untersuchung der Dokumente steht nun fest, dass sie aus der Sammlung des Caravaggio-Förderers und genuesischen Bankiers Vincenzo Giustiniani stammt. An welchem Zwirnsfaden Zuschreibungen hängen, lässt sich daran erkennen, dass die Zweifel an der Zuschreibung durch eine falsche Vermessung des Bildes zustande kamen. Auch sonst fehlt es nicht an skurrilen Begebenheiten rund um das Erbe Caravaggios. So gelten als wichtige Quelle die „Viten“ (1672) von Giovan Pietro Bellori. Der Sammler, Theoretiker und Historiker (1613–1696) lehnte allerdings Caravaggios Werke ab, weil sie nicht dem klassischen Schönheitsideal folgten. Folglich war Bellori Zielscheibe von ziemlich derben Spottgedichten Caravaggios und seiner Freunde. Belloris Urteile waren also gewiss nicht unvoreingenommen.

Abgesehen davon, dass sich „Expansionisten“ und „Strenge“ Duelle über das wahre Ausmaß des für die kurze Lebenszeit des Künstlers mit 68 bis 69 Bildern umfangreiche Werk liefern, gibt es auch noch kuriose Moden in der Beurteilung. „In den Siebzigerjahren war die Homosexualität plötzlich ein großes Thema in der künstlerischen Forschung, was mit der damaligen sexuellen Befreiung zusammenhing“, berichtet Schütze: „Ein zentrales Thema für das Werk ist das sicher nicht.“ Dass Caravaggio ein wüster Kerl sein konnte, steht allerdings auch für den Schöngeist Schütze außer Zweifel.

Nach dem Totschlag in Rom und der Flucht nach Malta betörte das Malergenie den Großmeister des Malteserordens mit einem Porträt und einem monumentalen Gemälde, der Enthauptung von Johannes dem Täufer, Patron der Malteser. Der Johannes ist das einzige signierte Bild Caravaggios, auch so ein Punkt, der den Forschern reichlich Stoff zum Streiten über die Echtheit von Bildern bietet.


Der Großmeister machte Caravaggio zum Malteserritter, was nur mit päpstlicher Genehmigung möglich war. Der Künstler lohnte es ihm schlecht. Er verletzte einen Ritter schwer, landete im Gefängnis und floh bei Nacht und Nebel aus der Festung – mithilfe des Großmeisters, der sein böses Protektionskind loswerden wollte? In der Folge zog Caravaggio durchs damals spanische Süditalien – und hinterließ überall seine hinreißenden Werke.

Zwei Ausstellungen gibt es rund ums Todesjahr. Die eine wird im Februar in Rom eröffnet, für sie wird auch der David aus dem KHM verliehen. Schütze gestaltet 2011 eine Schau über Caravaggio und Caravaggismo, die in der National Gallery in Ottawa (Kanada) sowie im Kimbell Art Museum Fort Worth (USA) gezeigt wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2010)

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