Unteres Belvedere: Wiesenblumen und andere Randgesellschaften

Der wie zufällig abgelegte Feldblumenstrauß war das Markenzeichen der österreichischen Stimmungsimpressionistin Olga Wisinger-Florian, hier um 1890.
Der wie zufällig abgelegte Feldblumenstrauß war das Markenzeichen der österreichischen Stimmungsimpressionistin Olga Wisinger-Florian, hier um 1890. (c) Wien Museum
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Im ehemaligen Zitrusgewächshaus wird die Wiener Tradition der Blumenmalerei erzählt – angenehm unaufgeregt, ohne symbolisches Kaffeesudlesen und mit feministisch-politischen Hintergedanken.

Der Titel ist etwas unglücklich gewählt, die Ausstellung umso wunderbarer: „Sag's durch die Blume! Wiener Blumenmalerei von Waldmüller bis Klimt“ klingt verzopft wie ein Werbespruch aus den 1950er-Jahren, der an diverse pseudobotanische Entschlüsselungsliteratur erinnert, die manche aus den Bücherkästen der Großeltern kennen. In ihnen wurde aufgelistet, wann man wem welches Blümchen überreichte. Für eine jüngere Generation: Blumen waren die Emoticons ihrer Zeit. Weiße Lilien etwa standen für Unschuld, weiße Nelken für Treue, Veilchen für Geduld. Leitfäden, die längst obsolet sind, im Wien der Biedermeierzeit allerdings tatsächlich eine „Hochblüte“ hatten. Man schrieb mit Blumen Namen auf Porzellantassen etc., wofür man die Blumennamen-Anfangsbuchstaben verwendete (Akrostichon). Eine Ausstellung der ehemaligen MAK-Sammlungsleiterin für Porzellan, Waltraud Neuwirth, im Badener Rollettmuseum behandelt dieses Thema übrigens gerade.

In der Orangerie des Belvedere – als ehemaliges Zitrusgewächshaus Prinz Eugens für die Schau bestens geeignet – wird diese Wiener Eigenart floralen Kaffeesudlesens nicht einmal ignoriert. Auf symbolische Deutungen lässt sich Kurator Rolf Johannsen nicht ein. Auch die große botanisch-dokumentarische Tradition lässt er aus – hierzu gibt es zurzeit ebenfalls eine eigene Ausstellung im Akademie-Kupferstichkabinett.

Der Sex der klaffenden Früchte

Das alles tut diesem tantenhaft abgestempelten Thema sichtlich gut. So kann das große Ganze dieses Genres gesehen werden – und das ist durchaus politisch, feministisch, sozial deutbar, weniger romantisch (auch wenn sich diese Sichtweisen nicht ausschließen müssen). Die Richtung wird schon mit dem Startpunkt klar, den Johannsen für die Ausstellung gewählt hat, die er aus einem Kernbestand von rund 200 im engeren Sinn um die Blume kreisenden Werken aus dem Museumsbestand (plus einiger Leihgaben) zusammengestellt hat: Ein monumentales Blumenarrangement (mehr als zwei Meter hoch, von 1821/22) des Wiener Blumenmalers Johann Knapp, ein posthumes Denkmal an den führenden Wiener Botaniker seiner Zeit, Nikolaus Joseph von Jacquin. Wenn man weiß, dass Jacquin maßgeblich an der Einführung des ersten Pflanzenordnungssystems in der Habsburger Monarchie beteiligt war, das vom schwedischen Botaniker Carl von Linné stammt, der auch erstmals die „Sexualität der Pflanzen“ erforschte, dann liest man dieses Bild völlig anders: In der Sockelzone herrscht botanisches Chaos, das von einem Affen verursacht wird, der einen Korb umstößt, überall klaffen Früchte auf, die an Vaginas erinnern könnten. Und daraus erwächst ein grandioser Blumenstrauß, bekrönt von der von Jacquin erstmals beschriebenen roten Blume Justitia cristata.

Durch den Bedarf an Blumenmalerei in der betriebsamen Wiener Porzellanmanufaktur hatten Blumenmaler eine besondere Stellung in dieser Stadt, es gab sogar – eine europäische Ausnahme – eine eigene Blumenmalereiklasse an der Akademie. Zu der hatten Frauen allerdings keinen Zutritt, auch wenn es sich um die in der damaligen Kunstwissenschaft unterste hierarchische Gattung handelte (gemeinsam mit der Landschaftsmalerei). So wurden Malerinnen privat ausgebildet, etwa von Waldmüller, der sich selbst nur kurz mit der Blumenmalerei beschäftigte, um dann den Stab an seine Schülerin Rosalia Amon weiterzugeben; bis dahin eiferten die Maler vor allem noch der Brillanz der holländischen Blumenstillleben nach. Es waren die Künstlerinnen, die das Genre dann im 19. Jahrhundert revolutionierten, als es zu einer hyper-artifiziellen Dekorationsorgie à la Hans Makart verkommen war. Tina Blau, Marie Egner und vor allem Olga Wisinger-Florian schauten an den Wegesrand und adelten die unscheinbare Feld- und Wiesenblume zum Strauß. Hier hätte man eine Linie ziehen können zu den heutigen „Spontanvegetations“-Installationen von Lois Weinberger etwa, der sich damit auf Fragen der Immigration und gesellschaftlicher Hierarchien bezieht. Man entschied sich dann leider doch für eine zeitgenössische holländische Referenz, für eines der etwas beliebigen Multikulti-Bouquets Willem de Rooijs.

Die Analogie Blumen/Menschen führt zum letzten Raum, zu Klimt und Schiele, in deren von Vincent van Gogh inspirierten Sonnenblumen man prächtige Damen und geknechtete Seelen erkennen kann. Wofür die Sonnenblume symbolisch steht? Für verschmähte Liebe unter anderem. Basierend auf Ovid, der von der Nymphe Klytia erzählt, die sich in den Sonnengott Apoll verliebte. Unglücklich. Worauf sie vor Elend starb und sich in eine Sonnenblume verwandelte, die den Kopf immer in Richtung von Apolls Sonnenwagen wendete.

Noch mehr Blumen

Unteres Belvedere: „Sag's durch die Blume“, rund 100 Exponate, bis 30. 9., tägl. 10–18 h, Fr, 10–21 h.

MAK: 300 Jahre Wiener Porzellanmanufaktur, 1000 Exponate, darunter Porzellan-Blumenbilder, bis 23. 9., Di, 10–22 h, Mi–So, 10–18 h.

Theatermuseum, Kupferstichkabinett der Akademie: Blumenaquarelle von Anton Hartinger. Bis 26. 8., tägl. außer Di, 10–18 h.

Rollettmuseum in Baden: „Wandle auf Rosen und Vergissmeinicht. Blütenrätsel und Blumenwünsche auf Biedermeierporzellan“ bis 7. 10., tägl. außer Di, 15–18 h, Weikersdorfer Platz 1.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2018)

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