Otto Muehls Brief im Wortlaut

Im Folgenden der Text (in Original-Schreibweise) jenes Briefes, den Otto Muehl (auch: Otto Mühl) am 8. Juni an Daniele Roussel geschrieben hat, und der am heute, Donnerstag, im Leopold Museum verlesen wurde, im vollständigen Wortlaut.

"liebe daniele,

ich glaube, du hast mich vollkommen verstanden, dass ich mich in einigen sachen grundsätzlich geirrt habe. ich habe als künstler und, davon angestachelt, auch als mensch risiko auf mich genommen.

das thema war äusserst empfindlich und schwierig und dadurch habe ich kräftig daneben gegriffen.

plötzlich drehte sich die gesamte idee der kommune um. in den 80er jahren wurden wir so eine riesen-institution, und es wurde daraus ein staat im staat. die durch mich angekurbelte dynamik rutschte mir schließlich aus den händen. ich habe meine wirkung als sogenannter häuptling innerhalb der kommune unterschätzt. ich habe mit 7 jahren gefängnis bezahlt. ich habe es abgesessen.

dass ich mich öffentlich entschuldige, mache ich heute, weil ich auf keinen fall das gefühl hinterlassen möchte, dass es mich kalt lässt, dass ich menschen verletzt habe und dass sich menschen von mir verletzt gefühlt haben. ich bin auf alle kommunarden sehr gestanden. ich brauchte zeit, um zu verstehen, dass ich durch meine machtposition an den bedürfnissen meiner mitmenschen vorbei agierte, insbesondere an den bedürfnissen der jugend.

die stellungnahme der jugendlichen damals im gerichtssaal machte mich fassungslos. ich wollte sie befreien und habe sie mit sexueller überschreitung stattdessen überrumpelt und gekränkt. es war auf keinen fall meine absicht. ich hoffe, dass sie mir verzeihen.

ich gebe auch zu, dass ich manchmal zu den kindern der grosskommune, als übervater von 100 kindern wirkend, zu scharf war und schaden angerichtet habe, ohne bewusstsein über meine fehlentscheidungen. ich bereue es sehr. alles ist mir durch unser klein-experiment hier in portugal bewusst geworden.

liebe daniele, ich fühle mich durch dich gut vertreten. du kannst diesen brief einsetzen, wie du es für richtig hältst.

herzlichst

dein otto"

(APA)

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