Biennale: Neue Urhütte, Klangraum, künstliche Wolken

Biennale Neue Urhuette Klangraum
Biennale Neue Urhuette Klangraum(c) EPA (ANDREA MEROLA)
  • Drucken

"People meet in architecture", unter diesem auf den ersten Blick banalen Motto zeigt Kazuyo Sejima eine der eindrucksvollsten Biennalen bisher. Österreich bietet die etwas beliebige Ausstellung "Under Construction".

Als Kazuyo Sejima, die Direktorin der aktuellen Architekturbiennale in Venedig, zu Jahresbeginn das Thema dieser architektonischen Großveranstaltung veröffentlichte, war die Architekturszene verblüfft. „People meet in architecture“ klang banal – im Vergleich zu früheren Biennalen, die deutlich mehr Zug ins Utopische versprochen hatten: Aaron Betskys „Out there – Architecture beyond building“ 2008, Kurt W. Forsters „Metamorph“ 2004, Deyan Sudjic' „Next“ 2002, Hans Holleins „Sensing the Future – The Architect as Seismograph“ 1996. Stets ging es um Zukunft, um die Überform, den nächsten Trend.

Auch die wenigen Erklärungen, die Sejima zu ihrem Konzept abgab, klangen nicht gerade weltbewegend: „Die Idee ist, Menschen zu helfen, eine Beziehung zur Architektur aufzubauen, der Architektur zu helfen, sich auf Menschen zu beziehen und Menschen zu helfen, Beziehungen untereinander aufzubauen.“ Das wäre das Mindeste, war der Tenor, aber ist das ein Konzept?

Seit gestern kann man sich in Venedig selbst ein Bild davon machen. Diese Biennale darf als eine der eindrucksvollsten bisher bezeichnet werden, zumindest dort, wo Sejima selbst als Kuratorin tätig war, im Arsenale und im internationalen Pavillon in den Giardini. In den Raumfluchten des Arsenale, die man von früheren Biennalen bis zum Bersten angefüllt mit Architekturmodellen und Videowalls in Erinnerung hat, bietet Sejima eine Einführung in ihre Architekturvorstellung. Sie beginnt mit einer neuen Version der Urhütte, einem abgerundeten Granitblock mit einem Innenraum aus Zedernholz, halb Sarg, halb Schutzraum, den die chilenischen Architekten Smiljan Radic und Marcelo Correa als Reaktion auf das heurige Erdbeben in Chile gestaltet haben. Am Ende dieser Sequenz befindet sich ein Klangraum von Janet Cardiff (2002), „The Forty Part Motet“, 40 im Kreis aufgestellte Lautsprecher, aus denen jeweils eine Stimme aus einer Motette aus dem 16.Jh. zu hören ist, „Spem inalium numquam habui“.

Zwischen diesen Extremen finden sich u.a. Installationen von Olafur Eliasson, Fotoblöcke von Walter Niedermayr, eine Holzwerkstätte von Studio Mumbai, eine zwischen künstlichen Wolken im Raum schwebende Rampe von Transsolar und Tetsuo Kondo und der „Balancing Act“ von Anton Garcia-Abril und Ensamble Studio, eine Studie zum Thema Schwerkraft, Maßstab und Bewegung im Raum. Auch ihre eigenen Arbeiten präsentiert Sejima hier ohne falsche Bescheidenheit: Dem Rolex Learning Center in Lausanne von SANAA ist gleich der zweite Raum gewidmet, in dem ein Film von Wim Wenders über dieses Gebäude in 3-D-Technik gezeigt wird. Auch im internationalen Pavillon gibt es einen faszinierenden Film von Fiona Tan über das Projekt von Sanaa in Inujima und Teshima, und auch dort mischen sich wie selbstverständlich Exponate von Architekten wie Rem Koolhaas oder Lina Bardi mit denen von Künstlern wie Thomas Demand und Tom Sachs.

Die Frage, worin sich diese Ausstellung von einer Kunstbiennale unterscheidet, ist müßig. Sejima zeigt, dass Architektur eine Kunst ist, und sie zeigt mit beeindruckender Sachkenntnis die Zusammenhänge dieser Kunst mit anderen Künsten auf. Sensationelle architektonische Einzelprojekte kommen nicht vor – bis auf Toyo Itos Oper für Taichung, eine architektonische Monstrosität ersten Ranges, über deren Bedeutung man im Moment nur spekulieren kann.

Ö-Pavillon: Einfältig, nicht unsympathisch

Und der österreichische Pavillon? Nach der Nominierung von Eric Owen Moss hätte man erwartet, dass er mit wenigen, aber starken skulpturalen Projekten seiner österreichischen Freunde der subtilen Ästhetik Sejima'scher Prägung ein deutliches „Es gibt uns noch“ entgegenrufen würde, unterstützt durch weiterführende Projekte von Studierenden und einem guten Katalog. Die Chance hat Moss leider verpasst.

In seiner Präsentation treffen sich über 60Architekten österreichischer und internationaler Provenienz, deren Gemeinsamkeit darin besteht, außerhalb ihres Herkunftslandes bauend oder an Universitäten lehrend tätig zu sein. Um zu zeigen, dass dabei etwas entsteht, ist der Titel der Ausstellung „Under Construction“, was dadurch angezeigt wird, dass der österreichische Pavillon hinter einem Baugerüst mit einer Bauplane verschwindet, auf der Projektbilder im Großformatdruck präsentiert werden. Die von Moss entworfene Aluminiumspirale im Innenraum ist eine starke Skulptur, muss aber leider als Plakatständer herhalten, um noch einige Bilder unterzubringen. Im Hof steht eine Tribüne, auf der Projektmodelle Studierender abgestellt sind, gewissermaßen noch in der Zuschauerrolle.

Das alles wirkt in natura so einfältig, wie es klingt, ist aber nicht unsympathisch: Indem es, wie der Kurator anmerkt, den Chauvinismus der nationalen Pavillons überwinden möchte, pflegt es das nicht weniger penetrante Klischee Österreichs als gastfreundliches Völkchen mit international gut vernetzten Eliten. Konkurrenzfähig ist das – gerade auf dieser Biennale – nicht.

AUF EINEN BLICK: STRANDHÜTTEN UND LUFTIGER WOHNBAU

Kazuyo Sejima (54) leitet als erste Frau die Architekturbiennale. Sie studierte an einer privaten Frauenuniversität. 1987 machte sie sich selbstständig. Sie gilt als eine der bedeutenden zeitgenössischen Architektinnen. Sie entwarf u.a. das New Museum of Contemporary Art in New York. Mit Ryue Nishizawa erhielt sie 2010 den Pritzker-Preis.

Die Architekturbiennale von Venedig läuft bis 21.November. Der Goldene Löwe für den besten nationalen Beitrag ging heuer an das Königreich Bahrain – für Strandhütten unter dem Titel „Wiedergewinnung“. Den Goldenen Löwen für den besten Einzelbeitrag erhielt Junya Ishigami (Japan) für ein fast unsichtbares Wohnhaus aus Plastikstäben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.