Berlin: Schnellboot statt Museumstanker

(c) AP (Miguel Villagran)
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Die von Wien inspirierte Temporäre Kunsthalle auf dem Schlossplatz schloss nach zwei Jahren ihre Pforten. Der Kubus des österreichischen Architekten Adolf Krischanitz hat über 200.000 Besucher angelockt.

Die Regale im Bookshop sind fast leer, die letzten verbliebenen Artikel verbilligt, der Andrang zur Abschlussparty groß. Am Dienstagabend stieg in der Temporären Kunsthalle auf dem Berliner Schlossplatz noch eine „Sause“, seit Mittwoch ist sie geschlossen. Der Kubus des österreichischen Architekten Adolf Krischanitz hat in den zwei Jahren seines Bestehens rund 800 Künstlern ein Forum geboten und über 200.000 Besucher angelockt. Ein letztes Mal drängt man sich in der Halle, erhascht noch einen Blick auf die jüngste Ausstellung, John Bocks FischGrätenMelkStand, ein Holzgerüst bis zur Decke, das die Werke 63 anderer Künstler in sich birgt, darunter eine Hommage an den kürzlich verstorbenen Christoph Schlingensief. Die Schau, die in den vergangenen Wochen gestürmt wurde, war der Höhepunkt der zweijährigen Geschichte, die immer wieder auch von Kritik begleitet war.

Zeichen für Architektur und Kunst

„Trotz allem Gemecker ist es gelungen. Es war das richtige Projekt am richtigen Ort zur richtigen Zeit“ – diese Bilanz zieht Gerald Matt, Direktor der Wiener Kunsthalle, der anfangs beratend involviert war. „Es war schön zu sehen, dass einmal nicht etwas nach Wien importiert wird, sondern vonWien nach Berlin.“ Die dortige Kunsthalle sei ein wichtiges Zeichen für die zeitgenössische Architektur und Kunst und habe gezeigt, dass die deutsche Hauptstadt auch „etwas Dynamischeres braucht als die großen Museumstanker – ein Schnellboot, jung und spritzig. Erst wenn die Halle weg ist, wird man sehen, wie sehr man sie braucht.“ Über eine dauerhafte Kunsthalle wird in Berlin intensiv nachgedacht, ein Standort steht noch nicht fest. Wien bleibe Vorbild, wie die laufenden Kontakte zeigen.

Die Temporäre Kunsthalle schien mitten im Zentrum Berlins gut platziert: Der Schlossplatz ist Gegenstand heftiger Debatten. Der Palast der Republik wurde abgerissen, das alte Stadtschloss soll in Form des Humboldt-Forums wiederauferstehen – ein umstrittenes Vorhaben, das aus Spargründen vorerst aufgeschoben wurde. Im Moment wächst neben der nun weichenden Kunsthalle ein Monstrum in die Höhe: Ein Informationspavillon für das Humboldt-Forum, der eher an eine Werft erinnert. Ob er überhaupt gebraucht werden wird? Der Kran durchschneidet das abendliche Postkartenpanorama, das sich den letzten Besuchern bietet, die um die Kunsthalle schwirren: Dom, Marienkirche, Park Inn, Alexanderturm, Halbmond, Rotes Rathaus.

Gerade jetzt, wo die Berliner mit der Kunsthalle wirklich warm geworden sind, muss sie weichen. „Anfangs wusste man gar nicht, was drin ist, das war viel zu introvertiert“, sagt ein Besucher. Doch die Fassadenprojekte, unter anderem von Gerwald Rockenschaub, durch die sich der Kubus ständig wandelte, machten neugierig auf das „Chamäleon“. Im ersten Jahr gab es vier hochkarätige Einzelausstellungen, danach größere Schauen mit einer Vielzahl junger Künstler. Dazu Diskussionen, Videoscreenings und die Montags Bar.

AUF EINEN BLICK

Die Temporäre Kunsthalle Berlin war seit September 2008 in Betrieb und wurde nun plangemäß geschlossen. Der Kubus des österreichischen Architekten Adolf Krischanitz bot im Inneren 600 Quadratmeter Ausstellungsraum, der durch die 1680m2 große Fassadenfläche erweitert wurde. Mitten im Zentrum Berlins, auf dem Schlossplatz, dessen Gestaltung heftig debattiert wird – hier soll das Humboldt-Forum entstehen –, wurde durch die privat finanzierte Kunsthalle architektonisch wie inhaltlich ein Zeichen gesetzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2010)

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