Albertina: Michelangelos Kopfgeburten

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Die Albertina zeigt ab 08.Oktober 120 Zeichnungen von Michelangelo Buonarroti aus aller Welt. Er zählt zu den größten Künstlern seiner Zeit. Ein Lokalaugenschein in Florenz bei den Vorbereitungen zur Ausstellung.

"Wir haben Sie bereits gestern erwartet“, sagen die Mitarbeiter der Grafikabteilung in den Uffizien von Florenz höflich zu den Gästen aus Wien und suchen nach kurzem Zögern ein profanes, wie beiläufig abgestelltes Wägelchen mit einer einfachen Mappe aus Karton, das sie in einen unscheinbaren Studiensaal mit großen Tischen bringen. Die Mappe wird auf ein Pult gehoben, und Kurator Achim Gnann von der Wiener Albertina kann nun anhand von Originalen erläutern, was das Besondere an Michelangelo Buonarroti (1475–1564) ist, diesem Universalkünstler der Hochrenaissance, der in Bildhauerei, Architektur und Malerei zu den größten Künstlern der Neuzeit gehört, ein Superstar bei den Medici in Florenz und den Päpsten in Rom.

Vor uns liegt ein Dutzend von insgesamt 500 bis 600Zeichnungen, die Michelangelo heute zugeordnet werden. Was für eine Aura! Selbst Gnann, der seit drei Jahren intensiv die Wiener Ausstellung über Michelangelo vorbereitet und dabei des Öfteren nicht nur Gast in den Uffizien, sondern auch in anderen großen Museen in der Welt war, nähert sich diesen zerbrechlich wirkenden Papierblättern, die Stockflecken, Risse und Löcher aufweisen, mit Ehrfurcht und Vorsicht. Nur Bleistifte sind zum Schreiben erlaubt. Fotos mit Blitzlicht? Eine Todsünde. Sogar die Sonne von draußen wird mit Jalousien abgewehrt. Nur nicht schwitzen, denkt man sich, keine rasche Bewegung. „Besonders die Federzeichnungen sind anfällig“, sagt Gnann, „die Tinte enthielt damals Eisen – das rostet. Rötel und schwarze Kreide sind wesentlich stabiler.“

So sind auch einige dieser fragilen Blätter hier nicht für Wien vorgesehen. Der Ausstellung in der Albertina aber, die vom 8.Oktober 2010 bis zum 9. Jänner 2011 gezeigt wird, mangelt es nicht an Außergewöhnlichem. Mit 120 seiner Kunstwerke wird es die bisher bedeutendste Michelangelo-Schau in Österreich sein, die größte weltweit seit gut 20Jahren. Ein Fünftel des grafischen Werkes wird gezeigt. Die Albertina besitzt selbst acht Blätter. Das ist viel für Michelangelo, einen Künstler, der ganze Serien seiner Zeichnungen verbrannt hat. Wie viel ist so eine Zeichnung denn wert, eine Studie etwa für ein nie vollendetes Schlachtengemälde, ein Blatt mit vor Energie strotzenden Kriegern? „20 Millionen? 50 Millionen?“, schätzen die Florentiner kokett: „Aber wir verkaufen nicht.“

Auf fast 1,4Milliarden Euro wurde die Versicherungssumme der Ausstellung festgesetzt. War es schwer für die grafische Sammlung in Wien, die Exponate aus aller Welt zur Verfügung gestellt zu bekommen? „Nein“, sagt Direktor Klaus Albrecht Schröder. So wie Dürer, Rembrandt oder Rubens zähle Michelangelo zur Kernkompetenz seines Hauses. „Die Zeichnung war das Schlüsselmedium der Renaissance, in diesem Feld ist die Albertina die Nummer eins. Wir haben deshalb auch, generell gesagt, alle Wünsche erfüllt bekommen. Im Vergleich dazu war die Picasso-Ausstellung, die wir in drei Wochen eröffnen, mit einer Vorbereitung von sieben Jahren viel aufwendiger“.

„Gnann hat Bahnbrechendes bei der Bearbeitung der Werke geleistet“, lobt der Direktor den Kurator, der im Feld italienischer Zeichnungen Weltruf genießt. Seine derzeitige Forschungsarbeit kann auch als Entgegnung zu einem Michelangelo-Folianten (Taschen Verlag, 2007) gesehen werden, in dem Thomas Pöpper viele Skizzen nicht mehr Michelangelo zuschreibt. Auch Werke aus der Albertina schließt der junge deutsche Forscher aus. Für Schröder sind Pöppers Methoden „skandalös und oberflächlich.“ Immerhin war dieses Buch aber auch ein Motiv, die Ausstellung zu machen.

Es ist also ein Ruf zu verteidigen, in Florenz wie auch in Wien. Besonders generös erweist sich die Casa Buonarroti, die gut ein Drittel aller Zeichnungen Michelangelos, zudem Architekturskizzen und Handschriften besitzt. Die würdige alte Direktorin Pina Ragionieri, die auch an einem Symposium in Wien, am 19. und 20.November, teilnehmen wird, bei dem es vor allem um Datierungen geht, leiht der Albertina 20Zeichnungen. Unter anderem ist eine Madonna mit Kind von 1520/1525 zu sehen (siehe Abbildung oben), die eine ungeheure Plastizität hat. So etwas habe damals eben nur Michelangelo gekonnt, meint Kurator Gnann und gerät ins Schwärmen und Vergleichen, wenn er einen männlichen Rückenakt mit Details aus der nie verwirklichten Schlacht von Cascina in Verbindung setzt, wenn er in einer Skizze mit Christus-Figur eine Vorstudie zum Jüngsten Gericht sieht.

Beim Betrachten der Zeichnungen glaubt man, Michelangelo beim Denken beobachten zu können. Für den Autor Trewin Copplestone haben sie, ob es sich nun um flüchtige Skizzen oder um ausgefeilte Kunstwerke handelt, alle denselben Zweck: „Sie sind für den analytischen Kopf eine Hilfe zur Umsetzung seiner Ideen.“ Michelangelo beschäftigte sich vor allem mit der menschlichen Gestalt, mit seiner Struktur und Bewegung. „Hierfür unternahm er zahlreiche Studien an nackten Körpern und führte Sezierungen durch, um den anatomischen Mechanismus zu verstehen.“ Er eignete sich so eine Ausdrucksstärke an, die in allen seinen Werken klar hervorstach.

Ein großer Meister eben, den die Albertina in allen Facetten zeigen will, von der frühesten Zeichnung des Knaben, der Giotto imitierte, bis zu den Kreuzigungen, die der Achtzigjährige schuf. Zum besseren Verständnis werden auch Werke von Zeitgenossen Michelangelos einbezogen, sogar eine Projektion der Fresken in der Sixtina wird geboten sowie Gipsabdrucke von wichtigen Skulpturen, genaue Erläuterungen der Papst-Projekte und des Jüngsten Gerichts. „Ziel der Schau ist es, Michelangelo zu präsentieren, ein Genie zu zeigen, das das Bild des Menschen verändert hat“, sagt Schröder. Michelangelo war ein selbstbewusster Künstler, der es sich leisten konnte, Aufträge eines Papstes anzunehmen oder eben auch abzulehnen. „Es war die Zeit des Kopernikus, der Entdeckung Amerikas, des Konzils von Trient, eine Epoche der Widersprüche und Brüche.“ Dadurch sei uns dieser Künstler auch heute so nah. „Michelangelo hat diese Umbruchzeit in sein Werk einfließen lassen, er hat seine Zeit auf den Punkt gebracht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2010)

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