Kunst-Mahlzeit: Nestler und Straub

Sie sind Grenzüberschreiter aus Passion. Für ihr gemeinsames Kunstprojekt nehmen sich Gerald Nestler und Gerald Straub Wiener Unternehmenskantinen vor.

Gerald Nestler und Gerald Straub sind 15 Jahre lang von Wien aus durch die Welt gezogen. Während der eine aus seinem Interesse für ökonomische Zusammenhänge vor allem die Finanzmetro­polen Hamburg und London ansteuerte, waren für den anderen Mexiko, Schottland und ab 2003 ebenfalls London Fixpunkte. Kennengelernt haben sich Nestler und Straub vor einem Jahr in London bei einer Ausstellung, bei der ein gemeinsamer Künstlerkollege sie einander vorstellte. Aktiv waren die beiden in der Themse-Stadt schon länger, vor allem die Kunstabteilung der University of London, das Goldsmiths College mit seinem hohen internationalen Standard, bot sich den beiden konzeptuell und diskursiv agierenden Künstlern als eine hervorragende Plattform für ihre eigene künstlerische Arbeit. Während Straub nach sechs Jahren Lehrtätigkeit am Goldsmiths College vor Kurzem nach Wien zurückgekehrt ist, steuert Nestler London in Zusammenhang mit einem Ph. D.-Stipendium nunmehr verstärkt an. „Es ist Zufall, dass London für uns beide so wichtig geworden ist“, sagt Straub. „Mein Gehen und dein Kommen überschneiden sich jetzt. Aber Haupt­sache, es ist ein Gerald dort.“

Migranten, wie Nestler und Straub es sind, kann auch nur eine Epoche wie die Postmoderne hervorbringen. In den Curricula wie auch im Schaffen beider spielt das ­Erleben und die Reflexion solcher neuen Formen von Mobilität eine große Rolle. Dem entspricht in der künst­le­rischen Arbeit das Interesse an den Strukturen, Funktions- und Wirkungsweisen ökonomischer wie auch ­gesellschaftlicher Systeme sowie an Vernetzungen im realen, aber auch im virtuellen Sinn. Diese Agilität auf allen Ebenen spiegelt sich biografisch ebenso wie in den Fragestellungen, Methoden und Strategien, derer sich beide in ihrer Kunst bedienen und für die auch Disziplinengrenzen keine Hürde darstellen.



Wie kreativ ist ein Büro? Ein Schlüsselbegriff ist dabei die Kreativität, sei es in Hinblick auf das eigene Tun und Handeln unter unterschiedlichen Voraussetzungen, sei es mit Blick auf ganz bestimmte, gegebene Räume, die es zu untersuchen gilt – Bürogebäude etwa als Wechselspiel von vordefiniertem Raum durch ökonomische Interessen und Kreativräumen, wie jetzt die Kantinen bei ihrem Projekt für die Vienna Art Week oder Chill-out-Zonen, aber auch spontane Freiräume wie von den Mitarbeitern selbst geschaffene Rauchereckchen oder Plauderzonen beim Kopierer, beim Wasserspender oder der Kaffeemaschine. „Es interessiert uns als Künstler, in diese Räume zu gehen und den Begriff der Kreativität anzuschauen“, sagt Nestler, „und zu fragen: Wie bilden sich in solchen Gebäuden bestimmte Strategien und Methoden ab? Wo sind die Löcher und Zwischentöne? Welche Rolle spielt dabei das ,Community-Building‘ seitens des Unternehmens, quasi als neue Form des Kommunismus?“ Analysen, Interviews, Recherchen kommen dabei ebenso zum Einsatz wie Dienstleistungen in Bereichen, die man traditionell nicht mit Kunst in Verbindung bringen würde – etwa im Feld der Ökonomie oder des Finanzwesens. Kein Zufall, dass Nestler seine Tätigkeit als Hamburger Broker von Anfang an als Teil seiner künstlerischen Produktion ansah. Bevorzugte Medien für die visuelle Umsetzung der Konzepte sind Video, Film, Fotografie und Performances, die häufig in Beziehung zu alltäglichen Fragestellungen stehen.



Eine perfekte Antwort. Jetzt realisieren Gerald ­Nestler und Gerald Straub, die beide in verschiedenen Konstellationen immer wieder mit anderen Künstlern zusammengearbeitet haben, ihr erstes gemeinsames Kunstpro­jekt, und zwar in den Kantinen der Stadt. Die diesjährige Vienna Art Week mit dem Motto „Crossing Limits“, während der die ersten Aktionen stattfinden, bildet dafür ­einen idealen Rahmen. Nestlers und Straubs interdis­ziplinärer Zugang ist eine perfekte Antwort auf die Programmatik der Vienna Art Week, wonach Kunst in ­einer gegenwärtigen Situation, in der wir „unsere Lebenskonzepte permanent an sich radikal ändernde Rahmenbedingungen“ anzupassen haben, zum „Role Model für ein Leben im Zustand der dauerhaften Entgrenzung“ wird. Unter dem Titel „Businesslunch: Mittagspause. Kollegenschaft. Reduktionsteller mit Saft“ bieten Gerald Nestler und Gerald Straub Kunstinteressierten die Möglichkeit, gemeinsam mit ihnen die Kantinen diverser in Wien ansässiger Firmen und Ämter zu besuchen. „Kantinen sind ein wichtiger Teil der Kreativräume in ­Un­ternehmen“, sagt Nestler. „Für unsere Feldforschung ­picken wir diesen Mikrokosmos heraus.“


Die Unternehmen sind in jedem Fall vorinformiert, das ist ein konstanter Ausgangspunkt jedes einzelnen Kantinengangs. Was dann allerdings passiert, ist offen. Nestler: „Wir schauen einfach. Es können Gespräche statt­finden. Es können, sofern das von den Unternehmen angeboten wird, Führungen stattfinden. Es kann aber auch einfach gar nichts passieren. Wir stellen uns gleichsam selbst aus. Von dem her sind die Kantinengänge auch eine Art Atelierbesuch.“ Straub: „Für die Leute, die mitgehen, ist es eine Gelegenheit, einen Entstehungsprozess zu beobachten und teilzunehmen an einem Anfang.“ Dabei kommt durchaus auch ein performatives Moment ins Spiel. „Es ist eine Einladung, an unserem Prozess der kritischen Auseinandersetzung teilzunehmen, bei dem wir selbst Publikum sind“, sagt Nestler. Und Straub ergänzt: „Was für die einen Alltag ist, ist für uns interessant. Das ist wie ein Theaterstück. Die Wirklichkeit muss man nicht neu installieren.“

TIPP


Vienna Art Week 15.–21. 11.
„Businesslunch: Mittagspause. Kollegenschaft. Reduktionsteller mit Saft“. Kantinenbesuche u. a. bei Strabag, Bawag, Orange, Siemens, PricewaterhouseCoopers sowie im Parlament. Anmeldung erforderlich: www.viennaartweek.at

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