Ausstellung in Brügge: Andy Warhol in der toten Stadt

Ausstellung Bruegge Andy Warhol
Ausstellung Bruegge Andy Warhol(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Der flämische Künstler Luc Tuymans setzt sich in „Ein Blick auf Zentraleuropa“ mit Schmerzen der Geschichte auseinander – gleich an fünf Standorten.

Das Kind ist tot. Zwar scheint es sich mit seinem linken Bein noch abzustützen, um an der mit warmen Farben gemalten Mutter hochzuklettern, vielleicht könnte es auch schlafen, aber das fürchterliche kleine Einschussloch auf dem Rücken des blauen Körpers verrät: Hier wurde gemordet. Der polnische Künstler Andrzej Wróblewski (1927–1957) hat dieses Bild 1949 gemalt: „Mutter mit getötetem Sohn“ heißt es. Der Maler musste selbst als Kind mitansehen, wie sein Vater von den Nazis in Vilnius umgebracht wurde. 1949 schuf er von Jänner bis August eine ganze Serie von Bildern, die er „Exekution“ nannte. Ihnen lagen Fotos von Menschen zugrunde, die 1939 in Polen ermordet wurden.

Wróblewskis Gemälde, die im Priesterseminar am Rande von Brügge einen Raum haben, sind ein Höhepunkt der im Kulturpessimismus fündigen Schau im Rahmen des Festivals „Brügge Zentral“. Polnische Kunst dominiert sie geradezu, darunter sind auch Zeichnungen des Nazi-Opfers Bruno Schulz (1892–1942). Der flämische Künstler Luc Tuymans lässt als Kurator einen „Blick auf Zentraleuropa“ werfen, in einer Reise durch die von Kanälen durchzogene Stadt, die ein denkmalgeschütztes Gesamtkunstwerk aus der frühen Neuzeit zu sein scheint. An fünf Orte führt sie, von Concertgebouw, Arentshuis, Sint-Jan-Hospitaalmuseum und den Stadshalen im Zentrum bis zum Grootseminarie an der Peripherie.

Ein Japaner mitten in Europa?

Vieles, vor allem Exjugoslawisches, war bereits beim „steirischen herbst“ zu Gast. Arbeiten von 44 Künstlern, aus Deutschland, Österreich, Polen, Albanien, Tschechien und Japan etwa, sind zu sehen, mit festen Größen von heute, wie Gerhard Richter, Neo Rauch, Isa Genzken, Mark Neville, Sigmar Polke, Maria Lassnig, aber auch von zwei Stars aus Übersee: Andy Warhol (1928–87) und Takashi Murakami (*1962). Warhol aus Pittsburgh in Zentraleuropa? Nun, seine Vorfahren stammten aus Altösterreich. Aber ein Japaner? Er passt für Tuymans zum Trauma, das im Zentrum seiner Schau steht. Murakami erklärt seine Welt nach der Auslöschung von Hiroshima und Nagasaki durch amerikanische Atombomben mit seltsamen Videoparaphrasen auf Manga-Kunst.

Krieg, Aggression, Vernichtung sind die beherrschenden Themen. Tuymans verweist auch auf den Einfluss eines Romans auf seine Reise durch die Kunst Zentraleuropas: „Brügge. Tote Stadt“ des belgischen Symbolisten Georges Rodenbach handelt von der Trauerarbeit eines Witwers, der seine Frau verloren hat. Das schmale Buch (1892) hat aber auch einen Tourismusboom in dem einst bedeutenden Handelszentrum ausgelöst.

Allein die polnischen Artefakte sind diesmal eine Reise nach Flandern wert. „Mystical Perseverance“ nennt der junge polnische Künstler Zbigniew Libera (*1959) das kurze Video, das seine todkranke Großmutter zeigt, wie sie mit einer Bettpfanne spielt. Den Rosenkranz hat man ihr weggenommen, weil man fürchtete, sie könnte daran ersticken. Geisterhaft ist auch die „Tote Klasse“ von Tadeusz Kantor (1915–1990). Eng sitzen die Puppen der Schüler zusammen auf diesen unbequemen Holzbänken, wie zum Verhör ausgeleuchtet. Eine Hölle, so wie die Polyesterabdrücke, die Alina Szapocznikow (1926–1973) von ihrem Körper 1965 gemacht hat. Der Prozess der Zerstörung scheint bereits fortgeschritten. Leidenskörper sind das in Wahrheit.

Geradezu luftig leicht wirkt im Vergleich Pavel Althamers (*1967) Selbstporträt, das inzwischen wohl bekannteste Werk hier. Zur Eröffnung schwebte der riesige Ballon in Form eines nackten Mannes über den Kanälen der Stadt. Inzwischen wirkt er, eine Halle im Sint-Jan-Hospitaal füllend, schon ein wenig erschlafft. Eine wunderbare Arbeit ist im Priesterseminar von Pavel Büchler (*1952) zu sehen. Ein Gang im Inneren hängt voller Glocken. Geht man diese Installation entlang, hört man das Brummen und Rauschen im gigantischen Prager Strahov-Stadion, in dem von den Kommunisten große Sportfeste veranstaltet wurden. Ist es ein kontemplativer Gang? Ist es Massenwahn? Im Zweifel gilt wohl das Trauma.

Oder die Elegie, wie bei Miroslaw Balkas (*1958) Gebilde im Obstgarten des Seminars. „Vogelnetz“ heißt sein 16 Meter hohes Netzgerüst, eine Persiflage auf Maos kontraproduktive Kampagne, durch die er Chinas Spatzen vernichten lassen wollte. Noch sei kein Vogel in die Falle geflogen, heißt es. An der Peripherie gibt es noch Hoffnung.

„Blick auf Zentraleuropa“ bis 23.1.2011, 9.30–18 Uhr, Mo, 25.12. und 1.1. geschlossen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2010)

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