Pflanzen und Steine: Gestaltete Natur im Künstlerhaus

(c) APA (HERTHA HURNAUS)
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Ausstellung. „(Re)designing nature“ zeigt Kunst, die Natur nicht darstellt, sondern gestaltet. Und dies bevorzugt in den Städten. Der Meister solcher Vegetation ist Lois Weinberger.

Der Megatrend unserer Zeit ist die Verstädterung. Die Zahl der Millionenstädte hat sich von 17 im Jahr 1900 auf 429 im letzten Jahr erhöht. Von den knapp sieben Milliarden Menschen der Weltbevölkerung lebt heute bereits die Hälfte in Städten.

Was aber ist mit der Natur in all den urbanen Räumen? Was passiert mit den Leerräumen, Restflächen und Unorten – kann hier „Natur“ in die Stadt zurückgeholt werden? Wie sieht eine urbane Landschaftsarchitektur heute aus? Anders als vor wenigen Jahrzehnten steht nicht mehr die Gestaltung mit hübschen Pflanzen und dekorativen Steinen, sondern nachhaltige Umnutzung im Zentrum. Genau davon handelt eine Ausstellung im Künstlerhaus Wien.

Asphalt wird aufgebrochen

Gleich am Eingang trumpft „(re)designing nature“ mit einem krassen Bild für diese „Umnutzungen“ auf: Auf einem Teppich steht eine einsame Gummipflanze. Regula Dettwiler hat jedes einzelne Blatt mit einem netten Häkeldeckchen umrahmt. Auf diese überspitzte Behübschung folgt ein Haufen aus riesigen Styroporformen, die wie Asphaltplatten aufeinandergestapelt sind: Die künstliche Schicht, die wir in allen Städten über den Erdboden ziehen, scheint aufgebrochen für einen neuen Umgang mit Natur – und der rückt hier im Künstlerhaus vor allem Pflanzen in den Blick, die am Wegesrand und auf Brachen wachsen.

Der Meister solcher Vegetation ist Lois Weinberger, der mit seinen Werken auf der stillgelegten Gleisanlage zur documenta 1997 berühmt wurde. Wenn er Asphalt aufbricht, um Unkraut zu säen, wenn er Kübel und Plastikwannen mit Pflanzen zum Leben erweckt, spielen Gedanken über Freiheit und Verbundenheit, vom Ein- und Auswandern hinein. So kann seine Arbeit mit Pflanzen auch politisch gelesen werden. Weinbergers Wachsamkeit gegenüber Übersehenem oder ungenügend Beachtetem, seine Installationen mit den unerwarteten Pflanzenbehältern prägen die Ästhetik dieser Ausstellung. Denn in den 30 Projekten von Künstlern und Landschaftsarchitekten wird nicht mit Exotik oder Spektakel gearbeitet, sondern der Blick auf Beiläufiges gerichtet. Das reicht von den skurrilen Knetgummiskulpturen von Reiner Maria Matysik, die als Hybride zwischen Pflanzen, Tieren, Pilzen und Viren geformt sind, bis zu ausführlich präsentierten Projekten der Landschaftsarchitekten.

Hier wird deutlich, dass sich Strategien und Aufgaben dieses Berufs gewandelt haben. Denn immer häufiger arbeiten die Gestalter auf postindustriellen Grundstücken, suchen Lösungen für städtische Problemzonen wie überlastete Verkehrsadern oder vergiftete Gebiete, binden die Anwohner und Benutzer der Areale in die Planung ein und probieren unterschwellige Methoden aus: Nach dem Vorbild von schmarotzerhaften Pflanzen – wie der Mistel – wird Vorhandenes mitgenutzt oder umfunktioniert. Ob im Slum von Bangladesh (Khondaker Hasibul Kabir), auf der Müllkippe in der Nähe des Ben-Gurion-Flughafens in Tel Aviv (Latz + Partner), auf einem ehemaligen Firmenareal nahe Zürich – diesen Projekten gemein ist die Suche nach einem neuen Verständnis von gestalteter Natur: nicht als Dekoration, sondern als eine neue Form von städtischem Lebensraum.

Bis 23.1., tägl. 10–18 Uhr, Do 10–21 Uhr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2010)

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