Belvedere: Ideenlabor eines Vernachlässigten

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Der vielseitige österreichische Künstler Curt Stenvert ist in der Orangerie in einer Ausstellung wiederzuentdecken, die auch seine Kinoarbeit würdigt. Stenvert ist generell nicht leicht einzuordnen.

Wer war Curt Stenvert? Ein österreichischer Neo-Surrealist? Eine Austro-Antwort auf den anfänglichen Dadaisten und schließlichen Polit-Fotomontagekünstler John Heartfield? Ein heimisches Pop-Art-Pendant? Ein (preisgekrönter) Pionier des Austro-Kinos?

„Curt Stenvert – Neodadapop“, der Titel der aktuellen Retrospektive in der Belvedere-Orangerie, gibt jedenfalls schon eine Idee davon, dass Stenvert (1920–92) nicht leicht einzuordnen ist. Es ist die erste Werkschau seit 1975, vier Jahre später verließ der gebürtige Wiener seine Heimatstadt (er starb in Köln), ebenso wie die internationale Ausrichtung seiner Ästhetik dürfte das zur Vernachlässigung im Geburtsland beigetragen haben, auch wenn er 1991 noch die Silberne Ehrenmedaille der Stadt Wien erhielt. Zwar wurde sein Filmschaffen in den letzten Dekaden wieder verstärkt wahrgenommen – aber das ist mit seinem Geburtsnamen Kurt Steinwendner assoziiert: Erst 1969 hat er seinen Namen offiziell in Curt Stenvert ändern lassen.

Retrospektive im Filmarchiv

Der Kinoarbeit ist in der 89 Werke umfassenden Belvedere-Ausstellung entsprechender Platz gewidmet: Der Rabe, ein Bild-Ton-Gedicht nach Edgar Allen Poe, war 1951 eine Initialzündung für den heimischen Experimentalfilm; der formal außergewöhnliche Episodenfilm Wienerinnen im Schattender Großstadt (1951/2) entfachte mit der desillusionierten Darstellung von urbanen Außenseitermilieus daheim einen Sturm der Entrüstung; für das Kurzporträt Venedig (1961) – in dem die geflutete Lagunenstadt und ihre Einwohner nur als Spiegelungen im Wasser zu sehen sind – gab es einen Silbernen Bären auf der Berlinale. Im November wird das Filmarchiv Austria flankierend zur Ausstellung eine Film-Retrospektive bestreiten, die auch Stenverts andere Kinowerke zeigt, darunter seinen zweiten Spielfilm Flucht ins Schilf (1953), einen vom Neorealismus beeinflussten Krimi nach einem wahren Mordfall am Neusiedlersee und vor allem seine raren Kultur- und Industriefilme, die so schöne Titel wie Jedem Österreicher seine Mondrakete (1958) tragen. (Letztere war Teil einer Kurzfilmserie für das Verteidigungsministerium.)

In der Ausstellung, die in ihrer Dichte ein veritables Ideenlaboratorium suggeriert, sind nur wenige von Stenverts experimentierfreudigen filmischen Frühwerken integriert, sie gehen aber mit der vielfältigen Kunst des Multitalents eine zwingende Beziehung ein: „Das eine ist ohne das andere nicht denkbar“, meint Kurator Harald Krejci, der zweijährige Vorbereitungsarbeit für die Schau geleistet hat. Als Schüler von Fritz Wotruba und Albert Paris Gütersloh begann Stenvert mit surrealistisch beeinflussten Zeichnungen. Studien über das Violinspielen (das er auf Wunsch des Vaters mit zwölf begann, aber mühsam fand) kulminierten in der Plexiglas-Aluminium-Plastik „Violinspieler in vier Bewegungsphasen“ (1947), die nicht mehr existiert, aber in Vorarbeiten und einem Foto mit dem Künstler dokumentiert ist: Sie liefert sowohl eine Klammer zu den Bewegungsstudien von Stenverts malerischem Spätwerk ab den 1970ern sowie einen schlagenden Beleg für seine intuitive Fusion diverser künstlerischer Richtungen (hier: Kubismus, Futurismus, Konstruktivismus).

Seine Begeisterung für Marcel Duchamps „Die Braut“ wurde zur Triebfeder für Stenverts Objektkunst der 1960er, in der Puppen und Skelette in surrealistischer Manier zur menschlichen Metapher wurden. Stenverts ausgeprägter Sinn für (schwarzen) Humor – „Wissenschaftlicher Selbstversuch“ (1962) ist ein schön geometrisch abstrahierter Holzkopf mit Brille und Spritzen, die in der Schädeldecke stecken – wird da ebenso deutlich wie sein Interesse an Geschlechterfragen und politischem Engagement. Das Zentrum der Ausstellung formt (unvermeidlicherweise) die monumentale Installation „Stalingrad – oder: Die Rentabilitätsrechnung eines Tyrannenmordes“ (1964–67), drei eng collagierte Vitrinen als Mahnmal, etwa mit hirnfressendem Hitler und der Grundsatzerklärung „In Freiheit leben“.
Durch die Gegenüberstellung mit Werken Duchamps, Spoerris u.a. zeigt „Neodadapop“ nebenbei den Bezug Stenverts zur internationalen Kunst, womit der Wiederentdeckung noch einmal Nachdruck verliehen wird. Zu sehen ist das Werk eines Eigensinnigen und Vielseitigen, der immer wieder zu überraschen wusste. Über dem letzten Zimmer baumeln als Mobiles zwei Kinderfahrräder, der Vorderreifen durch eine Kreissäge ersetzt, mit Äxten oder Hämmern behängt: ein Doppelschlag von 1983: „Das Jahr des Kindes kommt nie wieder“ und „Das Jahr des Kindes ist vorbei!!!“.


Bis 15. Jänner 2012 in der Belvedere Orangerie, Rennweg 6; 10–18h, Mi: 10–21h. Im November zeigt das Filmarchiv Austria eine Kinoretrospektive von Stenverts Filmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2011)

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