Christa Wolf: Die geteilte Deutsche

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„Was bleibt“, fragte Christa Wolf nach dem Fall der Mauer – und entfachte eine Grundsatzdebatte über die Rolle der Künstler in der DDR. Am Donnerstag ist die Autorin nach langer Krankheit gestorben.

Wie bebildert man einen Nachruf auf Christa Wolf? Mit jenem Foto vielleicht, auf dem sie 1964 Walter Ulbricht die Hand schüttelt? Der viel gehasste Staatsratsvorsitzende überreicht der Dichterin den Nationalpreis – und sie strahlt. Christa Wolf, die DDR-Staatskünstlerin.

Oder wählt man jene Aufnahme von der Demonstration am Alexanderplatz, kurz bevor die Mauer fiel: Da steht sie, als „Galionsfigur für Zivilcourage und Widerstand“, wie die APA schreibt, Symbol für jene, die sich den Mund nicht verbieten ließen – und denen letztlich Erfolg beschieden war.

Oder verwirft man beide Möglichkeiten? Weil beide Aufnahmen ihr nicht gerecht werden können?

Kurze Zeit nachdem das Foto am Alexanderplatz geschossen worden war, publizierte Wolf einen Band mit dem Titel: „Was bleibt“. In dieser schon 1979 verfassten Erzählung berichtet sie von ihrer Überwachung durch die Stasi, von abgehörten Telefonaten, abgefangenen Briefen, ständiger Kontrolle. Das wurde keineswegs von allen wohlwollend – oder auch nur: mitfühlend – aufgenommen. „Zu spät!“, riefen einige. „Selbstinszenierung“, riefen andere.

Erster Erfolg mit „Der geteilte Himmel“

So sei er eben wirklich gewesen, der überwachte Alltag der Intellektuellen in der DDR, meinten manche. Und schon war man mittendrin in der schönsten Sommerdebatte, die dann gar nicht mehr von Christa Wolf selbst handelte, sondern von Kunst und Macht und davon, wie sich ein Dichter „richtig“ zu verhalten gehabt hätte in der DDR. „Ein totalitäres System, so will es die totale Moral rigoroser Zuschauer, sollte auch zu totaler Opposition bewegen“, fasste der deutsche Schriftsteller Reinhard Baumgart in einem Essay die Stimmung zusammen.

Wolfs Opposition war eben nicht total. 1949 – mit 20 Jahren – trat sie in die SED ein, sie nahm Auszeichnungen entgegen, kandidierte fürs ZK. 1959 bis 1962, während ihrer Zeit als Redakteurin der Zeitschrift „Neue Deutsche Literatur“, war sie gar als IM der Stasi tätig (denunzierte aber niemanden!). 1962 spielte sie sich frei, ließ sich als Schriftstellerin in Berlin nieder und veröffentlichte ein Jahr später einen ihrer erfolgreichsten Romane: „Der geteilte Himmel“ – eine schon auf höchstem Niveau konventionell erzählte Geschichte über eine Liebe, die im Sommer 1961 an der Teilung Deutschlands scheitert – wurde in der DDR einerseits ausgezeichnet (zwei Staatspreise!). Andererseits wurde Christa Wolf von Funktionären der Partei offen angefeindet.

Auch „Nachdenken über ChristaT.“, 1968 veröffentlicht, galt ihnen als zu „subjektiv“. Als zu psychologisch. Wo es um den Sozialismus gehen sollte, ging es bei Christa Wolf wieder einmal „nur“ um den Menschen, in diesem Fall um eine verstorbene Schulfreundin, in deren Tagebücher und Briefe sich die Autorin vertieft hatte: Das Ergebnis war ein intimes Protokoll einer Verzweiflung. In „Nachdenken über Christa T.“ schrieb Wolf über die Enge und Zwänge der DDR. Aber nicht nur. Es war ein Roman über eine junge Frau, die ausscheren will, aber die Kraft dazu nicht findet – und hunderttausende Frauen und Männer weit außerhalb der Grenzen der DDR fühlten es ihr nach. Das Buch wurde in kürzester Zeit in 26 Sprachen übersetzt.

Als Zeitzeugnis, als Abrechnung mit der DDR allein wäre es international nie so erfolgreich geworden – und die Autorin dem Regime nicht so gefährlich. Denn gefährlich, das war sie. Auch wenn ihr Protest nicht „total“ war, so war er doch beständig: Sie kritisierte die Kulturpolitik der DDR. Sie verurteilte 1968 öffentlich den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in Prag, 1976 stellte sie sich selbstverständlich auf die Seite Biermanns, als dieser ausgebürgert wurde; und als sie 1983 „Kassandra“ veröffentlichte und in der DDR-Ausgabe einige Sätze „verschwunden“ waren, ließ sie sich nicht einschüchtern und entfachte eine Debatte über Zensur, die es doch angeblich gar nicht gab. Kurz nach Tschernobyl veröffentlichte sie den Band „Störfall“.

Es hat sie verbittert, dass die Rolle als „Widerständige“, als die sie zu DDR-Zeiten galt (und zwar in Ost und West), ihr nach der Wende abgesprochen wurde. Aber es hat sie auch zu einem Roman angeregt: In „Stadt der Engel“ setzte sie sich mit ihrer Rolle in der DDR auseinander. Es sollte ihr letztes Buch werden, das hat sie gewusst, es auch gesagt: Christa Wolf starb nach langer Krankheit in Berlin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2011)

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