Die kleine Maus macht große Politik

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Das "Micky Maus Magazin" nimmt den deutschen Präsidenten Wulff aufs Korn. Es ist nicht das erste Mal, dass die wahre Welt bei Enten und Mäusen Einzug hält - und dabei viel über sich verrät.

Es sind brisante Fakten, die das deutsche „Micky Maus Magazin“ am Freitag publik machen wird: Hundepräsident Wuff hat sich seine Hütte in Wedel mit einem 500.000-Taler-Kredit eines Pudelpaares finanziert und sich von befreundeten Terriern auf Urlaube in luxuriöse Tierpensionen einladen lassen. Diesen Bericht wollte er verhindern, hat damit aber nur die Schlagzeile „Maulkorb für die Maus“ provoziert. Auch beim „Entenkurier“, dem publizistischen Zentralorgan von Entenhausen, hat Wuff interveniert und Chefredakteur Kai Quieckmann auf die Mailbox gebellt. Einsicht zeigt er keine: „Wenn man nicht mehr bei Freunden übernachten kann, ohne am Morgen einen Knochen auf den Tisch zu legen, ist das schlecht?“ Gar nicht so schlecht ist hingegen, wie das Comicmagazin solcherart seinen Spott über das Staatsoberhaupt Christian Wulff ergießt – in der schrecklich wirklichen Welt des Berliner Politbetriebs.

Es ist nicht das erste Mal, dass dieses Magazin aktuelle Themen aufgreift. Im kolorierten Umfeld von Enten und Mäusen lauern auch Spitzen gegen einen Modeschöpfer namens Max Magerheld oder gegen Dietmar Fohlen, Star einer Castingshow. Selbst Parteien bekommen ihr Fett ab, so die SPD in der Steuerdebatte von 2005. „Wir leben in einer Solidargemeinschaft“, erklärt Sekretärin Rita Rührig ihrem geizigen Chef Dagobert – und konterkariert die Moralpredigt mit einer Definition: „Da helfen die Stärkeren den Schwächeren und die Schwächeren sehen fern.“ Dann reißt auch schon die Steuereintreiberin die Geldsäcke an sich. „Verglichen mit Ihnen sind die Panzerknacker bescheidene Zeitgenossen“, ereifert sich der Milliardär, und die „gierige Hyäne“ will gar nicht widersprechen: „Die haben auch nicht das Gesetz auf ihrer Seite.“

Hitler als Fan, die UdSSR als „Brutopien“

Jenseits von Entenhausen: Es ist wohl nicht leicht, in einer heilen Parallelwelt von solcher Breitenwirkung die umstrittene Realität ganz draußen zu halten. Carl Barks, der legendäre Disney-Zeichner der Nachkriegszeit, versuchte zwar redlich, seine kindlichen Leser mit seiner politischen Gesinnung zu verschonen. Umso schwerer wogen aber die Botschaften, die er in seiner Enten-Travestie dann doch zuweilen verbreitete. So steht die düstere Diktatur Brutopien für die Sowjetunion. Man möchte nicht leben in diesem Land, wo schweinsgesichtige Funktionäre allen Freiheitsrechten den Garaus machen. So wird ein Kindercomic zum populärkulturellen Dokument des Kalten Krieges. Differenzierter griff Barks den Vietnamkrieg auf, der im „Schatz des Marco Polo“ verklausuliert zum Thema wird.

Für den Kommunismus findet er auch dort keinerlei Sympathie, aber der Widerpart Entenhausen, der hier für die USA steht, kommt wegen seines imperialistischen Gehabes kaum besser weg. Im Laufe der Zeit gewannen die Geschöpfe von Barks ein solches Eigenleben, dass der Autor die Gunst seiner Leser gar nicht mehr steuern konnte. So geriet Mickey Mouse, anfangs in Europa die Zentralfigur des Disney-Universums, zusehends ins Abseits. Als stets korrekte, moralisch tadellose Supermaus passte sie noch gut in die Zeit des Wirtschaftswunders. Aber eine Generation, die sich vom miefigen Wertekorsett ihrer Eltern befreite, musste diese Law-and-Order-Figur zunehmend nerven.

Weit sympathischer kam da der ewige Pechvogel Donald rüber, ganz zu schweigen von seinen anarchischen Neffen Tick, Trick und Track, die ihren Willen gegen jeden autoritären Widerstand durchsetzen. Das machte sie zu Ikonen der rebellischen Studenten von 1968. Ihnen galt die Lektüre von Donald-Duck-Bänden als ähnlich politisches Statement wie die von Marx und Mao.

Eine seltsame Karriere für eine Ente, die im Zweiten Weltkrieg der US Army half, Soldaten zu rekrutieren. Ihrer Popularität verdankte sie auch die Hauptrolle in „Der Fuehrer's Face“. Ursprünglich hieß dieser Kurzfilm aus der Disney-Werkstatt „Donald Duck in Nutzi Land“ und sollte den Verkauf von Kriegsanleihen ankurbeln. Er zeigt Donald als unterdrückten Deutschen, der Munition fabriziert und vor Führer-Porträts, die am Fließband vorbeiziehen, den Arm zum Hitlergruß ausfahren muss. In der kurzen Pause wird geturnt, Donald verbiegt seinen Körper zum Hakenkreuz. Das schräge Propagandawerk wurde nicht breit vertrieben. Es war der Filmfabrik dann doch zu heiß, dass der animierte Held Amerikas als Nazi dargestellt wird – wenn auch als widerstrebender. Hitler hätte das wohl gefallen. Er war, seltsam genug, ein Bewunderer und Kenner der amerikanischen Zeichentrickserien. Josef Goebbels, mit dieser Schwäche vertraut, schenkte seinem Führer zu Weihnachten 1937 zwölf Mickey-Mouse-Filme. „Er freut sich sehr darüber. Ist ganz glücklich über diesen Schatz“, vermerkte der Propagandaminister in seinem Tagebuch. Es war auch ein kostbares Präsent. Denn die Produzenten hatten 1935 den Export ihrer Werke ins Dritte Reich gestoppt. Sie waren erbost über Nazi-Hetzschriften, in denen die sprechende Maus als „schändliches Vorbild“ diffamiert wurde.

Ähnlich zwiespältig war die Rezeption im faschistischen Italien. Auch Mussolini soll ein glühender Verehrer von Walt Disney gewesen sein. Das hinderte sein „Ministerium für Volkskultur“ aber nicht daran, die Comicstars fremder Zunge ab 1938 aus den italienischen Kinderzimmern zu verbannen. Vom Geist des Antiamerikanismus war freilich auch noch das Europa der Nachkriegszeit beseelt. Die bunten Heftchen aus Übersee verdummen die Jugend, die Sprechblasen verkünden den Untergang des Abendlandes – so befanden die Bildungsbürger. Sie verbrannten Comics und verfassten Pamphlete gegen den Schund. Doch der Vormarsch der Entenhausener war nicht aufzuhalten.

Im Islam ist Mickey ein „Soldat Satans“

Heute findet der ideologische Streit um Cartoons im Orient statt. Ein prominentes Opfer ist Naguib Sawiris, Gründer der liberalen Partei der Freien Ägypter. Der Telekom-Milliardär und koptische Christ zog sich den Zorn der Islamisten zu, als er einen Cartoon per Twitter verbreitete. Er zeigt Mickey Mouse mit langem Bart und Minnie Mouse mit schwarzem Gesichtsschleier. Rasch riefen die Angehörigen der religiösen Parteien zum Boykott seines Mobilfunknetzes auf. Nun soll Sawiris vor Gericht, wegen Blasphemie und Beleidigung des Islam. Der Fall wird auch darüber entscheiden, wie ernst es die Ägypter mit der Meinungsfreiheit nach dem Sturz des Mubarak-Regimes tatsächlich meinen.

In Saudiarabien stellt sich diese Frage erst gar nicht. Dort verkündete vor drei Jahren ein Kleriker in einer Fernsehsendung, Mickey Mouse müsse sterben. Denn egal, ob echt oder gezeichnet, die Maus sei ein „Soldat Satans“, der vom Teufel persönlich gesteuert werde. Die Gesetze des Islam sprechen von abscheulichen Tieren mit zerstörerischem Einfluss. So wird die alberne Zeichentrickfigur unversehens zu einem Herold der Freiheit und der Aufklärung. Und dem zivilisierten Europäer unserer Tage bleibt gar nichts anderes übrig, als mit fiependen Mäusen und quakenden Enten in den Kulturkampf zu ziehen. Würg. Ächz. Stöhn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2012)

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