Ausstellung: Des Richters Freispruch für die Malerei

Ausstellung Richters Freispruch fuer
Ausstellung Richters Freispruch fuer(c) AP (Markus Schreiber)
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In Berlin ist das Lebenswerk Gerhard Richters zu sehen, in allen Facetten und in strenger Chronologie. Der Ruhm des innovativen Bewahrers wächst stetig weiter.

Das ist es also: Ein schäbiges kleines Gehöft, einsam und verlassen, versunken im Schnee. Ein vergittertes Stallfenster, hinten eine Scheune aus Holz. Ist das ein Foto? Erst zum rechten Rand des kleinformatigen Bildes hin verschwimmen die Konturen. Das gemauerte Haus weicht einem verwischten Wald, einem abstrakten Gestöber aus weißen und schwarzen Flecken. Es ist, versteckt und fast unbemerkt, der verstörende Einbruch des Rat- und Rastlosen in unsere fest gefügten Gewissheiten.

Das ist es also, das einzige Bild der Ausstellung, von dem Gerhard Richter sagt, es würde ihm sehr schwer fallen, sich von ihm zu trennen. Der Maler, der am Donnerstag seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, fühlt sich sichtlich unwohl, wenn ihn eine Hundertschar von Fotografen einem Blitzlichtgewitter aussetzt, Journalisten unsinnige Fragen stellen und die gedankenlosen Lobhudeleien kein Ende nehmen wollen. Auch die immer neuen Rekordpreise, die seine Werke auf internationalen Auktionen erzielen, hält er für „absurd, albern, unangenehm“.

Dass ihm nun alle erklären, er sei der größte lebende Maler Deutschlands, Europas, ja der ganzen Welt, das weckt nur seine Skepsis und Selbstzweifel, die nie sehr tief schlummern. Sicher, als der Perfektionist, der er nun mal ist, hat er sich sechs Jahrzehnte lang bemüht, seine Sache sehr gut zu machen, die Möglichkeit von Malerei in unserer Zeit immer neu zu erfragen und auszuloten. Aber eine endgültige Antwort kann er doch niemals gegeben haben. Und wenn, dann vielleicht am ehesten dort, wo sie niemand vermutet: auf bescheidenen Nebenwegen, auf leisen Sohlen, im kleinen Gehöft.

Ikonen der Kunstgeschichte

An ihm gehen die meisten Besucher achtlos vorbei, auf der großen Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Sie wollen schnell zu den kanonischen Meisterwerken des deutschen Malerfürsten.

Die Kerze! So ein Bild hat doch bei einer Auktion in London vor Kurzem zwölf Millionen Euro erzielt, tuschelt das Publikum aufgeregt. Das Seestück! Mit solchen Bildern hat Richter die Romantik eines Caspar David Friedrich souverän ins Heute transponiert. Seine erste Frau Ema, die nackt eine Treppe hinabsteigt! Eine Konterrevolution gegen Duchamps postkubistischen Akt, der das Ende der Malerei ausrufen sollte – und Richter, dieser Titan des Pinsels, hat sie mitten in der ziellosen Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit wieder ins Spiel gebracht und damit Kunstgeschichte geschrieben.

Deren Atem weht einen hier an, überall in Mies van der Rohes gewaltigem Glasgeviert. Die Ausstellung heißt „Panorama“ und gewährt tatsächlich einen Rundblick über das kaum überschaubare Lebenswerk Richters. 140 Gemälde, etwa doppelt so viel wie bei der Albertina-Ausstellung 2009: ein Kraftakt bei einem längst seliggesprochenen Künstler, dessen Werke einen festen Platz in den großen Museen und Privatsammlungen gefunden haben.

Ein Leben, drei Wege

Allein ist so etwas nicht mehr zu stemmen. Deshalb haben sich die Berliner Museen mit der Tate Modern in London zusammengetan, wo die Schau schon zu sehen war, und mit dem Centre Pompidou in Paris, wohin sie im Anschluss ziehen wird.

Das Besondere an der Berliner Version: Sie folgt einer strengen Chronologie, beginnend mit dem ersten Bild des offiziellen Werkverzeichnisses, einem übermalten Tischbild von 1962. So zeigt sich deutlich, dass Richter die drei Hauptlinien seines Schaffens stets parallel führte: die abgemalten Fotobilder, die ihn berühmt machten, die abstrakt-expressiven Werke, die für ihn zuletzt immer wichtiger wurden, und schließlich die Erkundungen zur reinen Farbe, die ihn in die Nähe der Op-Art rücken.

Zu ihnen gehört „4900 Farben“, eine Werkserie von 196 Lackfarbtafeln aus je 25 farbigen Einzelquadraten. Sie zeigt, als umlaufender Fries, an der Rückseite der Ausstellungswände nach draußen, und die Glasfronten beziehen die ganze Stadt mit ein in die Richter-Apotheose. Die aktuellsten Großformate sind gleich am Eingang zu sehen – ein Fanal. Es verkündet, zur Erleichterung der herbeiströmenden Richter-Jünger, dass der rüstige Meister weiter tagtäglich seine zehn Stunden im Atelier steht.

Nur ein berühmtes Werk ist ausgelagert: Die Baader-Meinhof-Porträts sollen sich, als Dokument einer gescheiterten Utopie, unter der Historienmalerei der Alten Nationalgalerie bewähren. Auch auf 9/11 hat Richter eine malerische Antwort gefunden. Das fast abstrakte, nicht große Bild lässt Flugzeug und Hochhaus nur erahnen – eine introvertierte Meditation über das Böse, die nichts kommentiert, nichts erklärt und doch alles sagt.

Das Geheimnis hinter dem Fotobild

Bei aller oft verwirrenden Vielfalt von Richters Œuvre: Immer geht es um eine Gegenrealität, die dem schrecklichen Ereignis, dem banal gewordenen Objekt mit den geschwächten Mitteln der Kunst eine neue Würde und Tiefe zurückgeben will.

Gerade die fotorealistischen Arbeiten künden von einem Geheimnis, das sich nicht in Worte fassen lässt, von einer weltlichen Transzendenz. Dass Richter dem Kunstwerk diese traditionelle, massiv gefährdete Aura bewahren will, unterscheidet ihn so radikal von vielen seiner Kollegen, die sich in Zynismus, Spielerei und geschwätzigem Diskurs bequem eingerichtet haben. So schwebt auch über Richters ganzem Werk und ihm selbst eine Aura. Und sie treibt, wen kann es verwundern, die Massen in seine Ausstellung – seit gestern, Sonntag, bis zum 13. Mai.

Auf einen Blick

Gerhard Richter (80) gilt als einer der bedeutendsten lebenden Maler. Er wurde in Dresden geboren, erhielt seine Ausbildung in der DDR und schaffte 1961 die Flucht in den Westen. Heute lebt er mit seiner dritten Frau und ihren drei gemeinsamen Kindern in Köln. Berühmt wurde Richter vor allem durch seine naturgetreuen Abmalungen von Fotografien, die er durch Verwischungen verfremdet. Seine Werke erzielen auf internationalen Auktionen Rekordpreise. [AP]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2012)

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