Petros Markaris: Der Mörder als griechischer Volksheld

Petros Markaris Moerder griechischer
Petros Markaris Moerder griechischer(c) EPA (TONI GARRIGA)
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Was wäre, wenn ein selbst ernannter nationaler Steuereintreiber säumige Bürger vor die Wahl stellt: Zahl oder stirb! Der griechische Autor Petros Markaris hat das Szenario durchgespielt.

Waren es im Vorgängerroman, „Faule Kredite“, noch Banker, die auf grausame Weise umgebracht wurden, geraten beim griechischen Krimiautor Petros Markaris diesmal säumige Steuerzahler ins Visier eines „nationalen Steuereintreibers“. Wer einen Drohbrief mit folgendem Wortlaut aus dem Postkasten holt, sollte lieber schnell Geld flüssig machen: „Beim Finanzamt geben Sie ein zu versteuerndes Nettoeinkommen von 50.000 Euro an. Nach meinen Berechnungen liegt die von Ihnen zu zahlende Steuerschuld zwischen 200.000 und 250.000 Euro. Zahlen Sie daher bitte innerhalb der nächsten fünf Tage den ihrem Einkommen entsprechenden Betrag von 200.000 Euro an das zuständige Finanzamt. Widrigenfalls wird anders abgerechnet, und Sie werden liquidiert.“ Wer an einen üblen Scherz glaubt und nicht zahlt, riskiert sein Leben. Schon bald gibt es die ersten Toten.


Die gerissene Merkel war's! Der Athener Kommissar Kostas Charitos steht vor einem seiner kniffligsten Fälle. Nicht nur gibt es kaum Anhaltspunkte, um dem perfiden Mörder auf die Schliche zu kommen. Darüber hinaus wird der selbst ernannte Steuereintreiber rasch zum Volkshelden. Kein Wunder, gelingt ihm doch das, woran seit Generationen jede griechische Regierung gescheitert ist: Steuerhinterziehung einen Riegel vorzuschieben. Endlich werden Steuersünder bestraft. Wenn eine Fernsehmoderatorin den Vizefinanzminister fragt, ob der Staat nicht vielleicht die Dienste eines solchen Mörders braucht, um die Steuern einzutreiben, macht das deutlich, welche Ohnmacht jene Griechen empfinden müssen, die bereits jetzt brav ihre Steuern zahlen.

Scharfsinniger Beobachter.
Markaris hat mit seinem soeben bei Diogenes erschienenen „Zahltag“ zwei Dinge geschafft. Einerseits hat er einen soliden und unterhaltsamen Krimi rund um Kultkommissar Charitos verfasst. Zwischendurch gibt es auch bissigen Humor: Etwa als ein potenzielles Opfer den Verdacht äußert, der griechische Staat und die deutsche Kanzlerin Merkel könnten hinter der ganzen Sache stecken. Andererseits ist sein Buch ein großer Gesellschaftsroman, der mit scharfsinnigen Beobachtungen nicht geizt. „Korruption ist wie eine Pille, man braucht nur genug Flüssiges, um sie hinunterzuschlucken“, heißt es an einer Stelle. Und ein anderes Mal: „Der griechische Staat ist weltweit die einzige Mafia, die es geschafft hat, bankrottzugehen. Alle anderen kriminellen Vereinigungen blühen und gedeihen.“

Markaris ist kein Prophet, aber er hat die Krise kommen sehen. Bereits vor den Olympischen Spielen in Athen 2004 stellte er in seinem Roman „Live!“ die Frage: Wer soll das alles bezahlen? Zudem war er von Anfang an überzeugt, dass die griechische Krise gekommen ist, um zu bleiben, wie er es im Vorwort seines gleichzeitig veröffentlichten Buchs „Finstere Zeiten“ formuliert. Darin sind Artikel und Reden des Autors – verfasst und gehalten zwischen 2009 und 2012 – zusammengefasst. Fazit: Die Krise ist keine ausschließlich finanzielle, sondern eine des politischen Systems mit finanziell verheerenden Folgen. Markaris kritisiert vor allem die ausgeprägte Klientelpolitik der Parteien.

„Zahltag“ sollte der zweite Teil einer Romantrilogie über die griechische Krise sein. Daran glaubt Markaris aber nicht mehr: „Entweder füge ich der Trilogie noch einen Epilog hinzu, der das Ende der Krise illustriert, oder ich mache aus der Trilogie eine Tetralogie. Es könnte aber auch sein, dass ich die erste Trilogie abschließe und mit einer neuen beginne. Das wäre die schlimmste Variante.“ So gern man Markaris auch lesen mag, hoffen will man auf die letzte Variante nicht.

Petros Markaris: „Zahltag. Ein Fall für Kostas Charitos“,
übersetzt von Michaela Prinzinger, Diogenes, 420 Seiten
23,60 Euro.

„Finstere Zeiten. Zur Krise in Griechenland“, Diogenes, 162 Seiten, 15,40 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2012)

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