Tom Wolfe entdeckt den Stoff von „Miami Vice“

(c) AP (Mark Seliger)
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„Back to Blood“ erzählt vielschichtig vom Flachland: In Florida krachen Kulturen aufeinander. Stimmt diese These, könnte es leicht sein, dass der große US-Roman derzeit nicht auf Englisch, sondern Spanisch geschrieben wird.

Anglos oder Americanos, wie die weißen Amerikaner von den anderen genannt werden, hassen Kubaner, die wieder hassen Zuwanderer aus Haiti, vor allem, wenn sie schwarz sind. Zumindest verachtet jeder jeden im künstlichen Paradies von Miami, aber am schlimmsten ist es, in der eigenen Gruppe in Ungnade zu fallen. Auf diese Formel kann man den neuen Roman des amerikanischen Bestsellerautors Tom Wolfe bringen, der im Jänner auf Deutsch erscheinen wird.

Schon im Titel wird gezeigt, welche Klammer dieses Buch zusammenhält. In „Back to Blood“ geht es um Herkunft, um „Race“, dargestellt an der pulsierenden Metropole von Florida. Eine schwindende Minderheit von Angelsachsen, eine Spanisch sprechende Mehrheit mit dominierenden Kubanern, sowie Afroamerikaner und weitere Splittergruppen leben in Miami. Im Zweifel ist es eben nur die Familie, der Clan, die Sicherheit zu geben versprechen. Die Phrase „back to blood“, die das illustriert, hat Wolfe vor zwölf Jahren in einem Essay als Essenz des Zeitgeists des 21. Jahrhunderts bezeichnet, sie klingt auch schon in seinem ersten Roman 1987 an.

Die US-Kubaner wittern Verrat

Wolfe hat eine Unmenge Details gesammelt, für ein großes Mosaik der USA. Romane sind für ihn eine Art Sozialgeschichte, er geht an sie mit den Mitteln eines Reporters heran. Das ist sein erklärtes Konstruktionsprinzip. Seit er als Student Max Webers Opus magnum „Wirtschaft und Gesellschaft“ gelesen hat, interessiert ihn insbesondere die Machtverteilung innerhalb der Gemeinschaft: „Klassen, Stand, Parteien“ heißt es bei Weber. Neben offensichtlichen ökonomischen Zwängen ist für Wolfe (wie Nathaniel Rich in der „New York Review of Books“ treffend anmerkt) Status eine treibende Kraft in sozialen Gruppen – und die Furcht vor seinem Verlust. Dass die Anglos in Miami auf verlorenem Posten sind, erfährt man im Roman durch Statistik: Von zehn Polizisten stammen sechs aus Kuba, zwei sind Afroamerikaner.

Nehmen wir den sympathisch wirkenden Helden des Buchs: Nestor Camacho, 25. Seine Großeltern waren einst mit dem Boot aus Kuba nach Florida geflüchtet. Der Enkel macht nun Karriere bei der Exekutive. Stolz kehrt er heim von einem Einsatz der Küstenwache. Er hat einen kubanischen Flüchtling unter artistischem Einsatz vom Mast eines Segelschiffes heruntergeholt. Sein Chef lobt ihn, Nestors Kraftakt schafft es in die Hauptnachrichten des Fernsehens und auf die Titelseiten der Zeitungen. Aber als Camacho junior mit stolzgeschwellter Brust heimkommt, findet er bei den Verwandten nur Verachtung. Er habe seine Leute verraten, der Kubaner werde abgeschoben. „How could you do that to your own blood?“, tobt der Vater. Tatsächlich zeigt sich auch in den Zeitungen der Zwiespalt. Die englische feiert Nestor als Helden, die spanische bezeichnet ihn als Verräter. Ein alter Onkel sagt direkt heraus, was mit Nestor nicht stimme: Er könne ja nicht einmal mehr richtig Spanisch. Das aber dominiert wieder, dort unten in Miami.

Für den in seinen Gefühlen zutiefst verunsicherten jungen Mann beginnt ein Abstieg. Bei einem weiteren Einsatz rettet Nestor einen Kollegen, misshandelt dabei einen schwarzen Drogendealer und wird entlassen, weil ein Passant dieses Vergehen per Handy dokumentiert hat. Der Polizeichef, ein Afroamerikaner, wird zum Bürgermeister, einem kubanischen Amerikaner zitiert. Es drohen Rassenkonflikte, die man schon aus Wolfes früheren Romanen kennt.

Magdalena und die Pornografie

Lange dauert die Phase der Rehabilitation für Nestor, während die von ihm verehrte, ebenfalls hispanische Krankenschwester Magdalena Otero ihren Status Zug um Zug verbessert. Am Anfang streitet sie mit ihrer Mutter über Moral, als sie die elterliche Wohnung verlassen will. Doch sie hat sich innerlich längst von ihren Wurzeln befreit. Hialeah, das kubanische Viertel, in dem sie aufwuchsen, ist zu eng für sie, „eine kleine Kiste“, in der jeder jeden beobachtet, Neid und Missgunst herrschen. Am besten wäre wohl: Flucht.

Magdalena arbeitet für einen Starpsychologen, der sich auf nach Pornografie süchtige Patienten spezialisiert hat. Sie wird zu seiner Geliebten, lässt ihn aber fallen, als sich eine günstige Verbindung zu einem russischen Oligarchen ergibt, der für Miamis neues, nach ihm benanntes Museum den Mäzen spielt. Warum treibt sich jemand aus dem brutalen Kreis Moskauer Macht bei der elitären Art Basel in Miami herum, wo die Reichen wie die Maden in modischer Kunst wimmeln? Elementar: Er will dazugehören.

Kunst und ihre Fälschung werden schließlich für Nestors Wiederaufstieg wesentlich sein. Der entehrte Polizist arbeitet mit einem begabten Reporter zusammen, einem Americano, um einen riesigen Skandal aufzudecken. Die Passagen über Glanz und Untergang des amerikanischen Journalismus gehören zu den besten in diesem ausufernden, von Satire durchsetzten, in seinem Manierismus maßlosen Buch.

So viel Lautmalerei herrscht hier, dass man glaubt, Wolfe mache sich über seine seit Jahrzehnten gepflegten Eigenheiten lustig. Beschreibungen arten, reich an Adjektiven, in Waren-Fetischismus aus. Die Figuren aber sind simpel gestrickt, als habe sich der Autor die Klischees der Krimiserie „Miami Vice“ zum Vorbild genommen für die Verdeutlichung seiner Soziologie. Grell und schrill ist dieses Buch, doch vielleicht wird auch das Grelle und Schrille von Miami zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Erinnerung bleiben. Es kann aber gut möglich sein (falls die These vom Kampf der Kulturen stimmt), dass der große US-Roman dieser Tage nicht auf Englisch, sondern auf Spanisch geschrieben wird.

Tom Wolfes Romane

Reportagen und Essays machten Tom Wolfe (* 1931) und seinen markanten Stil in den Sechzigerjahren berühmt. Dem Roman wandte er sich in den Achtzigerjahren zu. Das Debüt „The Bonfire of the Vanities“ (1987) wurde zum Bestseller, so wie „A Man in Full“ (1998) und „I Am Charlotte Simmons“ (2004). Wolfes vierter Roman kommt am 28. Jänner 2013 auf Deutsch heraus, übersetzt von Wolfgang Müller: „Back to Blood“, Blessing Verlag, 768 Seiten, € 25,70

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2012)

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