Menasse träumt vom nach-nationalen Kontinent Europa

Robert Menasse traeumt nachnationalen
Robert Menasse traeumt nachnationalen(c) APA (GUENTER R. ARTINGER)
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Bei "Geist und Gegenwart" wird auf dem steirischen Schloss Seggau über die Vereinigten Staaten von Europa diskutiert. Zur Eröffnung setzte der Wiener Autor einen Kontrapunkt. EU-Kommissar Johannes Hahn riet zu Selbstsicherheit beim Vorantreiben des Projekts.

„Ein Unsinn!“, sagte Robert Menasse gewohnt kämpferisch, und da blieb so manchem Ehrengast aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf Schloss Seggau beim fünften Symposium „Geist und Gegenwart“ kurz der Mund offen. Denn der Wiener Schriftsteller hatte am Mittwochabend genau auf den Kern des Themas gezielt, dem sich die steirischen Veranstalter des Pfingstdialoges diesmal bei ihrem dreitägigen „Forum für politische, wissenschaftliche, kulturelle, wirtschaftliche und soziale Fragen eines neuen Europas“ stellen: „Vereinigte Staaten von Europa. Hoffen. Wagen“, stand auf himmelblauer Wand hinter den Vortragenden.

Menasse raubte gleich einleitend eine dieser Hoffnungen: „Wir müssen begreifen, dass die Vereinigten Staaten von Europa ein Unsinn sind.“ Das gehe mit Nationalstaaten nicht. „Die Idee der Nation hat sich erschöpft“, wiederholte er öfters. Solange es aber die Fiktion nationaler Interessen gebe, werde der Konflikt bestehen. Vielmehr müsse man darangehen, das Projekt der Europäischen Union zu rekonstruieren. Wie er sich das vorstellt, hat er im Vorjahr nach gewissenhaften Recherchen in Brüssel in seinem Bestseller „Der Europäische Landbote. Die Wut der Bürger und der Friede Europas“ (Zsolnay Verlag) skizziert. Eine Kernthese: Um Europa zu retten, müsse die EU das Nationalstaatliche überwinden. Er meint damit vor allem die Macht des EU-Rates.

Churchills oft missbrauchtes Zitat

Bei der Veranstaltung des Landes Steiermark und der Diözese Graz-Seckau variierte Menasse diese Vorbehalte. Er lobte die Gründerväter für ihre Strategie, in kleinen Schritten die Souveränität der einzelnen Staaten abzubauen. Schlüssig arbeitete er die Unterschiede Europas zu den USA heraus, „die mit Gewalt Territorien genommen haben“. Er ging auch auf die berühmte Zürcher Rede des britischen Premierministers Winston Churchill von 1946 ein, in der dieser „eine Art Vereinigte Staaten von Europa“ vorschlug. Das Zitat werde heute oft missbraucht. Churchill wollte damals „die blutige Geschichte des Nationalismus überwinden“, so Menasse, „aber bei derselben Rede sagte er, dass die Vereinigten Staaten ohne Großbritannien verwirklicht werden sollten.“ Denn die Briten seien schon in einem Klub, dem Commonwealth. Das Problem Europas heute: „Es wurde vergessen, was die EU war. Und niemand hat begriffen, worin die jetzige Krise besteht.“ Sie sei keine wirtschaftliche, sondern eine politische.

Menasse plädierte für eine Zentralbank und eine gemeinsame Fiskalpolitik. Sein Angriffsziel in dieser wie in anderen Fragen: die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Erwarten Sie nicht, dass sich nationale Politiker selbst abschaffen“, rief er in den Saal und setzte kühn seine Hoffnung auf die Regionalpolitik. Europa könne der erste nach-nationale Kontinent der Weltgeschichte werden, mit starken Strukturen der Subsidiarität.

„Die anderen sollen sich angleichen“

Das war das Stichwort für EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP), der in Brüssel für Regionalpolitik zuständig ist. Die Vertreter der Regionen, die ihn in Brüssel aufsuchten, seien mindestens so fordernd wie die der Nationen, erzählte er – und reagierte gelassen auf Menasses Thesen: „Schon vor der Bildung von Nationen haben sich die Europäer regelmäßig die Birne eingehauen.“ Er riet zu Realismus, stellte zugleich jedoch eine gewagte Behauptung auf: „Wir haben eine Fülle von Problemen, aber das europäische Projekt steht nicht mehr zur Disposition.“ Die Erweiterung in den letzten von bisher 62 Jahren Gemeinschaft sei „an sich zu schnell und heterogen“ gewesen. Trotzdem sollte man die Sache selbstsicher vorantreiben.

Hahn setzt dabei offenbar auf die Jugend. Er nannte als Beispiel seinen 25 Jahre alten Sohn: „Der sieht mich fassungslos an, wenn es ums Fundamentale geht.“ Solche Diskussionen über Grundsätzliches zu Europa seien „eine Sache von alten Männern“. Die Europäer aber, die im beginnenden pazifischen Jahrhundert mit ihren 500 Millionen Menschen gerade sieben Prozent der Weltbevölkerung ausmachten, sollten viel selbstbewusster auftreten. In der EU gebe es hohe Standards beim Recht, der Demokratie, im sozialen Bereich. „Die anderen sollen sich unseren Standards angleichen.“ Hahn empfahl mehr Harmonisierung, vor allem in der Außenpolitik. So deutete er an, dass die halbjährliche Rotation der Staaten in der Ratspräsidentschaft wenig sinnvoll sei. Und er schloss mit einem Wunsch, der neues Konfliktpotenzial mit Nationen birgt: Die Union solle eigene Einkunftsquellen bekommen, statt der bisherigen Mitgliedsbeiträge.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2013)

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