Heiße Stadt: Wieso Wien doch eine Hauptstadt des Pop ist

Heisse Stadt Wieso Wien
Heisse Stadt Wieso Wien(C) Falter
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Neues Buch. Ein gewichtiges Werk: „Wienpop“ erzählt fünf Jahrzehnte heimische Musikgeschichte. Nicht nur in Anekdoten, aber auch.

„Es ist zu heiß für mich in dieser Stadt, hier ist zu viel Weiß, ich sehe mich nicht satt. Es hat zu viel Hitze, und da friere ich, ja, diese Stadt hat nichts für mich und dich.“

Ganz leise, mit einer Stimme, die sich ihre Höhe erst sucht, nur von der eigenen Gitarre begleitet, sang Andreas Spechtl diesen klassischen Falco-Song aus dem Jahr 1982, ließ keine Szene-Koketterie übrig, keinen Kokain-Chic, keinen Achtziger-Glamour. Es war, als habe der Song den Zeitgeist abgestreift und stünde nackt da: ein großer, zeitloser Moment bei der Präsentation des über ein Kilo schweren Buchs „Wienpop“ in der Wiener Stadtbibliothek.

Zugleich ein wunderbares Argument gegen all jene, die den Wiener Pop gern kleinreden, ihm attestieren, er sei stets epigonenhaft gewesen, habe nur englische und amerikanische Trends nachgemacht. Falco war groß und einzigartig, das steht wohl fest. Ja, Panik – die Band Spechtls – ist groß und einzigartig; wer sie kennt, weiß es. Auch abseits des klassischen Austropop gibt es unzählige höchst originäre österreichische Popkünstler: von Attwenger bis zu den Mäusen, von Kruder & Dorfmeister bis Radian, von André Heller bis Chuzpe, gewiss, Vorbilder kann man für sie alle finden, aber das gilt für die Rolling Stones mindestens genauso.

Im Herzen der Langeweile?

Ein zweites Leitmotiv, das sich in vielen der Aussagen der 130 befragten Protagonisten und Zeitzeugen oft findet, ist das von der toten Stadt. Wo im Wienerlied das gute alte Wien immer in der Vergangenheit liegt, findet der Wiener Pop in dieser – und gleich auch in der Gegenwart – nur Ödnis. „In den Sechzigerjahren war absolut nichts los“, sagt Edek Bartz. „Das Wien der ausgehenden Siebziger war eine der totesten Städte der Welt und geistig sehr isoliert“, sagt Konrad Becker. „Wien hinkte anderen Städten immer hinterher“, sagt Othmar Bajlicz. „Dieser Rock-Mief, der da in den Redaktionen herrschte!“, ruft Katharina Weingartner, Ende der Achtziger bei der „Musicbox“ für Hip-Hop zuständig. Und so weiter. Doch genau dieses Gefühl, aus einem Herzen der Langeweile zu kommen, war Katalysator vieler Aufbrüche, von denen dieses Buch berichtet. Und die Pose der unterschätzten Opponenten gegen die ach so graue Masse. „Wir sind zu klug für diese Welt“, sangen Chuzpe 1982.

Natürlich, da schwang Selbstironie mit. Aber es war auch ernst. Überhaupt ist ein wesentlicher Eindruck, den die Lektüre dieses Buchs hinterlässt, wie ernst und wichtig Pop für das Leben der Beteiligten war und ist. Bis in die Details: In welche Lokale geht man? Wie laut ist es dort? Wie hell? Was darf man dort tun? Welche Geschäfte durfte man an der Bar der Blue Box doch nicht erledigen? Über solche hatte z.B. Fritz Ostermayer, den heutigen Jungen für seine große Würde bekannt, eine Beichte abzulegen...

Auch solche Anekdoten würzen das Buch, das – ähnlich wie „Please Kill Me“ über den US-Punk und der Neue-Deutsche-Welle-Roman „Verschwende deine Jugend“ von 2001, aber viel umfassender – aus den Erzählungen der Zeitzeugen eine vielstimmige Geschichte baut. Bald flüssig, bald naturgemäß brüchig. Das Projekt, an dem neben „Falter“-Redakteur Gerhard Stöger (dem längst ein Titel wie Prof. Pop-Hist. gebührt) Thomas Mießgang, Walter Gröbchen (dem „Presse“-Leser durch seine „Maschinenraum“-Kolumne geläufig) und Florian Obkircher arbeiteten, war höchst aufwendig. Es ist geglückt. Und ja, Falco kommt auch ganz groß vor: Ihn haben alle, alle gekannt, in dieser kalten, heißen, toten, lebendigen Popstadt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2013)

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