Kurt Bayertz: „So viel gelacht!“

Kurt Bayertz
Kurt Bayertz(c) C. H. Beck Verlag (C. H. Beck Verlag)
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Der Philosoph erhält für sein Buch „Der aufrechte Gang“ den Essay-Preis des Philosophicums Lech. Der „Presse“ erzählte er, wie er sich beim Schreiben amüsiert hat.

Die Presse: Herr Bayertz, Sie haben 415 Seiten über den aufrechten Gang geschrieben. Wie sind Sie überhaupt auf dieses Thema gekommen?

Kurt Bayertz: Die Idee kam mir schon in den 1980er-Jahren. Ich stieß auf einen Text von Pietro Moscati (Anm.: Professor für Anatomie, Chirurgie und Geburtshilfe an der Universität Pavia, lebte 1739–1824), der sich mit dem aufrechten Gang befasst. Da dachte ich mir, dazu musst du einmal etwas schreiben. Es dauerte dann Jahre, bis ich dazu meinen ersten Aufsatz verfasste. In der Folge befasste ich mich immer intensiver mit dem Thema. Auf einmal stieß ich nahezu bei jedem Text, den ich las, auf den aufrechten Gang. Das war ganz komisch.

Sie hatten offenbar plötzlich die „richtige“ Brille auf.

Ja, das stimmt wohl. Wenn man sensibilisiert ist, stechen einem diese Stellen ins Auge, die man früher gar nicht bemerkt hätte. Auch meine Kollegen und Freunde, die wussten, dass ich mich damit befasste, machten mich immer wieder auf Texte aufmerksam. Als ich dann zu schreiben begann, hatte ich 18 Ordner an Material gesammelt. „Das musst du jetzt nur noch zusammenfassen“, dachte ich.

Das „nur noch Zusammenfassen“ hat dann über sechs Jahre gedauert.

Das mit dem „nur Zusammenfassen“ erwies sich als Irrtum. Wahrscheinlich war es ein notwendiger Selbstbetrug, um endlich zu beginnen. Es war gut, dass ich nicht wusste, was auf mich zukommt. Ich hatte für das Schreiben nämlich nur 18 Monate veranschlagt. Für diese Zeit hatte ich ein Stipendium von der Volkswagenstiftung erhalten und war von meiner Lehrtätigkeit an der Uni freigestellt. Ich konnte mich ganz dem Buch widmen.

Und wie weit waren Sie nach dieser Zeit?

Ich hatte gerade einmal den Grundstock. Dieser aber war sehr wichtig, um gezielt weiterarbeiten zu können.

Ist der Prozess des Schreibens ein einsamer?

Ja, das ist er. Und das ist manchmal schön und manchmal nicht. Insgesamt war dieses von allen meinen Buchprojekten aber das schönste. Ich habe so viel gelacht!

Gelacht?

Ja, beim Lesen der vielen Texte aus den verschiedensten Epochen. Es ist wirklich lustig, welche Verrücktheiten sich Philosophen zurechtgelegt haben, um das Phänomen des aufrechten Gangs zu erklären.

Was hat Sie amüsiert?

Platon behauptete, der Mensch sei ein ungefiederter Zweibeiner. Diogenes widerlegte seine Definition dadurch, dass er einen gerupften Hahn vorzeigte und sagte: „Das ist Platons Mensch!“ Diese Debatte hat etliche Philosophen noch über Jahrhunderte beschäftigt. Amüsant sind auch die Irritationen, die im 17.Jahrhundert der Pinguin ausgelöst hat. Er widerlegte die altehrwürdige These, dass allein der Mensch aufrecht geht und dass dies notwendig so ist.

Heute klingt das für uns amüsant. Dennoch hatte wohl jede Zeit und jeder Philosoph Gründe, diese heute schräg anmutenden Thesen aufzustellen.

Natürlich, und ich habe auch immer versucht, sie zu verstehen. Darum habe ich mich mit Themen beschäftigt, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie mich in meinem Leben je interessieren könnten. Mit dem frühen Christentum und seinen Kirchenvätern etwa. Da gibt es so viele spannende Fragen, von denen ich nichts wusste. Jetzt weiß ich mehr. Die Arbeit war also nicht nur amüsant, sondern auch sehr erhellend für mich.

Vor diesem philosophiehistorischen Buch haben Sie vor allem über Fragen der Ethik geschrieben...

...ja, ich bin ja kein Philosophiehistoriker! Bisher waren meist öffentliche Debatten, wie etwa zu Fragen der Gentechnologie oder über Retortenbabys, Auslöser dafür, dass ich mich zu Wort gemeldet habe. „Der aufrechte Gang“ hat mir erstmals Gelegenheit gegeben, Philosophiegeschichte mit Systematik und in größeren Zusammenhängen zu betreiben. Und diese Arbeit ist eine ganz andere. Ich hatte mit vielen alten Texten zu tun. Und mit jedem kamen noch weitere dazu. Denn wenn man die Zeit verstehen und wissen will, was die Leute damals beschäftigt hat, kann man sich nicht damit begnügen, bloß einmal einen Aufsatz zu lesen. Das funktioniert nicht.

Das klingt für mich nach Ende nie! Ich wäre sicherlich panisch geworden bei dieser Arbeit.

Ich bin auch immer wieder panisch geworden! Aber es geht – wie oft – um die Kunst der Begrenzung. Ich musste mir ganz bewusst sagen: An diesem Punkt machst du Schluss, hier gibt es kein Weiter. Ich hätte noch zehn Jahre forschen und aus jedem Kapitel ein eigenes Buch machen können.

PHILOSOPHICUM LECH

„Ich. Der Einzelne in seinen Netzen“ ist das Thema des 17.Philosophicums, das heute, Mittwoch, beginnt und bis Sonntag dauert. Es sprechen u.a. Richard David Precht („Wer bin ich und wenn ja...“), Peter Strasser („Die eigenen Angelegenheiten. Von der Selbstsorge zur Ich-Sorge“), Robert Pfaller („Die anmaßenden Gesten der Bescheidenheit“), Christiane Voss („Der verliehene Körper“) und Thomas Metzinger („Das Ich als Interface“).

Der Tractatus, der mit 25.000 Euro dotierte Essay-Preis des Philosophicums, wird am Freitag in Lech an Kurt Bayertz vergeben. Er ist der fünfte Preisträger nach Franz Schuh, Kurt Flasch, Norbert Bolz und Herbert Schnädelbach.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2013)

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