"Landvermessung": Der "Austrokoffer" ist da

Günther Nennings Anthologie österreichischer Literatur ist da.

Thomas Bernhard hat sich schon zeitlebens nie für eine Anthologie hergegeben", tröstet sich Robert Schindel über das Fehlen des Dichters in Günther Nennings "Landvermessung". "Es gibt halt Autoren, die lieben Literatur - vor allem die eigene." Schindel ist einer der fünf Mitherausgeber, die nach der Pleite des ersten "Austrokoffer"-Anlaufs von Nenning angeworben wurden - "zum Schutz Nennings, zur Ehre des Projekts".

Auf der Internetseite des Projekts hat Nenning die Entstehung seiner vormals "Austrokoffer", jetzt "Landvermessung" genannten Anthologie lyrisch beschrieben: "Griechisch heißt Anthologie:/ Alle Blüten kriegst du nie ..." Doch noch bekommen hat er etwa Peter Handke, Friederike Mayröcker und Barbara Frischmuth. Als prominente renitente "Blüten" bleiben unter anderem Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, Peter Turrini, Gerhard Roth, Ilse Aichinger, H.C. Artmann (dessen Erbin Rosa Bock die Zustimmung verweigerte) oder Thomas Bernhard.

Zwölf Kilo österreichische Literatur

Und es gibt sie trotzdem: Seit heute ist die Sammlung österreichischer Literatur nach 1945 in den Buchhandlungen erhältlich: 12 Kilogramm, 21 Bände (16 Romane, zwei mit Erzählungen, ein Gedichtband, ein Stücke-Band und ein Band Essays), 8000 Seiten, 139 Autorinnen und Autoren. Kaufpreis: 50 Euro. "Von den 5000 Exemplaren haben die Buchhandlungen den Großteil schon vorbestellt", sagt Herwig Bitsche, Leiter des "Residenz"-Verlags. Eine weitere Auflage wird es nicht geben, der Grund: "Eine solche finanzielle Förderung bekommen wir nie mehr."

Günther Nenning fehlte bei der gestrigen Präsentation wegen eines gebrochenen Beins: der letzte in einer Reihe von Unfällen, die Nennings "Lebensprojekt" beinahe scheitern ließen. Bekanntlich war eine erste Projekt-Version im vorigen Jahr am Widerstand der Autoren gescheitert. Sie hatten vor allem die finanzielle Unterstützung durch die Regierung und die Beteiligung der "Kronen Zeitung" kritisiert. Kooperation mit der "Krone" gibt es nun keine, auch Nennings ursprünglicher Plan, den "Austrokoffer" in Schulen zu verteilen, ist gestorben. Großzügige Bundesmittel sind geblieben. 350.000 Euro kommen vom Bundeskanzleramt, dazu kleinere Förderungen von den Ländern, vom Unterrichts- und vom Außenministerium. Das Geld von Seiten des Bundeskanzleramts stammt aus dem Gedenkjahr-Fonds. Auf der Seite www.oesterreich2005.at wird auch auf das Projekt verwiesen.

Neben (immer noch vielen) bekannten Namen finden sich in der "Landvermessung" viele unbekannte (Erik Adam, Gertraud Fädler, Markus Jaroschka, Sonja Harter), und viele unerwartete (Rudolf Burger etwa, Luc Bondy, Nikolaus Harnoncourt). Robert Menasse, ursprünglich einer der schärfsten Gegner des Projekts, ist nun doch dabei und "versteht die ganze Diskussion überhaupt nicht mehr: Das ist eine typisch österreichische Debatte, in der es um alles Mögliche geht, nur nicht um die Realität". Die bestehe in seinem Fall darin, "dass die Herausgeber die Lizenzen bei meinem Verlag gekauft haben. Kein Autor, der bei Sinnen ist, sträubt sich gegen einen Lizenzenverkauf, es sei denn, es hat etwas Ehrenrühriges." "Ehrenrührig" war für Menasse die offizielle Beteiligung der Regierung am Projekt, die jetzt, so Menasse, nicht mehr gegeben sei. "Wer sonst noch drin und nicht drin ist, interessiert mich nicht."

Auch Schindel sieht die massiven Autorenproteste skeptisch: "Viele sind dann gekommen und wollten es statt Nenning selber machen - mit dem Geld, das er aufgetrieben hat." Manche Autoren würden halt "die eigene Eitelkeit politisch unterfüttern".

Jelinek: "War mir nicht zu gut dafür"

Nicht weil sie sich "zu gut gewesen" wäre, hätte sie nicht dabei sein wollen, sondern weil "das Repräsentative, das darin zum Ausdruck kommt", ihr "zutiefst zuwider" sei, betonte Elfriede Jelinek am Montag gegenüber der "Presse". "Ich habe keinen Grund, mich als für Österreich repräsentativ zu fühlen, und man hat mir dafür auch nie einen Grund gegeben. Österreich und ich, wir sind geschiedene Leute und wollen nicht zusammengefügt werden."

Peter Turrini, ebenfalls nicht dabei, verweist auf einen vor Monaten verfassten Brief an Günther Nenning. Darin liest man: "Vor mir liegt ein weihnachtlich gestalteter Prospekt mit folgendem Text: Klassik zum Angewöhnen. 25 CDs in einer Box. Die berühmtesten Musikstücke im 5-Minuten-Takt." Das illustriere "das Verhältnis des fressgierigen Zeitgenossen zu allem und jedem und jetzt auch zur Kunst. Möglichst viel auf einmal und am Ende nichts." Das "Austrokoffer"-Projekt erinnert ihn an die "40-Jahr-Feier der Niederösterreichischen Landwirtschaftskammer. Nachdem hier vieles getan wurde, um die kleinen und mittleren Bauern zu ruinieren, wurden die größten und schönsten Kürbisse zu Bergen gehäuft, um nach der Jubelei zu vergatschen."

Barbara Frischmuth hat sich ausbedungen, den Text selbst auszuwählen, und die vergriffene Erzählung "Hexenherz" hineinmoniert. Nicht alle waren so privilegiert. Die inhaltliche Letztverantwortung Günther Nennings geriet nicht zur Freude aller Autoren. Der Schriftsteller Walter Kappacher etwa findet die ausgewählten zwei Kurztexte von ihm "völlig unrepräsentativ": "zwei uralte Anfängertexte."

"Aus 20 Löchern troff er. Fast ersoff er. Ich blieb ein Koffer-Hoffer ... Ein mit dem Vormals-Austrokoffer aus dem Schlamassel Aussischloffer", schreibt Nenning in seinem Vorwort zur "Landvermessung", mit dem Titel: "Es gibt ein Leben nach dem Koffer."

Vollständige Autorenliste unter:
Landvermessung

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