Literatur: Stadtleben in frostigen Zeiten

Autorin Kathrin Röggla über Algerien in New York und die Bronx in Berlin.

Die Presse: Sie halten heuer die Eröffnungsrede zum "steirischen herbst". Nicht verwunderlich angesichts des Mottos "Die Stadt im Visier". Seit dem Roman "irres wetter" spricht man bei Ihnen gern von "Großstadtprosa".

Kathrin Röggla: Die Verbindung von Großstadt und Literatur ist ja zentral für die Moderne. Natürlich gibt es berühmte Ausnahmen wie William Faulkner, aber die meisten sind doch Stadtautoren. Und von der Moderne nährt sich fast alles literarische Schreiben, auch wenn es nicht mehr darum geht, die Stadt als Ganzes zu erzählen, "the whole picture" zu erhalten. Man könnte sagen, Romane halten sich heute parallel zur Stadtentwicklung mehr im "urban sprawl", den Rändern und Außenzonen, auf.

Was bedeutet Stadt für Sie und Ihr Schreiben?

Röggla: Dichte, Vielfalt, Akkumulation. Gesellschaftliche Widersprüche. Intensive Konfrontation, zugleich grundsätzlich mögliche Distanznahme (was allerdings meist auch ein soziales Privileg ist). Auf dem Land könnte ich nicht schreiben, ich brauche die Stadt: für meine Recherchen und mein persönliches Leben.

Im Vorjahr wurde beim "steirischen herbst" Ihr Stück "Junk Space" uraufgeführt. Da geht es um angstdominierte Menschen und die Steuerung von Angst - sozialer etwa. Spätestens seit 9/11, das Sie in New York erlebt und in "really ground zero" beschrieben haben, ist die Stadt auch wegen des Terrors zu einem "Ort der Angst" geworden.

Röggla: All das hängt zusammen. Heute wird mehr denn je mit Ängsten Politik gemacht. Zuerst werden sie aufgepeitscht, dann wieder beruhigt, von der starken Hand des Politikers. New Orleans hat gezeigt, wie diese Rhetorik und die Realität auseinander klaffen. Und während überall Sicherheitsgarantien ausgegeben werden, werden sie zugleich zurückgezogen, weil "wir in einer Risikogesellschaft leben" und Risiken, die vormals gesellschaftlich getragen wurden, wieder privat zu tragen sind: die neoliberale Forderung nach Eigenverantwortung.

Hat 9/11 Ihre persönliche "Stadt-Erfahrung" nachhaltig verändert?

Röggla: Natürlich. Mir ist klar geworden, wie schnell in einer Stadt eine militärische Situation entstehen kann. Wie sich etwas zeigt, das vorher verborgen war - der militärische Apparat. Und wie schnell man sich an einem Ort wie Manhattan abgekoppelt fühlen kann vom Rest der Welt. Die "frozen zone", in der ich damals lebte, habe ich zumindest für zwei Tage wirklich so "frozen" erlebt. Plötzlich war der Ausnahmezustand, den ich aus eigener Erfahrung bisher nur aus Ländern wie Algerien kannte, in einer westlichen Metropole Wirklichkeit. Seither hat er uns nicht ganz verlassen - wir leben immer noch in Bezug auf seine Möglichkeit. Institutionell, gesetzlich und stadtpolitisch.

Sie sind Salzburgerin, leben aber seit 13 Jahren in Berlin. Wie hat sich Berlin in Ihren Augen gewandelt?

Röggla: Gewaltig. Ich bin damals in eine offensichtlich immer noch geteilte Stadt gekommen, das Gegenteil eines "Touristen-Magnets". Ein Ort der Subkultur, der "freien Flächen" - was besonders Künstlern eine Existenz ermöglicht hat. Aber auch ein Ort des hausmeisterlichen Dahinwurschtelns. Heute ist Berlin immer noch so arm beziehungsweise um einiges ärmer, aber zugleich Haupt-, Repräsentations-, Tourismusstadt. Da klafft was auseinander. Da versucht man eine Art künstliche Zentralität, prunkt mit Orten wie dem Potsdamer Platz. Und daneben gibt es Viertel wie Neukölln, die als "Bronx" von Berlin stigmatisiert sind.

Ihre Wunschstadt?

Röggla: New York fasziniert mich immer noch sehr. Aber Wunschstadt? Klingt fast zynisch, bei der Ungleichheit, die da herrscht. Da denkt man an utopische Entwürfe . . . In Europa ist Berlin im Moment mein liebster Ort. Ich finde aber, man kann von einer Stadt nicht im Singular reden. Es gibt so verschiedene Teile, Erfahrungen, die ich nicht auf einen Nenner bringen kann.

Gehen Sie für Ihr Schreiben bewusst auf die Straße? Beobachten Sie die Leute? Spazieren Sie immer noch gern mit Mikrofon herum?

Röggla: Das habe ich früher gemacht. Momentan betreffen die Recherchen eher konkrete Gesprächspartner und Orte. Für mein Stück "Draußen tobt die Dunkelziffer" war das in Berlin die "Schuldnerberater-Szene", in Los Angeles die Selbsthilfe-Szene für Verschuldete. Los Angeles war übrigens eine interessante Ergänzung zur Erfahrung städtischer Dichte, wie wir sie in Europa gewohnt sind: diese quasi additive Stadt, die man nur mit Auto meistert, dieses Nebeneinander von Nachbarschaften und Zentren. Das Wort "Stadtlandschaft" passt da - vielleicht auch ein bisschen, weil die Natur sich teilweise heftig bemerkbar macht.

Wie erlebt die Großstädterin, die Sie schon lange sind, den "steirischen herbst" in der Provinz? Gibt es hier Besonderes, das Sie von anderen Kunstfestivals nicht kennen?

Röggla: Das ist der Punkt: Im "steirischen herbst" gibt es vor allem Dinge, die woanders nicht zu sehen, nicht möglich sind.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.