"Sonia, Arbeit für dich. Pack sie an"

Appeals Court Judge Sotomayor speaks after President Obama announced her as his choice of nomination for the Supreme Court justice at the White House
Appeals Court Judge Sotomayor speaks after President Obama announced her as his choice of nomination for the Supreme Court justice at the White HouseREUTERS
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Die erste Latina und dritte Frau als Höchstrichterin in der US-Geschichte, Sonia Sotomayor, schreibt in ihren Memoiren über Vorrang für Benachteiligte, Ehrgeiz und ihre Unterwäsche.

Es war entsetzlich. So erniedrigend.“ Sonia Sotomayor hat ein Abendessen mit Vertretern einer renommierten kleinen Washingtoner Anwaltskanzlei in übelster Erinnerung. Eben war sie als eine Puerto Ricanerin aus der South Bronx in New York vorgestellt worden, die von der Eliteuniversität Princeton an die angesehene Yale University gekommen war. Da fragte sie der ihr gegenüber sitzende Anwalt, ob sie an Affirmative Action glaube, die Bevorzugung benachteiligter Minderheiten mit dem Ziel, sie gleichzustellen. Sotomayor bejahte die Frage – und musste sich sogleich anhören, dass der Anwalt es für einen schlechten Dienst an den Minderheiten hielte, müssten Anwaltskanzleien „diese Leute ohne die erforderliche Qualifikation einstellen, nur um sie ein paar Jahre später entlassen zu müssen“.

Sonia Sotomayor gehört mittlerweile zum erlesenen Kreis der neun Höchstrichter am Supreme Court der USA. Sie schildert diese Episode in ihren soeben in deutscher Übersetzung erschienenen Memoiren „Meine geliebte Welt“. Darin wird deutlich: Affirmative Action, deren überzeugte Nutznießerin Sotomayor unter anderem zu Beginn ihres Jusstudiums war, und Qualifikation schließen einander nicht aus. Zielstrebig und ehrgeizig hat Sotomayor, wiewohl oft von Selbstzweifeln geplagt, ihren Weg von ganz unten auf den juristischen Olymp geschafft. Das Buch stand in den USA wochenlang auf den Bestsellerlisten, spiegelt es doch den amerikanischen Traum wider. Sotomayor ist die erste Latina am Höchstgericht, die dritte Frau in dieser Position in der Geschicht der USA.


Vorbild Perry Mason. Sie kam am 25. Juni 1954 in der South Bronx zur Welt, einem urbanen Katastrophengebiet New Yorks. Mit acht Jahren wird bei ihr Jugenddiabetes diagnostiziert. Die Krankheit zwingt sie, die mit knapp 60 die damals angenommene Lebenserwartung bei Weitem überschritten hat, bis heute zur täglichen Insulinspritze. „Das Leben mit Diabetes hat mich wahrscheinlich mehr Disziplin gelehrt als meine ganze Schulzeit bei den Barmherzigen Schwestern“, schreibt sie. Als sie neun ist, geht ihr Vater am Alkohol zugrunde; ihre Mutter, eine Krankenschwester, arbeitet hart, um sie und ihren um drei Jahre jüngeren Bruder „Junior“ durchzubringen.

Dass ihre Karriere auch viel weniger glänzend hätte verlaufen können, beweist das Schicksal ihres Cousins und Quasizwillings Nelson: Er wird drogensüchtig, stirbt an Aids. Sonia Sotomayor hingegen nimmt sich ein Beispiel an Perry Mason, einem Strafverteidiger in einer TV-Serie, der in ihr den Wunsch aufkommen lässt, als Anwalt, Staatsanwalt oder Richter zu arbeiten.

„Sonia, es gibt Arbeit für dich. Pack sie an“: Jeden der drei Berufe hat sie mittlerweile ausgeübt, immer vom Willen getragen, der Gesellschaft zu dienen, sie auch zu verbessern. „In der Rechtsprechung ist durchaus Raum für Idealismus“, schreibt die Parteifreie, die 1992 auf Empfehlung von Demokraten unter dem Republikaner George Bush senior Bezirksrichterin in New York wurde und 2009 von Barack Obama ans Höchstgericht geschickt wurde.

Im Buch erwähnt sie die vergangenen 20 Jahre höchstens in Halbsätzen. Ihr fehle in der Richterlaufbahn noch ein Gefühl der Vollständigkeit oder Abgeschlossenheit, meint sie. Faktum ist, dass sich aktive Richter mit Aussagen über ihre Arbeit am Supreme Court zurückhalten. Umso genauer spürt sie der Zeit davor nach: Offenherzig, selbstkritisch und mit Humor setzt sie sich mit ihren Wurzeln, ihrer Entwicklung auseinander. Man erfährt nicht nur, dass ihr eine Freundin rät, sich eine andere Unterwäsche zuzulegen als die von ihrer Mutter für sie gekaufte, sondern auch, dass sie gern wieder einen Partner hätte. Ihre Ehe mit Kevin, dem Freund aus Studienzeiten, ist nicht zuletzt an Sotomayors Erfolg gescheitert. Ihre Selbstständigkeit, fürchtet sie, müsse für jeden Mann schwer erträglich sein.

Auf Kinder hat sie, nicht ganz ohne Reue, verzichtet. Aber: „Alles zu haben, Karriere und Familie, ohne dass eines von beidem zu kurz kommt – das ist ein Mythos, den wir besser aufgeben sollten.“ Sonia Sotomayor hat sich für die Karriere entschieden. Bringt sie sich mit ihren Memoiren, wie es einst Barack Obama tat, für eine politische Zukunft in Stellung?

Neu Erschienen

Sonia Sotomayor
„Meine geliebte Welt“
Übersetzt von
Sabine Roth und
Rudolf Hermstein
333 Seiten
20,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2014)

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