Jacques Le Goff: Meisterdenker des Mittelalters ist tot

Der berühmte französische Mediävist Jacques Le Goff, der die Tradition der „Annales“-Schule wahrte, ist mit 90 Jahren gestorben.

Er hat das Fach Geschichte mit Fabulierlust und Elan breiten Schichten erschlossen: Jacques Louis Le Goff, der am 1. April in Paris starb, stand in großer Tradition, er setzte nach seinem Vorbild Fernand Braudel die historischen Methoden Marc Blochs und Lucien Febvres fort, erweiterte sie. Generationen dieser Schule der „Annales“ haben Europas Geisteswissenschaften geprägt. Le Goff war ein starker Vertreter dieser Tradition. Wirtschaft und Gesellschaft, das Volk und die kleinen Details stehen im Mittelpunkt solcher Forschung, weit mehr als die Herrscher und ihre Eroberungen. Mit den Mediävisten Georges Duby und Emmanuel Le Roy Ladurie führte Le Goff diese Denkrichtung weiter.

Der Sohn eines Englischlehrers aus Toulon studierte ab 1945 Geschichte an der École Normale Supérieure in Paris. Nach dem ersten Abschluss besuchte er die Universitäten in Prag und Oxford, ging auch nach Rom. Braudel holte ihn an die École Pratique des Hautes Études, wo er 1962 Professor, 1972 bis 1977 Nachfolger seines Förderers als Leiter der Sektion wurde. Da war er längst Direktor sowie Mitherausgeber der 1929 gegründeten Zeitschrift „Annales“. Er machte sie über die Grenzen Frankreichs hinaus populär. Le Goffs Wissensdurst nach „neuer Geschichte“, vor allem auch einer der Mentalitäten, schien unerschöpflich, wie allein schon die Publikationsliste zeigt. Er schrieb enorm viel (einige Kritiker sagen, manchmal leichthin und zu schnell) – über Geld, die Zeit, Intellektuelle, das Fegefeuer, Troubadoure, Einhörner und den Körper im Mittelalter sowie profunde Biografien über Ludwig den Heiligen und Sankt Franziskus. Dieses Zeitalter war für ihn dynamisch.

Herausgeber von „Europa bauen“

Hervorzuheben ist, dass er ab 1990 die Reihe „Europa bauen“ edierte. Historiker aus mehreren Ländern widmeten sich Aspekten wie den Sprachen, dem Meer, der Stadt, Revolutionen, den Religionen und dem Recht (auf Deutsch im Verlag C. H. Beck). Le Goffs persönlicher Beitrag dazu war das Buch „Die Geburt Europas im Mittelalter“ (2004), es führt vom Ende des Römischen Imperiums bis in die Neuzeit. Dieser skeptische, aber überzeugte Europäer hat diesen kulturellen Raum und seine mannigfachen Ursprünge vehement verteidigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2014)

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