Interview: Das Pilzgeflecht des Dichtens

"Ich habe in allen Sparten eigentlich eine Art Endpunkt erreicht": Elfriede Jelinek über das Obszöne, die Tücken des Idealismus und die Öffentlichkeit als Körperverletzung.

Die Presse: Gratulation, Frau Jelinek, auch wenn wir gestehen, dass eine entschlossene Minderheit im Feuilleton gehofft hat, dass Bob Dylan den Nobelpreis bekommt.

Elfriede Jelinek: Das ist zu verstehen. Es kommt mir natürlich grotesk vor, dass ich ihn bekommen habe und nicht Thomas Pynchon. Aber das ist nicht meine Entscheidung - ich kann nichts dafür.

Sie hätten den Preis auch Peter Handke gegönnt.

Jelinek: Ja, wenn es an Österreich geht, er ist mir auch als Erster eingefallen.

Das Nobelpreiskomitee begründet die Entscheidung immer sehr geschraubt. Was würde Ihnen bei Handke einfallen?

Jelinek: Die unglaubliche Akribie der Beobachtung, die keiner so in Worte fassen kann wie er, die Genauigkeit, der Wunsch, die Dinge zu durchdringen, während ich die Dinge immer schon vorher weiß und die Sprache zwinge aufzubrechen, auch wenn sie es nicht will.

Wo liegen Ihre Stärken und Schwächen?

Jelinek: Meine Stärke liegt in der Leidenschaft, mit der ich meine Themen angehe, sozusagen im leidenschaftlichen Impetus. Dann ist da noch meine Musikalität, die ich durch mein Musikstudium erworben habe, eine Art kompositorische Spracharbeit. Meine Schwächen sind, dass ich wahrscheinlich leicht zu viel tue und die Sachen gerne überfrachte - das ist eine Sache, gegen die ich arbeiten muss.

Sie haben in den Gattungen eine Entwicklung gehabt wie James Joyce, der hat mit Lyrik begonnen, dann kam die Prosa, und sein letzter Roman, Finnegans Wake, ist so etwas wie ein großes Gedicht, so wie Ihre letzten Dramen. Hat sich das zufällig ergeben?

Jelinek: Ja, zum Teil schon zufällig, aber zum Teil auch, weil sich meine Sprache dafür eignet, auf eine Bühne gebracht zu werden, weil ich ja keine naturalistische Sprache schreibe, weil ich glaube, dass das Theater - nicht der Film - diese Vergrößerung der Personen braucht. Außerdem sind meine Stücke längst keine Dramen mehr, sondern eine Mischung aus Essay-Prosa und Theaterarbeit. Man schreibt ja immer an ein und demselben Werk weiter, das hat einmal diese eine Facette und dann wieder die andere, aber letztlich ist es wie ein Myzel oder Pilzgeflecht, das man hinter sich hat, das sich ausbreitet wie Schwammerln und aus dem Boden schießt.

Bei den Dramen haben Sie relativ konventionell begonnen. Aber "Das Werk" aus dem Vorjahr ist ja geradezu sinfonisch angelegt.

Jelinek: Wenn man abstrahieren will, muss man sich die Form erst einmal aneignen. Ich habe jahrelang Hörspiele geschrieben, das Dialogische war mir nicht fremd. Dann habe ich Theaterstücke erst konventionell geschrieben, aber schon in den Dialogen so gedreht, dass die Leute Dinge sagen oder eine Wahrheit, die sie sonst nicht sagen wollen, wenn man sie nicht zwingen würde. Und dann bin ich eigentlich parallel zur Bildbeschreibung von Heiner Müller von diesem Dialogischen wieder weggekommen und habe eine eigene Form entwickelt für die Bühne, die aber als Partner unbedingt einen Regisseur braucht.

Die letzten Werke kommen dem heutigen Theater sehr entgegen. Sie aber sind eine Widerborstige - wo geht es da denn weiter?

Jelinek: Ich glaube, dass meine Stücke dem Theater gar nicht entgegenkommen. Ich werde ja auch kaum gespielt, kaum nachgespielt. Ein Mal, ein zweites Mal, aber schon ein drittes Mal ist eher selten. Das Theater geht im Gegenteil in eine ganz andere Richtung. Die jungen Dramatiker machen eine ganz andere Art von Theater; rasante Dialoge, die ich zum Teil sehr bewundere. Schimmelpfennig, Ren© Pollesch haben zum Beispiel unheimlich interessante Formen. Da merkt man, dass es schon eine andere Generation gibt, die auch sehr verspielt mit den Medien umgeht, während für mich die Medien etwas waren, was ich mir wie bei der trivialen Mythologie erst erarbeiten musste - ich bin ja ohne Fernseher aufgewachsen. Und die wachsen mit Computer und Fernseher zugleich auf.

Eine ganz persönliche Frage: Warum machen Sie keine Lyrik mehr? Von der Leidenschaft her sind Sie ja fast wie John Donne. Ist das zu anspruchsvoll? Zu bedrohlich?

Jelinek: Sie haben vorhin "Finnegans Wake" genannt, mit dem ich mich natürlich auch nicht vergleichen will. Das ist ein großes Gedicht - und ich würde sagen, "Die Kinder der Toten" sind im Grunde ja auch ein Gedicht. So wie ich mit der Sprache arbeite, sind die Prosatexte eine lange Mischung aus Prosagedichten, fast 700 Seiten bei den "Kindern der Toten". Aber ich arbeite so rhythmisch mit Sprache und komponiere die Lautlichkeit der Sprache so, dass man es ohnehin als Lyrik bezeichnen muss. Für konventionelle Lyrik habe ich nicht viel übrig, sie hat etwas so Pointenhaftes, schnell dahin Gesagtes. Ich bin eine Autorin, die viel Platz braucht. Und deswegen sind meine Gedichte dann 700 Seiten lang.

Selbst Joyce und Musil stießen mit solchen "baggy monsters" an eine Grenze. Wollen Sie so etwas wie die "Kinder der Toten" noch einmal probieren?

Jelinek: Ich glaube, das werde ich nicht mehr schaffen, das werde ich auch nicht mehr versuchen. Aber der Preis gibt einem die Möglichkeit, dass man sich auch einmal eine Ruhe gönnt, denn ich habe das Gefühl, dass ich sie brauche, sonst falle ich über mich selbst drüber. Denn ich habe in allen Sparten eigentlich eine Art Endpunkt erreicht. Sicher, mit diesen drei Monologen, die jetzt im Frühjahr herauskommen, dem zweiten Band von "Bambiland", habe ich einen Endpunkt erreicht, wie mit "Kinder der Toten" und mit der Prosa. Ich werde jetzt sicher Zeit brauchen, um mich etwas zurückzusetzen, sonst erdrücke ich mich selbst unter meinem Eigengewicht.

Das Geld gibt Freiheit, belastet aber auch, so wie der Ruhm. Jetzt kann Ihnen eigentlich nur noch passieren, dass Hollywood Sie verfilmt, und Sie sind dann am Ende.

Jelinek: Nein, das kann nicht passieren. Aber ich hätte diesen Preis in der Tat jemandem anderen mehr gegönnt, der ihn mehr genießen kann als ich. Genießen werde ich das Geld, aber nicht die Augen der Öffentlichkeit, die sich da auf einen richten, die genieße ich nicht, das ist eher der Tatbestand der Körperverletzung für mich.

Zurück zur Literatur: Sie habe eine eigene Stimme, aber was sind Ihre Vorbilder?

Jelinek: Ich wäre sehr wenig oder nichts ohne die Dadaisten, die Spracharbeit des Karl Kraus, vor allem ohne die Arbeit der Wiener Gruppe. Deren sprachkritischen Umgang findet man in der bundesdeutschen Literatur eigentlich nicht. Die konkrete Literatur ist dort formalistischer. Das Engagement, das ich immer versucht habe, in eine ästhetische Form zu bringen, ist ja zum Teil auch durch unsere österreichische politische Situation erzwungen gewesen, weil Österreich ja kaum Theoretiker oder Philosophen hat, also niemand wie einen Habermas oder einen Adorno, und die Kronen Zeitung macht das auch nicht. Das haben die Künstler übernommen, und die sind geprügelt worden als Nestbeschmutzer und als Leute, die ihre Kompetenzen überschreiten. Das hat einen ziemlich zerstört, nicht nur mich, sondern sicher auch in gewisser Weise einen Turrini oder einen Gerhard Roth oder einen Josef Haslinger.

Sie gelten als linke Idealistin. Der Idealist endet oft als Sarkast. Ein Anarchist hat es leichter. Aber was bleibt Ihnen denn ?

Jelinek: Das ist genau das, was passiert ist. Und das absolute Ende ist dann die Resignation. Seit Bildung der Regierung 2000 bin ich eigentlich, obwohl ich damals ziemlich herumtobte, resigniert, denn man kann als Künstler politisch nichts verändern.

Sie haben jetzt eine Chance, nach Stockholm zu fahren und Ihre Stimme zu erheben. Claus Peymann hat angeboten, Sie zu begleiten. Da würden viele zuhören.

Jelinek: Ja, das haben mir schon viele angeboten, aber das geht nicht. Dem bin ich nicht gewachsen, und zwar nicht, weil ich Österreich nicht vertreten würde, das hat gar keine politischen Gründe.

Die Bild-Zeitung hat sie gestern als "obszöne Frau Jelinek" bezeichnet. Endlich sind also Jelinek und ,Bild' bei Ludwig Marcuse gelandet, der in "Obszön" das Recht auf seinen Körper und seine Sexualität einfordert. Was bedeutet obszön für Sie?

Jelinek: Obszön ist das, was verborgen bleiben soll, und das ist in erster Linie das, was die Frauen tun, die unbezahlte Arbeit der Frauen, die in keinem BIP auftauchen, in keiner Statistik, das ist das Obszöne, das Verborgene schlechthin. Denn Freud sagt ja, dass das Verborgene das Genital der Frau ist, dass die einzigen Kulturtechniken, die die Frau hervorgebracht hat, Weben und Flechten sind. - Ich glaube aber, dass Frauen auch alle anderen Kulturtechniken hervorbrachten.

Aber gerade auch das Texten ist ja Flechten und Weben.

Jelinek: Ja, genau, das ist das Bild von der Weberin Arachne.

Also ist Literatur eigentlich Frauensache, und ich als Mann müsste jetzt den Mund halten?

Jelinek: Na ja, das meine ich nicht - aber es lesen ja sicher sehr viel mehr Frauen als Männer. Wenn man sich aber jetzt anschaut, wer die großen Klassiker in der Literatur sind, da fällt keinem eine Frau ein. Die bedeutendste Autorin des 20. Jahrhunderts ist Marie-Luise Fleißer, die hat keinen Nobelpreis bekommen, da dürfte ich ihn ja gar nicht annehmen.

Mir fielen Woolf, Austen, Eliot ein.

Jelinek: Ja, da fallen einem sehr viele ein. Und deswegen kann man den Preis nicht nur für sich selbst annehmen, sondern als Frau muss man ihn als Mitglied einer unterdrückten Kaste, ob man will oder nicht, mit den anderen Frauen teilen. Da darf man nicht "ich" sagen.

Glauben Sie, dass Männer beim Lesen Ihrer Texte einen starken Nachteil haben?

Jelinek: Missverstanden wird man sowieso. Ich weiß nicht, was ein Mann empfindet, wenn er etwa "Lust" liest. Ich weiß nur, dass die Männer äußerst lustlos reagiert haben. Oder irritiert.

Heidegger haben Sie ja faschiert. Dabei ist er Ihnen in der Zivilisationskritik sehr ähnlich.

Jelinek: Ja, ich halte ihn für einen Großen. Aber wenn er von der Überfischung der Meere und der Überdüngung der Erde schreibt, und wenn man dann das Regime sieht, das er unterstützt hat, das Millionen Menschen untergepflügt hat, dann ist es politisch völlig unbegreiflich, Es gibt von ihm ungeheuerliche Zitate, andererseits habe ich von ihm mehr gelernt als von irgendjemand sonst.

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