Boris Pahor: "Italien beging ein kulturelles Gemetzel"

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Der große slowenische Schriftsteller wurde dieser Tage 101 jahre alt. Der „Presse" erzählte er lebhaft von seinen Werken, Gedanken und dem Kampf gegen die Übel des vergangenen Jahrhunderts.

"Die Presse": Die Menschen wünschen sich ein langes Leben, viele verlieren aber die Lebenskraft. Wie lautet Ihr Rezept?
Boris Pahor: Ich habe kein Rezept. Seit der französischen Übersetzung von „Nekropolis" nehme ich Ginko-Tabletten für bessere Durchblutung und Gedächtnis. Ich habe mich zwar auch davor gut gefühlt, war aber schneller müde geworden. Unter anderem war ich nie begeisterter Fleischesser. Ich esse höchstens einen Hühnerschenkel oder Fisch. Ich vertrage nichts Gebackenes und würde nie ein Wienerschnitzel bestellen. Eine Gemüsesuppe schmeckt mir aber immer.

Ist hohes Alter ein Hindernis für Kreativität?
Für mich nicht. Ich habe nur manchmal das Problem, mich an einen Namen zu erinnern. Aber ich schreibe immer noch, vor allem meine Eindrücke von verschiedenen Treffen, meistens nur kürzere Aufzeichnungen. Auf meiner Schreibmaschine natürlich.

Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert der größten und schnellsten Veränderungen. An welche Zeit in Ihrem Leben erinnern Sie sich am häufigsten?
„An die Zeit des Faschismus, weil sie Italien immer noch leugnet. Daran, wie slowenische Kulturschaffende verhaftet wurden. Wie man 50.000 Personen deren Nachnamen änderte, weil sie nicht italienisch klangen. Heutzutage schreibt niemand über italienische Konzentrationslager, z.B. über das auf Rab (eine Insel in der Adria). Italiener mögen es nicht hören, aber unter dem altem Österreich hatten wir eine Menge klassischer slowenischer Schriftsteller. Was Kultur betrifft, war Österreich sehr offen. Damals gab es keine Minderheit in Triest, zur Minderheit wurden wir erst unter den Italienern. Unsere Sprache war sogar auf den Straßen verboten! Italien beging ein kulturelles Gemetzel auf der ganzen Linie. All das muss man in Erinnerung behalten."

Könnten Sie sich, im Hinblick auf Ihr multikulturelles Leben, überhaupt als Angehörige einer Nationalität identifizieren?
Ich fühle mich wie ein Slowene. Staatsbürger Italiens und Europas kommt erst danach. Unsere Eltern wurden aber erzogen, dass sie sich für Österreicher hielten. Die Kärntner Slowenen sind eigentlich Österreicher, die Slowenisch sprechen. Einige halten sich sicher für Slowenen, aber der Großteil sieht leider Österreich als ihre Heimat an. Ich musste selber Slowenisch lernen - in meiner Jugend tat ich das heimlich. Ich hätte meine Romane auf Italienisch schreiben können, wollte aber nicht! Später unterrichtete ich 24 Jahre lang italienische Literatur, zugleich lernte ich über die slowenische.

Sie haben bis jetzt einige Preise oder Ehrungen abgelehnt, das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst haben Sie aber angenommen. Welche Bedeutung hat dieser Preis für Sie?
Bei diesem Preis freute ich mich vor allem für die Kärntner Slowenen. Für mich war das ein Beweis, dass auch Slowenen in Österreich eine Auszeichnung bekommen können. Es ist wichtig, dass die slowenische Kultur in Triest und Klagenfurt Anerkennung findet.
Was mir aber wirklich viel bedeutete, war die Veröffentlichung meines Fotos auf der ersten Seite der französischen Zeitung „Le Monde" im Juli 2013, die mir in derselben Ausgabe zwei weitere Seiten gewidmet hatte. Das war für mich eine echte Würdigung.

Haben Sie sich jemals in anderen Kunstformen betätigt? Glauben Sie, Sie können durch das Schreiben all das äußern, was Sie empfinden?
Ich hatte nie ein anderes Mittel. Nur Literatur und Auftritte. Diese sind besonders wichtig, wenn eine Person berühmt ist. Ich halte es für wichtig, dass die schriftstellerischen Werke präsenter werden können, was durch Zeitungen bzw. ihre Beilagen möglich ist. Ich erinnere mich, „Die Presse" hat sehr schön über meinen Roman „Kampf mit dem Frühling" geschrieben, als dieser 1997 auf Deutsch erschienen ist.

Erst in den vergangenen Jahren wurden viele ihre Werke ins Deutsche übersetzt. Wo liegt der Grund, dass man Sie so spät »entdeckt« hat?
Die Europäische Union hat diese Initiative gestartet, damit einander die Nachbarn besser kennenlernen können. Europa finanzierte die Auflage mit, und zwar fünf Werke zugleich. (Alle erschienen 2009 im Hermagoras Verlag.) Die deutsche Reaktion war unverzüglich. Der Salzburger Schriftsteller Karl-Markus Gauß schrieb wirklich gute Rezensionen. Ich weiß aber nicht, was jetzt passiert, ob man meine Bücher liest oder nicht.

Welches von Ihren literarischen Werken ist Ihr Lieblingswerk?
Das ist eine schwierige Frage. Was die Erfahrungen aus Konzentrationslager betrifft, ist das jedenfalls „Nekropolis". In diesem Roman versuchte ich auch über die Unterdrückung des Slowenentums zu schreiben - wie einige Lehrer den Schülern in den Mund spuckten, wenn diese Slowenisch redeten, oder sie an den Haaren zogen. Manche sagen, „Nekropolis" würde sich den Nobelpreis verdienen. Auch der Roman „Kampf mit dem Frühling" ist mir sehr wichtig. Er erzählt von bitteren Zeiten nach dem Krieg, in denen man durch Liebe allmählich wieder anfängt, an das Leben zu glauben.

Trotz allem, was Sie erlebt haben, sind Sie immer noch optimistisch gegenüber der Menschheit. Wo sehen Sie die Hoffnung?
Es besteht immer die Hoffnung, dass der Mensch seine Vernunft findet. Wir sind so tüchtig in Wissenschaft, Technik, usw. Als Wesen mit Vernunft und Herz müssten wir auch wissen, wie man mit Mitmenschen umzugehen hat. Seit Beginn der Geschichte herrschen Kriege. Der Mensch vernichtet seinen Mitmenschen mit einer gewissen Gleichgültigkeit. Wenn er nur mit seiner Vernunft denkt, gibt es wenig Hoffnung auf Veränderung. Wenn er aber dem Herzen diese Aufgabe überlassen würde, könnte sich vielleicht was ändern. Vielleicht würde ein neuer, nicht gekreuzigter Jesus geboren und eine Kirche entstehen, die etwas anderes als die eigene Macht interessieren würde.

Haben Sie ein Motto, dem Sie immer folgen?
Vom Christentum akzeptierte ich die Liebe gegenüber anderen und die Vergebung. Die Kirche ist aber ganz anders, als sie sein sollte. Jeder sollte das Recht haben, sich alleine für einen Glauben entscheiden zu können, denn kein Glaube ist absolut. Beim Lesen von Spinoza bin ich Pantheist geworden. Für mich ist alles göttlich - vor allem das große Universum, das wir nie verstehen werden. Ich stehe vor dem Geheimnis des Daseins, vor dem ich mich beuge.

Zur Person

Boris Pahor wurde 1913 in Triest im damaligen Österreich-Ungarn geboren.

Er erlebte die Zeit des Faschismus und Nazismus, die sein Leben und literarische Werke stark geprägt hat. Nach der Kapitulation Italiens 1943 (italienische Truppen hielten Triest seit Ende 1918 und weitere Teile Jugoslawiens, darunter Slowenien, seit 1941 besetzt) schloss er sich der slowenischen Befreiungsfront an, die bald in Kämpfe mit deutschen und verbündeten kroatischen Truppen geriet. Er wurde in mehrere Konzentrationslager deportiert, in denen er über ein Jahr verbrachte. Die Erfahrungen aus den KZ wurden zu einem Hauptmotiv seiner literarischen Tätigkeit, vor allem im Roman Nekropolis, der 2001 ins Deutsche übersetzt wurde und sich auf der SWR-Bestenliste befand. Außer Nekropolis sind noch zehn andere seiner Werke auf Deutsch zu finden. Neben vielen Auszeichnungen in Slowenien erhielt Pahor 2007 die „Ehrenlegion", die ranghöchste Auszeichnung Frankreichs, und 2010 das „Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst". Er ist auch für den Literaturnobelpreis nominiert worden.

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