Sofi Oksanen: Finnlands literarisches Fegefeuer

Finnish author Oksanen attends the book fair in Frankfurt
Finnish author Oksanen attends the book fair in Frankfurt(c) REUTERS (RALPH ORLOWSKI)
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Die finnische Starautorin Sofi Oksanen spricht über ihren Roman „Als die Tauben verschwanden“, ideologieelastische Kollaborateure und Frauenliteratur.

Sie war auf der Frankfurter Buchmesse so etwas wie die Herzeigeschriftstellerin des Gastlands Finnland: Die 37-jährige Sofie Oksanen, Tochter eines finnischen Vaters und einer estnischen Mutter, ist seit ihrem dritten Roman „Fegefeuer“ der Popstar und Exportschlager der finnischen Literaturszene. Ihr jüngster Roman „Als die Tauben verschwanden“ hatte 2012 in Finnland eine Startauflage von 100.000 Stück (bei knapp 5,5 Millionen Einwohnern), nun hat sie ihn auch in Österreich vorgestellt. Der Roman entfaltet sich aus wechselnden Perspektiven, er beginnt im Estland von 1941. Deutsche Truppen besetzen das Land. Während Roland im Untergrund unermüdlich für die Unabhängigkeit Estlands kämpft, kollaboriert sein Cousin Edgar mit den Deutschen und macht als Informant Karriere, seine ungeliebte Frau Juudit verliebt sich in einen SS-Hauptsturmführer. Als die Rote Armee das Kommando übernimmt, stellt sich Edgar als Opfer der Deutschen dar und macht wiederum als Genosse Karriere.

Er ist ein Opportunist, ideologisch flexibel, immer hungrig nach Anerkennung. Im Interview mit der „Presse“ erklärt Oksanen, wie sie im Zuge ihrer Recherchen auf ein historisches Vorbild für Edgar stieß: einen Mann, der Geschichtsbücher nach den Regeln des KGB schrieb, zuvor aber mit dem deutschen Geheimdienst kollaboriert hatte.

„Keine netten Leute, aber faszinierende“

„Was mich überrascht hat, war, dass viele Propagandisten des KGB während der deutschen Besatzung für die Deutschen gearbeitet hatten“, so die Autorin. „Ich dachte, dass ein neuer Herrscher die alten Autoritäten loswerden wollen würde, dass sie exekutiert oder verhaftet werden würden. Aber nein: Es scheint, dass die, die ihre Sache gut gemacht hatten, auch für den neuen Herrscher nützlich waren.“ Oksanen glaubt, dass es Menschen gibt, die in jedem totalitären System aufgehen würden, unabhängig von der Ideologie. „Ich glaube nicht, dass das nette Leute waren, aber faszinierend für eine Autorin.“

Ansonst will sie nicht viel über sich selbst, ihr Buch und dessen Entstehungsprozess sagen. Sie habe alte Zeitungen, Landkarten, Ergebnisse der Geschichtsforschung studiert, wie man das eben so mache bei einem historischen Roman. Sie scheint gelangweilt, verdreht die Augen. Seit ihrem Auftritt auf der Buchmesse ist sie auf Interview- und Lesetour, Fragen scheinen sie zu nerven. Erst, als es um Frauen in der finnischen Literaturszene geht, wird die Autorin mit dem exzentrischen Auftreten (schwarz-lila-hellblaue Dreadlocks, starkes Make-up und Gothic-Chic) aus der Reserve gelockt. 50 Prozent der finnischen Autoren seien weiblich, erklärt sie stolz, vielleicht gibt es in der finnischen Literatur deshalb auch komplexere weibliche Charaktere, so ihre Vermutung.

Ob es für Frauen in Finnland einfacher sei, als Schriftstellerin Erfolg zu haben? Oksanen erklärt es, wie schon in ihrer Eröffnungsrede in Frankfurt, historisch: Die finnische Literatur sei jung, Finnisch galt lange als „nicht zivilisierte“ Sprache, offizielle Sprache war Schwedisch. Mit der Unabhängigkeitsbewegung im 19. Jahrhundert war auch eine nationale Literatur gefragt. „Da wurde jeder gebraucht, man konnte die Frauen nicht auslassen.“ Frauen hätten deshalb schon immer eine wichtige Rolle in der finnischen Literaturlandschaft gespielt. In Estland, dem Land ihrer Mutter und Hauptschauplatz ihrer Romane, sei es ebenso. „Der estnische Nationaldichter ist eine Frau, was recht selten ist.“

Oksanens „Fegefeuer“ wurde in 40 Sprachen übersetzt. Vom Vorwurf, dass finnische Bücher nur schlecht ins Deutsche übersetzt würden (wie vom österreichischen Autor Thomas Brunnsteiner jüngst im „Spektrum“ erhoben), weiß Oksanen nichts. „Ich habe ein paar Seiten der estnischen Übersetzung von ,Fegefeuer' gelesen, sie ist perfekt. Auch die englische Übersetzung habe ich sorgfältig gelesen.“ Was die anderen Sprachen angeht, könne sie nur auf die Übersetzer vertrauen.
Woran sie als Nächstes arbeitet, will Oksanen nicht verraten. Ein Roman werde es jedenfalls wieder sein, nachdem die ausgebildete Dramaturgin „Als die Tauben verschwanden“ im Vorjahr zum Theaterstück weiterentwickelt hatte. Abgeschlossen ist das Thema für sie nämlich nicht: „Der Roman hat mit Propaganda und Ostpolitik zu tun. Dieselbe Propagandapolitik passiert heute in der Ukraine. In dieser Hinsicht ist das Buch jetzt aktueller denn je.“

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