Episoden rahmen die Geschichte ein

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„Frei in Europa“ beschreibt Österreichs besondere Wege und Irrwege durch die EU.

Wien. Thomas Mayer erzählt gern Geschichten – jederzeit, überall, ungefragt. Und doch ist das seine ureigene Auffassung von Journalismus: die Einbettung von Geschehen in einen größeren Rahmen. In seinem Buch „Frei in Europa“ erzählt er von Österreichs Weg in die EU. Vom besonderen, seltsamen Verhältnis des Landes zur Gemeinschaft der europäischen Staaten. Die Diskrepanzen und Unstimmigkeiten auf diesem Weg illustriert der „Standard“-Journalist nicht über Dokumente, sondern vorwiegend durch erlebte Episoden.

Es sind Geschichten, die Europa geprägt haben, wie der Fall des Eisernen Vorhangs. Damals, als ganz normale Menschen nahe Mörbisch – Mayer war selbst beteiligt – DDR-Bürger aus Ungarn über die bewachte Grenze lotsten. Er erzählt von den Ereignissen in Deutschland, wo Helmut Kohl 1989 am Ende seiner politischen Karriere schien, dann zum Wendekanzler aufstieg und Europa mehr prägte als viele Amtskollegen.

Mayer erzählt von Ereignissen am Rand der großen Geschichte, die zusammengenommen selbst die Geschichte erklären. Es ist ein guter Weg, dem Leser die historisch-politischen Zusammenhänge deutlich zu machen. Aber auch, um zu relativieren. Symbolkraft hat es etwa, wenn sich Österreichs Diplomatie in den 1980er-Jahren intensiv mit der Neutralitätsfrage und ihrer Kompatibilität mit dem EG-Recht beschäftigte, während die Weltpolitik verrückt spielte.

Weg in EU nicht vorgezeichnet

Österreich, dieses kleine Land in der Mitte Europas: In diesem Buch wirkt es manchmal skurril, wie es seinen Platz ständig sucht, dabei aber die neuen Rahmenbedingungen gern verleugnet. Der Weg in die EU war alles andere als vorgezeichnet. Mayer weist darauf hin, dass die Teilnahme am Binnenmarkt erst durch ein Umdenken der SPÖ in der Wirtschaftspolitik möglich geworden ist. Ohne Vorbehalte ging es auch nicht in der ÖVP ab. Kleine Geschichte am Rande: 1985 diskutierten die damaligen Jungpolitiker Othmar Karas (ÖVP) und Alfred Gusenbauer (SPÖ) in ihrer gemeinsamen Geburtsstadt Ybbs a. d. Donau über den EU-Beitritt. Gusenbauer wird zitiert: „Er war total dafür, ich war total dagegen.“

Das Buch spielt sowohl auf der Insel Österreich als auch in den tiefen politischen Gewässern Europas. Rückblicke auf Waldheim, auf die Sanktionen der EU-17 wechseln sich mit historischen Umbrüchen ab. Mayer switcht zwischen diesen beiden Ebenen, wohl auch um die wahren Dimensionen von Innen- und Europapolitik zu klären. Er zeigt auf, wie sich österreichische Politiker auf EU-Ebene innenpolitisch zu profilieren versuchen, etwa, indem sie vorzeitig den Namen der neuen gemeinsamen Währung (Euro) ausplauderten. Das Buch aus einer europäischen Perspektive ist letztlich eines über Österreichs egozentrische politische Charakteristik geworden. (wb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2014)

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