Jüdisches Großbürgertum: Die Mäzene der Ringstraßenzeit

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Im kommenden Jahr feiert Wien den 150. Geburtstag des Prachtboulevards. Die damaligen Superreichen prägten mit ihren Palästen das Stadtbild.

Schon in ihrem Böhlau-Buch „Friedmann, Gutmann, Lieben, Mandl, Strakosch“ hat sich Marie-Theres Arnbom mit der Welt des Wiener jüdischen Großbürgertums vor 1938 auseinandergesetzt. So wie ihr Mann Georg Gaugusch („Wer einmal war“, Amalthea) forscht sie weiter und legt nun ihre nächste Arbeit vor, die bekannte Familien von damals behandelt. Der Jurist Rudolf Bienenfeld etwa wird von ihr verehrt, weil er sich trotz aller Demütigung, die in Wien lange vor 1938 Tradition hatten, den Humor bewahrt hatte: „Warum fürchten sich 60 Millionen Deutsche vor 500.000 Juden?“ Eine Antwort wird wohl nur schwer zu finden sein. Eine befriedigende schon gar nicht.

Arnboms Schilderungen sind zugleich ein Stück Lebensgeschichte der „Neuen Freien Presse“. Diese bedeutendste deutschsprachige Zeitung der Monarchie, deren Erben wir Heutigen sind, spiegelt das Lebensgefühl der Ringstraßenepoche wider, die Aufklärung, das zarte Pflänzchen des Liberalismus, das Streben nach oben, den Bildungshunger, die Musikbesessenheit, die Kulturbeflissenheit, von der wir nur träumen können. Arnbom beschreibt die seltsame Spannung zwischen assimiliertem Judentum und dem Rausch, der von Richard Wagners Gesamtkunstwerk ausging.

Der Sohn des Rabbiners Hirschfeld

Leichterer Muse zugewandt war der Librettist Victor Hirschfeld, der als Victor Léon die Texte für Lehár und andere Komponisten, etwa Richard Heuberger, schrieb. 1940 ist er nahezu unbemerkt gestorben, obwohl er mit Leo Stein für den Welterfolg der „Lustigen Witwe“ zuständig war. Er, der Sohn des berühmten Philosophen und Rabbiners Heinrich Hirschfeld. Léon betätigte sich aber auch schriftstellerisch, zeitweise redigierte er die damals äußerst fortschrittliche Zeitschrift „Die Hausfrau“, die sich für die Mädchen-Bildung einsetzte. Karl Kraus karikiert ihn als hypernervösen Café-Stammgast: „Herr Ober, rasch alle Witzblätter! Ich bin nicht zu meinem Vergnügen da!“ 1940 starb er, der seit 1935 Katholik war, in seiner Traumvilla in der Hietzinger Wattmanngasse.

Großmacht im Textilviertel

Annemarie Selinko, Jahrgang 1914, mag heute nahezu vergessen sein, doch gelang ihr mit dem Roman „Desirée“ ein Welterfolg, der hauptsächlich schwärmerischen jungen Mädchen zu verdanken war. Die Selinkos waren im wahrsten Sinne des Wortes „betucht“, nämlich eine Textilhandels-Großmacht in der Gonzagagasse. Annemarie beschritt ganz andere Pfade, war gesellschaftlicher Mittelpunkt einer Künstlerrunde, die sie in ihrem Heim im modernen Hochhaus in der Herrengasse verköstigte. „Wenn ich nicht damals schon verliebt gewesen wäre, hätte ich mich gerne in sie verliebt“, notierte Hans Habe über seine Kollegin. In Dänemark fand sie ihre zweite Heimat, aber 1950 machte sie nochmals journalistisch Furore in der Tageszeitung „Neues Österreich“: Die Zeitung brachte täglich ihren Fortsetzungsroman „Heut' heiratet mein Mann“. Sie starb 1986, die Nachrufe waren recht spärlich. Unerklärlich eigentlich.

Thematisch passend dazu erscheinen bereits die ersten Bücher zum 150. Geburtstag der Wiener Ringstraße, der 2015 zu feiern ist. Die Edition Winkler-Hermaden hat den ganzen Prospekt des Traumboulevards im Faksimile aufgelegt, klug kommentiert von Walter Öhlinger und Eva-Maria Orosz. Auch der deutsche Verlag Hatje Cantz ist bereits auf dem Büchermarkt mit einem prachtvollen Bildband, der Einblicke in so manches Palais gewährt, die uns normalerweise verborgen bleiben (Fotos: Nora Schoeller).

Die Firma „Gebrüder Schwadron“

Zu dieser Zeit nahm auch die Keramikfabrik „Gebrüder Schwadron“ einen ungeheuren Aufschwung. Ihr ist eine Ausstellung im Museum für Angewandte Kunst gewidmet, die noch bis nächsten Samstag läuft. Sie ist sehenswert, weil die von den Nazis zerschlagene Firma das Stadtbild der Ringstraße geprägt hat. Das aus Galizien stammende Familienunternehmen leistete mit hochwertigen Erzeugnissen für private und öffentliche Gebäude einen erheblichen Beitrag zur Blütezeit des Kunsthandwerks zwischen Späthistorismus und Jugendstil. Namhafte Künstler und Architekten arbeiteten für die Fa. Schwadron, die den Aufstieg der Wiener Keramik begleitete.

Das alte Diana-Bad

Zwei Neptun-Skulpturen sind der Höhepunkt der Ausstellung. Im ehemaligen Wiener Dianabad, das von Schwadron baukeramisch komplett ausgestattet war, zierten acht Neptune die Wandnischen um das Warmwasserbassin im Herrendampfbad. Dies alles ist dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zum Opfer gefallen („Brüder Schwadron – neue Orte & Spuren“ im MAK, Stubenring 5, www.mak.at).

Die Familien Ephrussi, Lieben, Epstein waren nur die prominentesten Bauherren an der neuen Ringstraße. Der aus Prag stammende Bankier Gustav Ritter von Epstein hatte den teuersten Baugrund erworben, an der Bellaria zwischen Hofmuseen und Parlament. Das Beste war gut genug, so plante der dänische Stararchitekt Theophil Hansen ein Palais im historistischen Stil der Neorenaissance, zwischen 1868 und 1871 wurde es errichtet. Bauleiter war der junge Otto Wagner. Im Erdgeschoß wurden die Bankräume eingerichtet, in der darüber liegenden Beletage die prunkvollen Wohnräume der Epsteins mit Details wie in die Wände versenkbaren Schiebetüren zwischen den Salons.

Ständiger Niedergang

Der Luxus währte nicht lange. Im Börsenkrach von 1873 musste Epstein sein Palais an die Imperial Continental Gas Association in London verkaufen, die in Wien Gaswerke und öffentliche Gasbeleuchtung betrieb und 1883 ihre Wiener Niederlassung ins Palais übersiedelte. 1902 gelangte das Gebäude in Staatsbesitz und wurde Sitz des Verwaltungsgerichtshofs. 1922 musste dieser dem Stadtschulrat weichen. Glück im Unglück: Für Bürozwecke wurden die prachtvollen Wanddekorationen einfach verschalt und blieben so erhalten.

In der NS-Zeit als Bauamt genutzt, nach 1945 als Kommandantur der Sowjets, dann wieder vom Stadtschulrat, hätte es im Jahr 2000 als „Haus der Geschichte“ totalrenoviert werden können. Das verhinderten die Parlamentsparteien einstimmig. Heute arbeiten in dem sanierten Palast Abgeordnete, deren Mitarbeiter und Bürodiener. Von dem Versprechen, ein Haus für alle Bürger zu schaffen, blieben gelegentliche Führungen und Veranstaltungen im Souterrain.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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