Die ewige Sehnsucht nach der Jugend

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Frédéric Beigbeder sucht den Roggenfänger, traut sich nicht, ihn anzusprechen - und schreibt stattdessen über die kurze Romanze des Autors mit Oona O'Neill.

Immerhin, Frédéric Beigbeder schenkt seinen Lesern von Anfang an reinen Wein ein. Schon auf der ersten Seite seines neuen Romans macht der französische Autor des Skandal-Werber-Buches „39,90“ klar, worum es sich bei dieser Geschichte handelt. Den Begriff hat er sich allerdings von der exzentrischen New Yorker Kolumnistin Diana Vreeland abgeschaut. Diese soll einst auf die Frage, ob ihre überspannten Erinnerungen auf Fakten beruhen oder fiktiv seien, geantwortet haben: „It's faction.“

Auch Beigbeders Roman ist also „reine Faction“. Als glühender Fan des US-amerikanischen Autors J.D. Salinger, den er „den Begründer des infantilen Phantasmas“ nennt, begab sich Beigbeder auf die Suche nach dem Schriftsteller. Salinger konnte (und wollte) nach der Veröffentlichung seines Coming-of-Age-Romans „Der Fänger im Roggen“ (1951) nicht an diesen Erfolg anknüpfen. Er war bekannt dafür, sehr zurückgezogen zu leben, sein letztes Interview hatte er 1980 gegeben. Beigbeder fand 2007 die Adresse des Autors im Städtchen Cornish (New Hampshire) heraus und reiste mit einem Regisseur und einem Produzenten an, um den Autor für ein filmisches Porträt vor die Kamera zu bekommen.


Mut verlassen. Doch auf den letzten Metern zu dem kleinen Cottage auf einem Hügel verließ Beigbeder der Mut. Er traute sich nicht, den alten Schriftsteller aus seiner Isolation zu holen. Drei Jahre später, am 27. Jänner 2010, starb Salinger. Beigbeder aber wandelte seine Grundidee, ein Porträt über Salinger zu schreiben, einfach ab. In Salingers Lieblingsrestaurant, dem Lou's in Hanover (New Hampshire), fiel dem französischen Team ein Schwarz-Weiß-Bild aus den 1940ern auf, auf dem junge Mädchen mit Perlenhalsketten im New Yorker Stork Club neben älteren Männern posierten. Eine der Abgebildeten war Oona O'Neill, die Tochter des schwierigen Nobelpreisträgers Eugen O'Neill und spätere (vierte und letzte) Ehefrau von Charlie Chaplin, mit dem sie acht Kinder hatte.

In eben diesem Club lässt Beigbeder den Fiction-Teil seines Romans beginnen. Das It-Girl-Trio Gloria Vanderbilt, Carol Marcus und Oona O'Neill traf dort regelmäßig mit Truman Capote zusammen. Auch Orson Welles ging in dem Club aus und ein. Eines Abends stieß auch der 22-jährige Jerome David Salinger dazu und verfiel der erst 15-jährigen Oona O'Neill. Ein paar Wochen später sollten sie sich wiedersehen und eine Liebesbeziehung beginnen, die für beide die erste war. Das zumindest behauptet Beigbeder.

Doch so intensiv die Gefühle – vor allem von Salingers Seite – waren, so kurz und flüchtig blieb die Beziehung. Weil der junge Autor 1942 in den Krieg nach Europa zog, beendeten die beiden ihre Romanze. „Jerry hat sich entschieden, in den Krieg zu ziehen, bevor er in Versuchung kommt, Oona leiden zu lassen oder ihretwegen zu leiden.“ So wird hier weniger die Geschichte einer Liebe, sondern die einer lebenslangen Nicht-Beziehung erzählt. Oona traf kurze Zeit später den über 30 Jahre älteren Charlie Chaplin und gründete eine Familie mit ihm. Salinger litt aus der Ferne unter der Trennung und Oonas Zurückweisung. In einem langen Brief weist sie ihn an: „Schaff mich Dir vom Hals...“ und eröffnet ihm, dass sie in einen anderen Mann verliebt ist.

Selbstreferenziell. Es ist schwer, sich ein Urteil über dieses Buch zu bilden. Wer ein Fan der amerikanischen Literatur- und Filmkultur der frühen 1940er-Jahre ist, wird es genießen, viel über Capote, Chaplin oder Hemingway zu lesen und mitunter auch etwas Neues zu erfahren. Auch sind manche Details über Oona O'Neills und Salingers Leben hochspannend, ob wahr oder nicht. Eines steht fest: Die Briefe zwischen den beiden hat sich der Autor ganz allein ausgedacht. Zwischendurch steht sich Beigbeder selbst im Weg. Ihm gelingen zwar einige amüsante Schreibexperimente. Etwa jenes, in dem er die Leser bittet, sich auf YouTube das einzige Ton- und Bildmaterial von Oona O'Neill anzusehen, um danach zu einer großen Schwärmerei anzusetzen. Dieser Frau müsse man einfach verfallen, sagt er.

Entbehrlich sind allerdings Beigbeders Ausführungen über sein eigenes Leben. Er schildert offen, warum er Salingers nicht nur im „Fänger“ erwähnte Weigerung, älter zu werden, so gut versteht und teilen kann. Er selbst umgebe sich nur mehr ungern mit Gleichaltrigen, nennt sich gar „gerontophob“, was so viel bedeutet wie: „Ich fühle mich nur mit Menschen wohl, deren Vater ich sein könnte.“ Wie Salinger liebe er viel jüngere Mädchen; schließlich heiratete er eines vor einigen Jahren. Beigbeder ist auch hier, wie so oft, entwaffnend ehrlich. Obwohl man seit seinem Bestseller „39,90“ nie genau weiß, wann er die Wahrheit, wann Erfundenes erzählt. Faction eben, auch hier.

Übrigens, Zufall oder nicht: Salinger war in dritter Ehe mit einer Frau verheiratet, die so hieß wie seine erste große Liebe: O'Neill. Die einzigartige Oona aber konnte er sein Leben lang nicht vergessen. So erzählt es zumindest Beigbeder.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2015)

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