»Der Fisch in der Streichholzschachtel«: Piratenalarm auf dem Luxusliner

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Passend für den Urlaub: Martin Amanshausers »Der Fisch in der Streichholzschachtel« beginnt als konventionelle Beziehungskiste und mischt sich dann fantastisch mit Seemannsgarn.

So enthüllend abgründig kann nur ein Reiseprofi über die Ferne schreiben: „Eine Kreuzfahrt ist die Endstation der Verbraucherhölle westlicher Lebensträume – man lässt sich einsperren mit all den blasierten Wasserköpfen der Konsumgesellschaft, und man verzichtet auf jeden Fluchtweg. 12 Nights Caribbean ist wie Familienweihnachten auf engstem Raum, im erweiterten Verwandtenkreis, überfrachtet mit all den unterdrückten Wünschen, offenen Rechnungen und Ansprüchen, aber zeitlich ausgedehnt auf zwölf Tage.“

Martin Amanshauser, Schriftsteller, Übersetzer, Reisejournalist (in diesem Feld ist der Salzburger auch für „Die Presse“ als Kolumnist tätig), schickt in „Der Fisch in der Streichholzschachtel“ zwei Icherzähler auf große Fahrt. Fred Dreher tritt mit seiner Frau, Tamara, zu deren vierzigstem Geburtstag eine karibische Kreuzfahrt an – neun Ziele in zwölf Tagen. Im Schlepptau hat das Paar, dessen Beziehung zu erschlaffen scheint, die beiden Kinder, eine introvertierte 15-Jährige und einen stets hungrigen Zehnjährigen. Ja, die Gespräche an Bord der Atlantis erinnern an familiären Weihnachtsstress.

Dazu kommen für Fred noch berufliche Sorgen. Er baut Alarmanlagen, hofft auf einen Großauftrag, der ihm aus der Finanzmisere helfen könnte. Der Mann ist abhängig von Tamara, die eine Erbschaft gemacht hat, als Architektin aber auch nicht gerade reüssiert. Sie will ein drittes Kind, Fred hat sich heimlich einer Vasektomie unterzogen, noch schmerzen ihn die Wunden. Doch das ist eine Lappalie. In diesem Buch geht es um weit größere Verluste.

Alte Liebe. Bald trifft dieser beschädigte Mann mit dem Hang zu leichter Frauenverachtung auf die Exfreundin Amélie, eine Reisejournalistin. Vor 15 Jahren ging diese Beziehung zu Bruch. Er findet sie noch immer attraktiv. Es scheint ein einfacher Plot zu sein – das seltsame Verhalten von Großstädtern in den Ferien, eine scheinbar heile, penetrante holländische Familie als Gegenentwurf, das liest sich doch mühelos! Amanshauser verfügt neben genauer Beobachtungsgabe und stilistischer Sicherheit im Zeitgeist auch über allzeit bereite Ironie für das Kurzweilige.

Doch der Clou seines 576 Seiten langen Romans besteht in einem zweiten, fantastischen Erzählstrang, der mit dem ersten auf skurrile, die moderne Gesellschaft entlarvende Weise verwoben wird. Auf den sieben Meeren ist auch der Freibeuter Störtebeker mit seiner zur Meuterei neigenden Crew auf der Fín del Mundo unterwegs, im Jahre 1730 (da war er eigentlich seit 329 Jahren tot). Die Vergangenheit verschmilzt nach circa einem Drittel des Textes durch einen gewaltigen Sturm mit dem frühen 21. Jahrhundert. Faschingsdienstag: Piraten von gestern auf der kaputten Atlantis! Jetzt geht das Abenteuer richtig los.

Die Parallele wird von einem Geografen erzählt, Salvino d'Armato degli Armati, dessen Sprache im Vergleich zu jener von Fred getragen ist, seriös und fachspezifisch. Die künftige Welt hält er anfangs für die ideale. Doch dieser Zusammenprall der Kulturen erzeugt durchaus Gesellschaftskritik. Der fremde Blick macht das Vertraute sonderbar. Amanshauser lässt kein Detail aus.

Beide Handlungsstränge nur für sich wären wohl langatmig, manchmal ist der Ton zu betulich, aber die Kombination der Erzählungen fasziniert. Was ist Schein, was ist Wirklichkeit? Das Surreale der Freibeuter scheint tatsächlich einen stärkeren Bezug zur Realität zu haben als die schöne neue Freizeitindustrie. Am Ende sind der aus Seenot geretteten Familie sechs Wochen Zeit verschwunden: „Seit wir auf der Atlantis eine stürmische Nacht und einen turbulenten Tag erlebt haben, sind in der Welt 41 Tage vergangen.“ Die Lektüre dieses Romans aber erfordert höchstens einen ruhigen Tag und eine laue Sommernacht.

Neu Erschienen

Martin Amanshauser
„Der Fisch in der Streichholzschachtel“.
Deuticke Verlag,
576 Seiten,
22,60 Euro

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2015)

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