Guido Crepax: Valentina- Verkörperung des Lustprinzips

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Mit seiner Heldin „Valentina“ schuf Guido Crepax die Ikone des erotischen Comics – und revolutionierte die Erzählweise von Bildgeschichten. Nun ist eine elegante Neuauflage erschienen.

Der italienische Erfolgsschriftsteller und Philosoph Umberto Eco gerät schon im ersten Absatz seiner Einleitung ins Schwärmen, wenn er die Begeisterung beschwört, mit der er als Jugendlicher in den 1960er-Jahren die ersten Comics seines Landsmanns Guido Crepax verfolgte. Als alter Semiotiker zitiert Eco dabei gleich die frappierende, von Crepax für eine Rasse von Unterirdischen erfundene pseudogotische Sprache, die „vage an die Diktion der Wulfilabibel erinnerte“ (tatsächlich hatte sie Crepax' Frau Luisa, eine Germanistin, entworfen). Aber bei aller Liebe zur Linguistik und ihren Problemen stellt auch Eco schnell klar, warum der 1933 in Mailand geborene und 2003 ebendort verstorbene Crepax eigentlich als eines der ganz großen Genies der Comic-Historie gilt. Nämlich wegen seiner revolutionären Handhabung der zeichnerischen Form: „Mit Crepax veränderte sich das Zeitgefühl im Comic“, bilanziert Eco, „oder besser gesagt, das Verhältnis zwischen Raum und Zeit.“

Dass dieser Innovationsschub hauptsächlich auf dem Gebiet erotischer Comics stattfand, hat zu einem etwas verzerrten Crepax-Bild geführt. Nachdem er sich mit den aus dem Geist der Swinging Sixties geborenen Bildergeschichten um die Fotoreporterin Valentina etabliert hatte, kam sein größter Erfolg 1975 mit einer Auftragsarbeit für den auf unterdrückte Schriften spezialisierten französischen Verleger Jean-Jacques Pauvert: Die Comic-Adaption des Sadomaso-Skandalromans „Die Geschichte der O“ wurde weltweit ein Verkaufsschlager, eine im Siebdruckverfahren hergestellte, limitierte Originalauflage (signiert, nummeriert und mit Vorworten von Roland Barthes sowie Alain Robbe-Grillet versehen) firmiert noch immer als teuerster Erstdruck der Comic-Geschichte.


Trend zur bibliophilen Neuauflage. Nur in Deutschland kam der Band – wie schon die Buchvorlage von Dominique Aury – auf den Index für jugendgefährdende Schriften, weitere Werke von Crepax folgten. Dass man es mit genuiner Kunst zu tun haben könnte, stand für die damaligen Sittenwächter wohl kaum zur Debatte: Ein Urteil, das sich nun anhand eines „Valentina“-Sammelbands pläsierlich revidieren lässt. Die schmucke Edition beim Avant-Verlag bietet neben Ecos Einleitung auch ein informatives Vorwort von den Übersetzern Günter Krenn und Paolo Caneppele: ein weiteres Musterbeispiel des aktuellen Trends zur bibliophilen Neuauflage von Comic-Klassikern. Erst kürzlich publizierte der Avant-Verlag das lang vergriffene Krimi-Meisterstück „Fliegenpapier“ von Hans Hillman (die „Presse“ berichtete), bei Schreiber und Leser hat man indes eine Reedition des großen „Corto Maltese“-Zyklus von Hugo Pratt begonnen.

Wurde Pratt für seine Leidenschaftlichkeit als der Tangomusiker unter den italienischen Comic-Titanen der 1960er gefeiert, so galt sein Zeitgenosse Crepax als der Jazzvirtuose: Sein Zugang war der freieste. Im neuen „Valentina“-Sammelband mit den ersten Abenteuern der Titelfigur zwischen 1965 und 1972 wird das souverän demonstriert: Valentinas Entree als Nebenfigur im Rennfahrer-Thriller „Die Lesmo-Kurve“ ist noch vergleichsweise konventionell. Mit kühnen Sprüngen in der Erzählung und seiner unverwechselbaren Seitenarchitektur bewegt sich Crepax aber dann mit Riesenschritten Richtung Surrealismus. Die finale Episode des Bandes, „Tapfere Valentina“, ist eines seiner Meisterwerke – ein Entwicklungsroman seiner Heldin als atemberaubende Assoziationsfolge von Rückblenden und Visionen, mit einem eleganten Zirkelschluss: Am Ende steht „Fortsetzung folgt“, mit Verweis auf Valentinas ersten Auftritt in „Die Lesmo-Kurve“. Dessen eigentlicher Star war ein Superheld namens Neutron, der im Privatleben als Kunstkritiker arbeitete und bald mit Valentina Plätze tauschte: Er wurde ihr Ehemann – und Nebenfigur ihrer Abenteuer.


Von „Flash Gordon“ bis Lulu. Der vielseitig interessierte Crepax, ausgebildeter Architekt und leidenschaftlicher Spieleerfinder, renommiert als Illustrator von Buchumschlägen und Schallplatten (vor allem Jazz und Klassik), wollte eigentlich nur beweisen, dass er „einen besseren Comic als die üblichen“ machen konnte, „ohne irgendeine Ahnung vom Metier zu haben“. Das war etwas kokett gesagt: Schon als Jugendlicher hatte sich Crepax für Comics begeistert, seine Arbeiten sind voller Variationen auf klassische Bildgeschichten wie „Flash Gordon“ ebenso wie auf bildende Kunst und Kino. Zum Einstieg gibt es etwa gleich eine Party in New York, deren Gäste eine Op-Art-Ausstellung debattieren, und eine der schönsten Szenen des Crepax-Werks zeigt später, wie Valentina im Kino vom Schicksal der Stummfilmschönheit Louise Brooks als Wedekinds Lulu zu Tränen gerührt wird – und dann ihr Äußeres dem berühmten Pagenkopf-Look von Brooks angleicht.

Erfolgreiche Comic-Vorläuferinnen wie „Barbarella“ hatten die schlüpfrigen Klischees erotischer Unterhaltung bedient, mit Valentina gelang es Crepax, sie aufzubrechen. Nicht nur, weil seine formalen Experimente mit am Kino geschulten Einstellungsfolgen und elegantem Jugendstil-Schwung alle erzählerischen Unwahrscheinlichkeiten aushebelten. Sondern auch, weil er eine selbstbestimmte Heldin schuf, die selbst dann noch völlig autark agierte, als sie in späteren Abenteuern genüsslich in sadomasochistische Szenarien eintauchte.

Bei aller Besessenheit, mit der sich Crepax in seine sexuellen Fantasien vertiefte, wäre es ein Fehler, ihn nur als Erotikpionier zu rezipieren: Im „Valentina“-Sammelband kann man eine entscheidende Entwicklungsstufe zum nunmehr als Graphic Novel gefeierten Autorencomic studieren. Und eine der großen künstlerischen Illustration des Lustprinzips: Denn Valentina ist die reine Lust, Crepax hat ihr eine Form gegeben: den schönsten Körper der Comic-Geschichte.

Zeichnerisches Genie

Der Sammelband „Valentina“ (Avant-Verlag, 216 Seiten, 35Euro) versammelt die ersten Abenteuer der erotischen Comic-Heldin des Italieners Guido Crepax, dessen zeichnerisches Genie in einer Einleitung von Umberto Eco gewürdigt wird. Das Buch ist ein Musterbeispiel für den aktuellen Trend zur bibliophilen Neuauflage von Comic-Klassikern: Auch Hugo Pratts meisterhafter „Corto Maltese“-Zyklus wird gerade bei Schreiber und Leser wiederveröffentlicht (Band 1: „Südseeballade“, 200 Seiten, 33 Euro).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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