Das Mädchen mit der Brechstange

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Caitlin Moran erzählt in "All About a Girl" über ein Aufwachsen in einer Sozialwohnung in Wolverhampton. Und davon, wie Frauen sich jetzt allein durchschlagen müssen.

Am 31. Oktober 1987 stellte die britische Premierministerin Margaret Thatcher eine ihrer meistzitierten Behauptungen auf. „So etwas wie die Gesellschaft gibt es nicht“, sagte sie in einer Diskussion über den Wohlfahrtsstaat. Caitlin Moran war damals zwölf Jahre alt, wuchs als ältestes von acht Kindern in einer Gemeindewohnung in Wolverhampton auf, während ihr Vater die Familie mit Sozialhilfe durchzubringen versuchte und genau das tat, was Thatcher Leuten wie ihm vorwarf: „Wenn sie ein Problem haben, dann muss sich die Regierung darum kümmern.“

In „All About a Girl“ erzählt Moran die Geschichte der 14-jährigen Johanna Morrigan, die ebenfalls in einer Gemeindewohnung in Wolverhampton aufwächst, vier Geschwister hat und deren Vater ein gescheiterter Rockstar ist, Thatcher hasst und heute davon lebt, dass er dem Sozialamt seine Arbeitsunfähigkeit vorspielt: „Dad hat es sich zur Aufgabe gemacht, seine Behinderung so überzeugend darzustellen, dass nicht mal der pingeligste Prüfer auf die Idee käme, weitere Untersuchungen anzuordnen.“ Als die Sozialhilfe aber wegen einer Denunziation, an der Johanna nicht unschuldig ist, gekürzt wird, sucht sie nach Auswegen. Sie nimmt an einem Gedichtwettbewerb teil und gewinnt. Die Preisverleihung wird ein Desaster, als dickes Mädchen aus der Provinz wird sie verlacht.

Darauf verdoppelt sie ihre Anstrengungen, um ihre Ziele zu erreichen: „Ich bin fest entschlossen, vor meinem sechzehnten Geburtstag Sex zu haben. Zu warten, bis es legal ist, kommt mir geschummelt vor.“ Bis es so weit ist, wird heftig masturbiert, so heftig, dass der ältere Bruder irgendwann aus dem gemeinsamen Zimmer auszieht. Dann will Johanna noch „nach London, um es dort richtig krachen zu lassen“. Sie legt sich ein neues Outfit zu („Ich trage nur noch Schwarz. Schwarz wie die Bösen“), nennt sich fürderhin Dolly Wilde (nach der lesbischen Nichte von Oscar Wilde) und schreibt Kritiken zu Musik, die sie sich in der städtischen Bücherei ausleiht. Sie erfindet sich neu: „Fake it till you make it“, lautet ihr Motto. Ihre Arbeiten haben Erfolg, das Londoner Musikblatt „Disc & Music Express“ veröffentlicht erste Beiträge, und sie schmeißt die Schule: „Jetzt bin ich also Autorin. Ich schreibe!“

Besserer Sex. Da gibt es noch einige Auf und Abs, aber die Karriere nimmt unaufhaltsam ihren Lauf. Auch das mit dem Sex klappt schließlich noch, und nun erfindet sich Dolly als Sexgöttin neu. Weil aber die meisten Männer nur an ihrer eigenen Befriedigung interessiert sind, wird weiter masturbiert: „Ich hätte Lust auf Sex. Besseren Sex. Bei dem ich auch vorkomme.“

Auch wenn die Parallelen zu ihrem eigenen Leben unübersehbar sind, legt Moran Wert auf die Feststellung, dass es sich bei „All About a Girl“ um einen Roman handelt. Sie schreibt mit Sympathie und Liebe für ihre Figuren, aber im Grunde ist das Buch eine literarische Fassung ihres Essays von 2011 „How to Be a Woman“, der über eine Million Mal verkauft wurde und ein Riesenecho fand. Moran wurde für ihre Offenheit und Freimütigkeit gepriesen und als Vorreiterin eines neuen Feminismus bezeichnet. Das Buch hat sehr viele Rufzeichen und noch mehr Großbuchstaben, damit es AUCH DER DÜMMSTE VERSTEHT!

Denn in der Not wird kein Schwefelholz mehr angezündet, sondern frau bahnt sich mit der Brechstange ihren Weg. Allein. Denn wo einst eine Bewegung stand, kämpft heute jede(r) für sich. Entweder Thatcher hatte doch recht, oder all das ist auch eine Folge ihrer Politik. Ihren Durchbruch schaffte Moran ausgerechnet als Kolumnistin der „Times“ von Rupert Murdoch, einem glühenden Verehrer Thatchers. Die Revolution frisst nicht mehr ihre Kinder, sondern macht sie reich. Moran ist Millionärin und eine der meistbeachteten Kommentatoren in Großbritannien. Ihr Twitter-Feed gehört zu den einflussreichsten des Landes, ihre Lesungen erinnern an Rockkonzerte. Nach dem Erfolg ihres Romans sind zwei weitere geplant: „How to Be Famous“ und „How to Change the World“. Zieht man die umfassende Vermarktung in Betracht, bietet sich „How to Build a Brand“ als Gesamttitel an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2015)

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